Reise in Südamerika. Erster Band.. Freiherr von Ernst Bibra
glaubt, bald in der Tiefe des Himmels sich verliert und sich Spekulationen so verschiedener Art hingiebt, beginnen wir allmählig auf das Murmeln der neben uns vorüberziehenden Wellen unwillkürlich zu lauschen. Sie flüstern uns bisweilen seltsame Dinge zu diese Wellen, Dinge, die man nicht wieder erzählen kann und will, aber sie flüstern uns in den Schlummer.
Es ist Zeit, daß ich wieder einmal eines Datums erwähne, irgend etwas Wichtiges erzähle, was vorgefallen am Bord, ein Ereigniß melde. So will ich denn mittheilen, daß am 25. Mai (unter 22° 22' westlicher Länge und 4° 58' nördl. Breite) während einer Windstille ein Hai gefangen wurde. Dieses kann aber der vollkommensten Wahrheit gemäß an Bord, und besonders an Bord eines Passagier-Schiffes ein Ereigniß genannt werden. Ich hatte die Nacht auf Deck geschlafen, war aber gegen Morgen vom Regen vertrieben in meine Koje gegangen, als plötzlich gegen 5 Uhr ein furchtbarer Lärm auf Deck entstand. Der Ruf: ein Hai! der Alles übertönte, ließ auch mich so schnell als möglich auf Deck eilen, woselbst man eben beschäftigt war, jene »Hyäne des Meeres« an Bord zu ziehen. Man hatte schon seit einigen Tagen eine Angel ausgeworfen, welche unweit des Steuers befestigt, nachschleifte, aber obgleich schon mehrere jener Gäste den Köder, ein Stück Speck, umspielt, hatte doch erst am erwähnten Morgen einer derselben ernstlich angebissen. Das gefangene Thier war 7 Fuß lang und von beträchtlicher Stärke. Es ist übrigens keine ganz gefahrlose Sache, jene Ungethüme, welche natürlich an der Angel sich rasend geberden, an Bord zu bringen, und man muß sich wohl hüten in den Bereich des Rachens oder des Schweifes zu kommen. In letzterem entwickeln sie eine furchtbare Stärke und man versichert, daß unvorsichtig sich Nahenden öfters Arme und Beine zerschlagen worden seien. Der starke, 9 Zoll bis 1 Fuß große Angelhaken hängt an einer etliche Fuß langen Kette und diese an einem Taue. Sobald nun der Fisch auf Deck gezogen ist, wird durch einige Männer das Tau rasch um einen irgendwo befindlichen festen Gegenstand, etwa einen Kabelnagel geschlungen, so daß die Angel mit dem Kopfe des Thieres fixirt ist. Einer der Matrosen nähert sich dann behende dem wüthend um sich schlagenden Hai, und schlägt ihm mittelst eines breiten Beiles rasch den Schweif ab. Gewöhnlich wird hierauf auch der Kopf mit der Axt abgeschlagen, würde man aber dies zuerst thun, so würde der nicht mehr festgehaltene Körper arge Verwüstungen auf dem Decke anzurichten im Stande sein, da er, auch kopflos, noch lange Kraft und Bewegung besitzt.
Vom Körper des Hai nimmt man gewöhnlich die beiden Kiefer und das Rückgrat, welches die Matrosen trocknen und als »Rarität« zu Hause verkaufen. Alles übrige wird in See geworfen. Ich erinnerte mich in Chamisso's Reise um die Welt gelesen zu haben, daß der Hai von den russischen Seeleuten ohne Anstand gegessen wird. Auf mein Zureden gingen einige Passagiere mit mir zum Kapitain um ihn um den Hai zu bitten, d. h. um die Erlaubniß, daß der Koch ihn für uns bereiten dürfe. Wir erhielten zur Antwort, das sei gewiß unser Ernst nicht und überhaupt auf keinem Schiffe gebräuchlich. Ein Thier, was unsere Kameraden frißt, essen wir nicht, sagte mit einer gewissen Würde der Obersteuermann.
Vergebens wendete ich ernsthaft ein, es gebe keine bessere Revanche, als Jemanden, der die Gewohnheit habe, unsere Freunde zu speisen, wieder zu essen. Mit genauer Noth erhielt ich soviel, daß gestattet wurde, den mit einem Stücke des Halses abgehauenen Kopf vom Koche sieden zu lassen. Sollte uns die eklige Speise munden, so sei uns das übrige vergönnt. Die Speise mundete uns aber ganz ausgezeichnet und nur wer längere Zeit fast einzig auf Salzfleisch angewiesen war, weiß den Genuß frischen Fleisches gehörig zu schätzen. Als wir aber uns auf Deck nach dem Uebrigen des Fisches umsahen, war Alles längst von den Matrosen über Bord gebündelt worden.
Ich habe den Kopf jenes Haies skeletisirt und mit zurück nach Europa gebracht. Er befindet sich gegenwärtig im Besitze eines geehrten Freundes, welchem ich durch diese Zeilen freundlichsten Gruß zu bringen mir erlaube, wenn anders sein streng wissenschaftlicher Sinn es über sich gewinnen kann, diese nicht sehr wissenschaftlichen Fragmente zu durchblättern.
