Synnöve Solbakken: Erzählung. Bjørnstjerne Bjørnson

Synnöve Solbakken: Erzählung - Bjørnstjerne Bjørnson


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vor dem Walde, das ist es,« sagte Sämund und schritt weiter auf und nieder. »Du hast im Felde einen Baum über das Tier gefällt, du nichtsnutziger Schlingel, und deswegen will es jetzt dort nicht mehr ruhig gehn.« – Aslak hörte das eine Weile an. – »Ja, ja! Glaub du das nur, der Glaube macht niemand zuschanden. Ich zweifle nur, daß er dein Pferd wieder kuriert,« fügte er hinzu, schob sich ein wenig höher auf die Tonne hinauf und bedeckte sein Gesicht mit der einen Hand. Sämund kam wirklich zu ihm hinüber und sagte in leisem, aber unheilverkündendem Tone: »Du bist ein schlechter –« – »Sämund!« ertönte eine Stimme vom Herde herüber. Es war Ingebjörg, seine Frau, die ihn beschwichtigte, wie sie ihr kleinstes Kind beschwichtigte, das bange war und schreien wollte. Das Kind hatte sie schon zum Schweigen gebracht, und nun schwieg auch Sämund, aber er hielt doch seine für einen so stämmigen Mann sehr kleine Faust Aslak gerade unter die Nase und hielt sie dort eine Weile, indem er sich vorbeugte und ihm seine zornsprühenden Augen ins Gesicht bohrte. Darauf schritt er wieder auf und nieder und sah von Zeit zu Zeit hastig zu ihm hinüber. Aslak war sehr bleich, grinste aber doch mit dem halben Gesicht zu Thorbjörn hinüber, während er die Seite, die er Sämund zugewandt hatte, ganz stramm hielt. – »Gott schenke uns Geduld!« sagte er nach einer Weile, hob aber in demselben Augenblick die Ellenbogen in die Höhe, als wollte er einen Schlag abwehren. Sämund blieb plötzlich stehn und schrie mit der ganzen Kraft seiner Stimme, indem er auf die Erde stampfte, so daß Aslak zusammenzuckte: »Nenne ihn nicht! – du! –« Ingebjörg sprang mit dem Säugling auf und faßte ihn sanft am Arm. Er sah sie nicht an, ließ aber doch sofort den Arm sinken. Sie setzte sich hin, er schritt von neuem auf und nieder; niemand aber sprach ein Wort. Als dies eine Weile gewährt hatte, konnte sich Aslak nicht länger bezwingen: »Jawohl, er hat hier auf Granliden freilich viel zu tun!« – »Sämund! Sämund!« flüsterte Ingebjörg; ehe das aber zu ihm drang, war Sämund schon auf Aslak losgerast, der den Fuß vorstreckte; den schlug er zurück, faßte den Burschen daran und am Rockkragen, hob ihn in die Höhe und warf ihn mit solcher Gewalt gegen die geschlossene Tür, daß die Füllung hinausfiel und er kopfüber durchflog. Die Mutter, Thorbjörn und alle Kinder schrien und baten für ihn, und das ganze Haus erscholl von Jammergeschrei. Sämund aber stürzte ihm nach, dachte nicht daran, die Tür gehörig aufzumachen, sondern stieß die Überbleibsel beiseite, nahm ihn nochmals auf, trug ihn von dem Vorbau auf den Hof hinaus, hob ihn hoch in die Höhe und warf ihn mit aller Gewalt nieder. Und als er merkte, daß da zu viel Schnee lag, als daß er sich hätte gründlich Schaden zufügen können, setzte er ihm das Knie auf die Brust und schlug ihn gerade ins Gesicht, packte ihn dann zum drittenmal, trug ihn wie ein Wolf, der einen zerrissenen Hund davonschleppt, an eine mehr schneefreie Stelle, schleuderte ihn noch heftiger zu Boden als zuerst, setzte ihm das Knie auf die Brust – und niemand weiß, wie dies geendet hätte, wenn nicht Ingebjörg mit dem Säugling im Arm dazwischengestürzt wäre. – »Mach uns nicht unglücklich!« schrie sie.

      Eine Weile darauf saß Ingebjörg im Zimmer. Thorbjörn kleidete sich an, der Vater ging wieder auf und nieder, trank von Zeit zu Zeit ein wenig Wasser, aber die Hand zitterte ihm so, daß das Wasser über den Rand der Tasse floß und auf den Boden platschte. Aslak kam nicht zurück, und nach einer Weile schickte sich Ingebjörg an, hinauszugehn. – »Bleib hier,« sagte er in einem Ton, als spräche er nicht mit ihr, und sie blieb. Aber nach einiger Zeit ging er selber hinaus. Er kam nicht wieder. Thorbjörn nahm sein Buch und las unablässig ohne aufzusehn, obwohl er nicht einen einzigen Satz verstand.

