Ratsmädel- und Altweimarische Geschichten. Böhlau Helene

Ratsmädel- und Altweimarische Geschichten - Böhlau Helene


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Mond war hinter eine zerfetzte Wolke gekrochen, deren Ränder versilbernd.

      Da sahen sie sich etwas bewegen, – etwas Ungestaltes, Niederes; – es glühten zwei Augen, da war gar kein Zweifel, – und zwei unbegreifliche, wackelnde Hörner zeigten sich und hoben sich gespenstig vom dunklen Hintergrund ab! Diese wackelnden Hörner, was sollten die? Was wollten die?

      Röse und Marie waren gelähmt vor Entsetzen.

      Da mit einemmal ein Zappeln, ein Strampfen, ein Bocken und Stampfen, und wie aus einer Trompete, ein urweltlicher, scheußlicher Ton, und – ein Gelächter! Budang war's, der lachte.

      Der Mond hatte sich jetzt durch seine Wolken gearbeitet und beleuchtete – ein kleines, graues Ungetüm, das verdutzt auf vier hohen, sparrigen Beinen stand und seinen Riesenkopf mit seinen Riesenohren vor sich hin streckte und horchte.

      »Jesses, ein Esel!« rief Röse erlöst.

      Durch die Stimmen erschreckt, machte das kleine junge Scheusal hopsend und stolpernd Kehrt und jagte wieder mit vorgestrecktem Kopf in die Nacht und in den Park hinein.

      »Weiß Gott,« sagte Budang, »das war der kleine ›Muffel‹, der ist dem Pächter entwischt!«

      Sie blieben alle still und betreten, also müsse noch was kommen; zu einem wirklichen herzhaften Gelächter brachten sie es nicht. Es lag etwas in der Luft, so etwas Rauschendes, Werdendes, – so etwas Banges, Wehes. – Auf Windesflügeln fuhr es durch die hohen Bäume und sauste schwer über die uralte Erde hin; es klopfte und pochte überall an, an die schwellenden Knospen, an die Herzen, an die Gräber, – denn es war heilige Osternacht, wo die Toten auferstehen!

      Fern fiepte es wieder: Fledermäuschen, – Käuzchen, – verliebtes Nachtgetier.

      Jetzt zogen sie über die großen, weiten Parkwiesen. Die Schritte waren unhörbar auf dem moosigen Rasenboden. Eine moderige Feuchtigkeit stieg auf.

      Sie gingen immer noch in einer Reihe, Hand in Hand.

      »Ist's wahr,« erkundigte sich Röse bang, »daß vor Goethes Gartenhaus alle Morgen gekehrt wurde? Daß ein wunderschönes Mädchen dort gekehrt hat? – Glaubt ihr das?«

      Sie unterhielten sich alle mit halber Stimme. Die Wucht der stürmischen, feuchten Frühlingsnacht lag über ihnen.

      Marie sagte leise: »Goethe hat das Mädchen selbst einmal gesehen; die Schopenhauern hat's erzählt, und die weiß auch, wer's gewesen ist. Beim ersten Morgenschimmer hat er das Mädchen getroffen, wie sie gekehrt hat, – und da hat sie aufgeschrieen wie eine arme Seele und ist zusammengesunken wie ein Wisch; und eine alte Frau, die wie ein Schatten war, hat sie mit sich genommen und hat etwas gemurmelt, wie: ›Ach, wenn ma auch immer alleinig is!‹ Dann sind sie nie wieder gekommen, und das Kehren war aus!«

      Diese erschütternde Erzählung stieß auf einigen Unglauben. – »Ja, wißt ihr denn das nicht?« rief Marie unwillig, »Goethe hat der Schopenhauern gesagt, daß das nicht das einzige Mal gewesen ist, daß er das Mädchen gesehen hat. Wenn er in seinem Zimmer bei der Arbeit saß, hat es sich ihm manchmal so zart an die Seite gedrängt, – so wie ein Kätzchen, – oder wie ein Mädchen, das ihn lieb hatte und für ihn gestorben ist. Einmal hat er auch, als es wieder so kam, einen ganz feinen Arm gesehen, der sich über seine Brust spannte, – nur einen Arm und eine Hand. Und wenn er in der Dämmerung in seinen Garten ging, da soll etwas neben ihm aufgetaucht sein, etwas Unbestimmtes. Es haben's auch andre Leute gesehen und sind davor erschrocken. Ja, es war oft jemand unsichtbar um ihn, der ihn übermenschlich liebte! Und der Schopenhauern hat er erzählt, daß kein Gefühl je dem gleichgekommen ist und ihn so übermannt hat, wie der Schauer, wenn das Wundersame bei ihm gewesen sei. Und an dem Morgen, an dem er das schöne Mädchen kehren gesehen hat, da soll er ganz verstört gewesen sein!«

      Mit dem Kehren schien es also doch seine Richtigkeit zu haben; alle unterhielten sich weiter über geheimnisvolle Dinge. Jeder hatte etwas zu erzählen.