Schon am 21. Mai, unter 8° Breite, beobachtete ich das erste Zodiakallicht. Merkwürdig ist, daß diese Erscheinung, welche auffallend genug ist, um von jedem Unbefangenen bemerkt zu werden, erst spät, Mitte des 17. Jahrhunderts beobachtet worden ist. Auch unsere Schiffsmannschaft beachtete das Zodiakallicht nur wenig, oder ignorirte dasselbe; aus welchem Grunde kann ich mir indeß nicht erklären. Diese Leute besitzen ein scharfes Auge, dem der geringste Punkt auf der Fläche der See nicht entgeht, und von welchem eine kleine von uns kaum beachtete Wolke entdeckt und mit Interesse behandelt wird: und sie sollten jenes Phänomen nicht bemerken, welches so augenfällig ist?
Indem ich aber hier der chronologischen Ordnung vorgreife und des in Chile beobachteten Zodiakallichtes erwähne, muß ich bemerken, daß ich bei den chilenischen Dienern, welche mich auf die Cordillera begleiteten, dieselbe Unempfindlichkeit gefunden habe. Dort, und besonders auf der Cordillera, tritt die Erscheinung glänzender auf, als ich sie irgendwo gesehen habe, klar, leuchtend, so daß nur die Sterne erster Größe durch sie hindurch zu bemerken sind. Als ich aber jene Chilenen fragte, was denn jener Lichtschimmer eigentlich sei, was sie davon hielten, bekam ich zur Antwort: el es nada, und die deutschen Seeleute sagten mir, »das ist Nichts, das ist ein Schein, sonst Nichts.«
Die Chilenen aber besitzen im Uebrigen einen lebhaften Sinn für die Schönheiten der Natur, welchem sicher eine poetische Anschauung nicht fehlt. Das Resultat dieser Untersuchungen ist aber, daß gewisse Leute auf das Zodiakallicht nicht reagiren.
Das Zodiakallicht ist eine leuchtende Pyramide, welche etwa eine Stunde nach Untergang der Sonne bei eingebrochener Dunkelheit an der Stelle, wo die Sonne verschwunden, sichtbar wird. Die Basis, scheinbar etwa 30 Grade betragend, wird von den beiden andern Seiten an Länge übertroffen. Indessen muß ich das soeben Ausgesprochene dahin abändern, daß nicht direkt an der Stelle, wo die Sonne verschwunden, sondern einige Grade nach Norden hin die Erscheinung sichtbar wird. Sie folgt also dem Stande der unter den Horizont gesunkenen Sonne, sie scheint von der letztern bedingt zu werden. Das Zodiakallicht hat den Ausdruck einer kosmischen Erscheinung, es hat deren geheimnißvolle Ruhe.
Oft und lange des Nachts im Freien, habe ich in Süddeutschland nie ein Zodiakallicht beobachten können, und alle Wahrnehmungen, welche man hier und da auf dasselbe bezogen, erwiesen sich als einer andern Ursache angehörig; es dürfte mithin als eine, für unsere Breitegrade höchst seltene Erscheinung betrachtet werden.
Ich habe wohl später Gelegenheit auf diesen Gegenstand zurückzukommen.
Am 26. Mai wurden wir ein Segel gewahr, welches bald als ein Bremer erkannt wurde. Man signalisirte, der Landsmann näherte sich uns und da eben ruhige See war, wurde Back gelegt und der Kapitain des befreundeten Schiffes kam zu Boot an unser Bord. Er hatte die Westküste Amerikas besucht, war in Kalifornien gewesen und wußte viel zu berichten von dort und den Fahrnissen bei Cap Horn. Alles Dinge, die wir bald bestehen sollten. Er hatte Passagiere nach Kalifornien gebracht, welche sich fast sämmtlich bei Kap Horn die Finger erfroren hatten. Angenehme Zukunft das, welche uns in Aussicht gestellt wurde, und nicht ermangelte manche trübe Miene zu bewirken! Bei Kap Horn hatte er einen Matrosen verloren. Der Unglückliche war in die See gestürzt und konnte nicht mehr aufgefischt werden, ob er gleich, ein guter Schwimmer, dem Schiffe eine Stunde lang folgte. Es ist schon schwierig einen in See Gefallenen wieder zu bekommen, selbst wenn die See nicht eben sehr hoch geht; bei den stets stürmischen Wogen unweit Kap Horn und in jener Gegend überhaupt, erscheint es geradezu als Unmöglichkeit. Während der Anwesenheit jenes Kapitains an Bord wurden Briefe geschrieben in die Heimath und demselben mitgegeben. Ich schrieb nicht, indem ich von Rio Janeiro als eine größere, bereits begonnene Epistel zu senden beabsichtigte. Nachdem wir dem Kapitain einige Victualien gegeben, welche wir bald in Rio zu erneuern hoffen durften, kehrte er auf sein Schiff zurück, und kam bald außer Sicht.
Ich kann nicht umhin bei dieser Gelegenheit auf eine eigenthümliche psychologische Erscheinung aufmerksam zu machen, welche sich bei vielen der Reisegefährten, bei allen, welche ich befragte und auch bei mir selbst zeigte.
Es war dies ein unangenehmes Gefühl, welches mehr oder weniger bei Allen auftrat, die theure Erinnerungen an die Heimath bewahrten und welches sich unklar auf die Heimath und jene Lieben bezog. Es war nicht das peinliche Gefühl der Unentschlossenheit, ob man etwa umkehren und mit jenem Schiffe wieder nach Hause wolle, was endlich hätte geschehen können. Es war nicht einfache Erinnerung an das Vaterland, welche wohl der Bremer Flagge nicht bedurfte, um erweckt, aufrecht