Ratsmädel- und Altweimarische Geschichten. Böhlau Helene
Mondlicht eine sonderbare Veränderung in dem Gesichte seines Freundes Ernst Schiller.
Ja, er und Ernst Schiller hatten mit den beiden Mädchen Götzendienst getrieben; für sie gab es nichts Schöneres, nichts Lieblicheres als diese Geschöpfe. Aber Horny war kühlen Herzens geblieben, sein ganzes erstes Jugendfeuer gehörte seiner Kunst. Und nun fragte er ruhig, wenn auch seines Freundes wegen innerlich erregt: »Beide?«
»Nein,« sagte Marie, »nur Röse; aber sie darf's ja noch nicht sagen!«
»Nun, – weshalb sagst du dann: beide?«
»Ich weiß nicht,« meinte Röse beschämt. Da hatten sie sie doch auf einer Lüge ertappt, die Bengel!
Es war ihr aber so entwischt, weil noch nie eine etwas gehabt hatte, was die andre nicht auch besaß. Es mochte ihr neu sein, daß sie Einzelwesen waren. Es verdutzte sie völlig. Beide gehörten so eng zusammen. Sie waren sogar merkwürdigerweise in ein und demselben Jahre geboren, als gute Kameraden so ganz nah aufeinander gefolgt; das wissen wir ja.
Im Webicht peitschte der Wind das Gestrüpp der Büsche durcheinander. Er sauste durch die Tausende schlanker Ruten und Zweige, wie durch ein Riesensieb.
Ein Schrei von einem Käuzchen! Fern brömselte ein andres schwatzend und klagend, frühlingshaft spitz und grell vor sich hin. Auch ein Liebespärchen, das sich lockte und schalt, koste und sich beklagte!
Wenn man genau hinhörte, fiepte und klatschte es da und dort: unbestimmbare Nachtlaute. Ganz fern ein Vogelaufkreischen!
»Guten Appetit!« sagte Horny, »da ist einer über eure Fasanen gekommen, – vielleicht ein Fuchs.«
»Wie waren sie denn?« fragte Budang, der an Röses Verlobungsgeschichte nicht glauben wollte und sich doch nicht recht zu fragen getraute.
»Gut,« sagte Röse. »Sie hatten auch silberne Köpfe und silberne Füße aufgesteckt bekommen. Sie sahen prachtvoll aus.«
Die Karawane setzte sich wieder in Bewegung, jetzt ganz still.
Röses Verlobung lag über allen wie etwas Unbegreifliches.
»Röse,« wagte Budang nach einer Weile sich zu erkundigen, »ist denn deine Verlobung wirklich wahr?«
»Ja, Budang.«
»Mit dem Thon, der euch die Fasanen geschickt hat?«
»Ja.«
»Herr Gott!« sagte Budang, »glaubt der, daß du eine vernünftige Person bist? Thust du's denn freiwillig? Verlobst du dich denn gern? Ich begreif's nicht! Wieviel jünger bist du denn als ich?«
»Anderthalb Jahr,« gab Röse wie im Examen Auskunft.
»Stell dir vor,« fuhr Budang fort, »wenn ich mich in anderthalb Jahren verheiraten wollte. – Lächerlich!«
»Ja,« bestätigte Röse aufrichtig.
»Und du weißt's, daß du verlobt bist, – seit heute erst, – und bist doch mitgerannt! – Du bist aber gedankenlos! Da muß man doch, dächt' ich, ganz erschüttert sein?«
»Ach,« meinte Röse betreten, »ich bin ja auch noch nicht ganz verlobt! – Und glaubst du etwa, ich denk' nicht immer dran? – Immer! – Nein, weißt du, mir ist's auch viel lieber, daß ich mit euch hier renne; zu Haus war mir's manchmal ganz angst und bange vor Glück.«
»Weiß denn der Thon, daß du hier mitläufst?«
»Nein.«
»Na, mir scheint, du denkst wirklich über gar nichts nach! Wie bist du nur!«
»Ach geh!« wehrte Röse ab.
Der Sturm hatte nachgelassen.
Sie bogen jetzt ins Dorf ein.
Die Kirchturmuhr schlug zwölf: die Geisterstunde!
»Da kommen wir ja gerade recht,« meinte Horny.
Marie that einen tiefen Seufzer. »Wenn ihr so sprecht, geh' ich wenigstens nicht mit,« protestierte sie leise, aber heftig.