      Etwas später, am Vormittag, war das Haus wieder in seiner alten Ordnung, obgleich alle ein Gefühl hatten wie nach einem fremden Besuch. Thorbjörn wagte sich endlich hinaus, und der erste, der ihm an der Tür begegnete, war Aslak, der all sein Hab und Gut auf einen Schlitten gepackt hatte; der Schlitten aber gehörte Thorbjörn. Thorbjörn starrte ihn an, denn er sah schrecklich aus. Das Blut war ihm im Gesicht festgeklebt, und alle seine Kleider waren mit Blut beschmutzt. Er hustete und griff sich oft nach der Brust. Eine Weile sah er Thorbjörn schweigend an, dann rief er heftig: »Ich kann deine Augen nicht ausstehn, Junge!« – Damit spreizte er die Beine über den Schlitten, setzte sich und fuhr bergab. – »Du kannst sehn, wie du deinen Schlitten wiederkriegst!« sagte er und lachte, indem er sich noch einmal umwandte und ihm die Zunge ausstreckte. So zog Aslak von dannen.

      Aber in der Woche, die nun folgte, kam der Vogt nach Granliden. Der Vater war oft abwesend, die Mutter weinte, und auch sie war mehrmals fort. »Was ist nur, Mutter?« – »Ach, Aslak ist an allem schuld.«

      Und dann eines Tages ertappten sie die kleine Ingrid, wie sie dasaß und sang:

      »O du glückselige Welt,

      Nun bist du mir ganz vergällt.

      Das Mädel streckt den Fuß hervor,

      Der Junge ist ein blöder Tor,

      Die Mutter Wassersuppen braut,

      Der Vater liegt auf der Bärenhaut.

      Die Katze ist noch die klügste im Haus,

      Sie leckt den Rahm im Topfe aus.«

      Es wurde ein Verhör angestellt, wo sie das Stück Lied her hätte. Ja, sie hatte es von Thorbjörn gehört. Dieser wurde sehr ängstlich und sagte, Aslak habe es ihn gelehrt. Da erhielt er denn den Bescheid, daß er, wenn er selber solche Lieder sänge oder sie der Schwester beibrächte, sich auf eine Tracht Prügel gefaßt machen könne. Kurz darauf fing die kleine Ingrid an zu fluchen. Thorbjörn wurde abermals ins Verhör genommen, und Sämund meinte, es würde wohl das beste sein, wenn er gleich die Rute bekäme; aber er weinte und gelobte heilig und teuer, sich zu bessern, so daß er diesmal mit der Angst davonkam.

      Am nächsten Sonntag, wo gepredigt wurde, sagte der Vater zu ihm: »Heute sollst du keine Gelegenheit haben, daheim Unheil anzustiften, du kannst mich in die Kirche begleiten.«

      2

      Die Kirche steht in den Gedanken des Bauern auf einer hohen Stelle und ganz für sich, weihevoll, die Feierlichkeit der Gräber ringsumher, den lebendigen Gottesdienst drinnen. Es ist das einzige Haus im ganzen Tal, worauf er Pracht verwandt hat, und ihr Turm ragt deswegen auch etwas höher empor, als er zu ragen scheint. Ihre Glocken begrüßen ihn schon aus der Ferne auf seinem Gange durch den klaren Sonntagmorgen, und er lüftet immer die Mütze, wenn er sie hört, als wollte er sagen: »Dank für das letztemal!« Es besteht ein Bündnis zwischen ihm und ihnen, das niemand kennt. In frühester Kindheit stand er wohl in der offnen Tür und lauschte ihrem Klang, während die Kirchgänger in stillem Zuge unten auf dem Wege vorübergingen; der Vater schloß sich ihnen an, aber er selbst war noch zu klein. Er verband damals mancherlei Vorstellungen mit diesem schweren, vollen Ton, der eine oder auch zwei Stunden die Herrschaft zwischen den Bergen hatte und von einer Felswand zur andern widerhallte; eins aber war unzertrennlich von diesem Getön: reine, neue Kleider, geschmückte Frauen, geputzte Pferde mit blitzendem Geschirr.

      Und wenn sie dann eines Sonntags über seinem eignen Glück läuten und er selber in funkelnagelneuen, aber viel zu großen Kleidern gesetzt an der Seite des Vaters einhergeht und das erstemal dahin soll – ja, dann liegt Freude und Jubel in ihrem Klange. Da öffnen sie ihm die Türen zu alledem, was er nun zu sehn bekommen soll! Und auf dem Heimwege, wenn sie über seinem Haupte dröhnen, das noch schwer und wirr ist von dem Gesang, der Messe, den Worten der Predigt, die auf ihn eingedrungen und wieder verdrängt worden sind von alledem, was das Auge zugleich aufgenommen hat: die Altartafel, die Trachten, alle die Menschen – da wölben sie sich ein für allemal über alle diese Eindrücke und geben der kleinern Kirche, die er fortan in seinem Innern trägt, die rechte Weihe.

      Ist er ein wenig älter geworden, so muß er auf den Bergen das Vieh hüten; wenn er aber an einem schönen, taufrischen Sonntagmorgen so auf dem Felsblock sitzt, das Vieh zu seinen Füßen, und hört, wie die Kirchenglocken das Herdengeläute übertönen, da wird ihm ganz wehmütig ums Herz. Denn mit ihnen tönt etwas Lichtes, Leichtes, Lockendes zu ihm herauf, der Gedanke an die Bekannten bei der Kirche, an die Freude, wenn man da ist, und die noch größere, wenn man dagewesen ist, an das gute Essen daheim, an den Vater, die Mutter, die Geschwister, an das Spiel auf der Wiese an fröhlichen Sonntagabenden – und das kleine Herz wird ganz aufrührerisch in der Brust. Aber seine Gedanken kehren doch immer wieder zu den Kirchenglocken zurück, die zu ihm heraufschallen; er sinnt nach und


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