      Röse wußte von einem Kobolde, der den Leuten beim Umzug als Feder nachfliegt und im neuen Hause wieder mit einzieht; die Beutlersleute, die über Kirstens wohnten, kannten einen in ihrer Familie, der auf Spinnenbeinen ging und eine Zipfelmütze trug. – Im alten Rattenneste Weimar spukte es zu jener Zeit eben noch recht kräftig. Da gab es keinen Kreuzweg und kaum eine Wegesbiegung, wo nicht irgend etwas nächtlich hockte und sein Wesen trieb, und kein altes Haus, in dem es ganz einfach geheuer war, und keine adelige Familie, die nicht gerade so wie ihr altes Familiensilber ihren alten Familienspuk besaß. Das heißt, auf den Familienspuk war bei weitem sicherer, als auf das Familiensilber zu rechnen.

      Und so strichen unsre Fünf im nächtlichen Grauen auf den einsamen Parkwiesen hin und her und betraten nun mit abermals klopfendem Herzen die dunkelsten, geheimnisvollsten, überwachsenen, feuchten Wege an der Ilm, um trotz allem der gespenstischen Hofdame zu begegnen, denn gerade dort, hieß es allgemein, sollte sie spuken.

      Die Kameraden sprachen zwar nach der Eselbegegnung ziemlich von oben herab von diesen Dingen, waren aber wiederum um nichts weniger eifrig und weniger erregt, als unsre Ratsmädchen. Jetzt gingen sie über die Borkenbrücke und versuchten ihr Glück und ihr Grauen am jenseitigen Ufer. Da führte der Weg an einem mit Bäumen und Büschen bestandenen Abhange hin, und kaum waren sie hier eine Strecke in tiefem Schweigen geschlichen, – denn es war eine so feuchte, monddurchschienene Einsamkeit, als wäre jahrhundertelang hier niemand gegangen, – da standen sie alle mit einem Schlage wie gebannt!

      Nahe, – in ihrer allernächsten Nähe, hatte jemand aufgestöhnt, und sie hatten alle deutlich gehört, wie etwas, das in den Büschen steckte, so recht verbissen und verzweifelt zwischen den Zähnen »verdammt!« gezischt hatte. »Verdammt!« deutlich »verdammt!« nichts weiter, und dann wieder tiefe, tiefe Stille auf allen Seiten.

      »Das is sie aber!« flüsterte Röse schaudernd.

      Alle hielten den Atem an und horchten.

      Das Einsame, Verlassene, Geheimnisvolle in den Büschen schien indessen auch zu horchen.

      Totenstille!

      Die Geistersucher warteten, ob sich's nicht wieder regen würde, – denn da war etwas, – das war sicher!

      Sie fühlten die Nähe eines fremden Wesens; sie standen wie die Bildsäulen so starr, – ganz Erwartung! Dasjenige, das in den Büschen auf so sonderbare Weise »verdammt!« gesagt hatte, mußte sicherlich in Verwunderung geraten sein, was mit den vielen Schritten, die es doch kommen gehört hatte, geworden sei.

      Jetzt aber, – was war das? – Ein Fiepen, ein jämmerliches, sonderbares Fiepen, als singe ein Wasserkessel, oder quietsche ein Wägelchen, oder auch als wimmere ein Hund unter ganz besonderen Umständen!

      Es war ein ganz merkwürdiger Ton! Allen schien es durchaus nicht unmöglich, daß sie es wäre, denn daß sie fiepe, oder wie durch eine Flasche rede, hatten sie ja gewußt!

      Das war das Entsetzliche!

      Der Mond schien dämmernd hell; hell genug, um das, was im Gebüsch steckte, zu erkennen, falls es sich hervorwagte.

      Dadurch merkwürdig ermutigt und wie von Jagdeifer gepackt, mahnte Röse: »So kommt doch!« Und sie war's, die sich wieder auf die Beine machte, ohne auf die andern zu achten, die ihr schleichend folgten.

      So ging's den kleinen Abhang ein wenig hinan; einige Schritte, mit klopfendem Herzen und stockendem Atem. – Dann ein gewaltiges Rascheln im dichten Gebüsch, – ein furchtbarer Schrei, – ein Springen, – ein heiserer Laut, – und im Mondlichte sahen sie, wie Röse von einem großen, dunklen Mantel umfangen wurde. – Ein ungeheurer Schreck! – Etwas so Unbegreifliches! Schauervolles!

      Marie schrie verzweifelt auf.

      »Ruhig, – ruhig!« sagte eine erregte Stimme. »Was macht ihr denn hier? Röse, um Gottes willen, wie kommst du hierher?«

      Von Röse hörte man kein Sterbenswort; aber sie schien zu flüstern und war immer noch in dem großen Mantel verschwunden. Und jetzt, – ein zarter, zarter Frühlingslaut, – so süß, so wunderlich, – ein Laut wie ein Kuß!

      »Herr Gott, der Thon!« rief Marie ganz überwältigt. »Der lag hier auf der Fuchspasse!« Das nicht


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