»So seid ihr Mädchen: ›Wasch mich, mach mich aber nicht naß!‹« rief Budang. »Ich habe es immer gesagt, Röse und Marie denken nicht; sie thun's nur!«
»Nein,« sagte Röse, »da irrst du dich!«
Sie gingen jetzt auf einem schmalen Wege, der an der Ilm vorüberführt. Und die Ilm gluckste und rauschte auch hier geheimnisvoll nächtlich, und der Wind pfiff noch gespenstischer durch die riesig hohen Ulmen. »Wenn sie hier käme,« flüsterte Marie zitternd, »da könnten wir doch nirgends ausweichen, – so zwischen der Mauer und der Ilm. – Ich stürb' auf der Stelle, wenn sie mich anfaßte!«
»Fällt ihr nicht ein,« zürnte Budang; »wie soll sie darauf kommen, dich anzufassen? Schließlich war sie doch eine vornehme Dame, und die wird sich doch nicht im Grabe solche Handgreiflichkeiten angewöhnt haben!«
»Laß doch,« meinte Ernst Schiller, »sie mag das nicht hören!«
Marie war jetzt im Grund ihres Herzens tief erregt; das nächtliche Ausreißen von daheim, die dumpfe Sorge, daß sie doch etwas Unrechtes thäten, das schauerliche Ziel, die vermutliche Nähe des Entsetzlichen, – all das hatte sie überwältigt, und sie brach in Thränen aus.
Seele und Körper erschauerten ihr. Sie suchte eine Stütze; Röses Hals umklammernd, weinte sie bitterlich.
»Marie,« schalt Budang, »sei doch vernünftig!«
Die drei Freunde standen um die Ratsmädchen her und wußten nicht, was beginnen.
»Laßt sie nur!« sagte Röse. Und beide Mädchen steckten ihre blonden Köpfe ganz dicht zusammen, und die jungen Körper schmiegten sich fest einer an den andern.
Der Mond schien hell über sie hin.
»Röse,« bat Marie schluchzend, »nicht wahr du, wir verlassen uns doch nicht?«
»Nein,« sagte Röse, »gewiß nicht.«
»Die arme Göchhausen!« schluchzte Marie wieder, »wie muß der zu Mute sein! – Und wie schrecklich, daß sich die Leute so vor ihr fürchten!«
»Wir wollen sie anreden,« ermutigte Röse, »und wollen sie fragen. Vielleicht können wir ihr helfen. Komm, Marie!«
Die guten Herzen der beiden überwanden das Grauen.
Sie hielten sich noch eine Weile umschlungen, während Röse leicht beschwichtigend auf Maries Rücken klopfte. »Nun gehen wir weiter,« sagten sie dann, und sie hingen sich wieder ein in die Arme ihrer Freunde.
»Der Mond hat sich wieder versteckt,« meinte Marie bedenklich.
In der großen, tiefen Stille, die durch kein Geräusch gestört war, nur die Ilm plätscherte, und der Wind fuhr durch die Baumkronen, da hörten sie etwas! – Was war das?
Sie befanden sich noch auf dem schmalen Weg. – Von fern ein Scharren, – ein Laufen, – ein Huschen, – Schritte, – aber merkwürdige Schritte, – in Sätzen, – etwas ganz Unvermutetes, Unvernünftiges, Menschenunwürdiges!
Sie standen alle bewegungslos, lautlos.
Wenn sie das wäre, so wär's grauenhaft, so ein unwürdiges Hupfen und Huschen!
Ihre Herzen klopften zum Zerspringen. Es kam näher, – grad auf dem Wege kam es auf sie zu, – näher, – immer näher, auf dürren Blättern gehend, dann hopsend! Ja, wenn sie das wirklich wäre, dann überstiegen diese Laute alle Phantasie! Der entsetzlichste Kobold hätte nicht widersinniger rennen, hüpfen und stehen bleiben können, als es das that, was da ankam! – Und zu denken, daß diese arme Seele eine vornehme, geistreiche Hofdame war, wenn auch mit einem etwas boshaften Mundwerk gesegnet und mit einem Buckel! – Ein Mensch! Eine Hofdame!! – so heruntergekommen, so urweltlich sich aufführend, – so ungeheuerlich!
Die junge, starke Phantasie der fünf Nachtwandler wurde mächtig bestürmt. Sie standen wie Schatten an die Gartenmauer angedrückt, – totenstill. Wie mußte erst das Aussehen des Spukes sein, nach solchen Lauten! – Sie hatten sich alle eine unbestimmte Vorstellung