Moderne Geister. Georg Brandes

Moderne Geister - Georg Brandes


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im vollen Zuge, als Renan seine Alterthumsstudien begann.

      Er war als Kritiker weniger ein sondernder, zergliedernder, als ein zusammenfügender Geist. Er zog Linien zwischen den festen Punkten, welche die Arbeiten der germanischen Gelehrten ihm an die Hand gaben. Er kannte die Menschenseele so gut, dass er in der Regel das jedesmal Mögliche erschaute, zwischen zwei Möglichkeiten die wahrscheinliche herausfand und unter den wahrscheinlichen Erklärungen die festhielt, die innere Wahrheit hatte. So hat er in zwölf grossen Bänden Israels Geschichte und den Ursprung des Christenthums erzählt.

      Er ging zuvörderst gerade auf das los, das ihn am meisten fesselte, die Persönlichkeit Jesu. Um sich ihr jedoch zu nähern, unternahm er einen Schritt, wie ihn vor ihm noch Niemand, der das Leben Jesu schildern wollte, unternommen. Er reiste nach Palästina und erfüllte Auge und Sinn mit den Eindrücken der Stätten und Gegenden, woselbst Jesus gelebt und gewallt.

      Die Formen der Berge und Thäler, der Lauf der Flüsse, das Bett der Seen, sie bleiben durch Jahrtausende dieselben. Im Morgenlande haben überdies die Formen der Zelte und Häuser, der Schnitt der Trachten, die Art der Beschäftigungen, die durch das Klima bestimmte Lebensweise sich Jahrtausende lang unverändert erhalten, so dass Renan wie zur Weihe eine lebendige Vorstellung davon einsog, wie die Naturverhältnisse und die Umgebungen beschaffen gewesen, unter welchen die religiösen Grundbegriffe der civilisirten Welt entstanden.

      Sein Jesus ist geistreich aufgefasst, zart ausgeführt, eine Statuette aus Elfenbein. Dem Stile fehlte es an Sicherheit und Grösse, nicht an Feinheit.

      Renan's Unentschiedenheit, seine Lust, zugleich Ja und Nein zu sagen, war ihm hier ab und zu ein Hinderniss. Voltaire hatte Nein, die Theologen hatten Ja gesagt. Uneinig mit beiden, wie er war, bestätigte und verwarf er zuweilen in einem Athemzuge. Sein ursprünglich allzu grosser Respect für die Ueberlieferung gereichte besonders den ältesten Ausgaben zum Nachtheile. Man kann ihn hier wie sonst nicht davon freisprechen, eine allzu nachlässige Quellen-Kritik betrieben zu haben. Indem er das vierte Evangelium als Quelle aus dem ersten christlichen Jahrhundert annimmt, gelangt er dahin, den Charakter Jesu auf unhistorische Weise anzuschwärzen. Sein Blick ist durch die Nebel der Zeiten hindurchgedrungen, und hat manchen Zug erschaut, welcher der grossen Gestalt wesentlich zuzugehören scheint. Zuweilen jedoch lebt er sich zu persönlich in sie ein, modernisirt sie unwillkürlich und legt ihr seine Lieblingseigenschaften bei, so zum Beispiel, wenn er Jesus den Gründer „der grossen Lehre von der transscendenten Geringschätzung“ nennt. Man kann sich manchmal des peinlichen Eindruckes nicht erwehren, er sei selbst Modell gestanden.

      Renan liebt Jesus, wie er die grossen Sanften und Weisen liebt. Genau so liebt er Marcus Aurelius. Dagegen hat er eine lebhafte Antipathie gegen die Gewaltthätigen, die Fanatiker, die Männer der That in der Welt der Religion. Paulus ist ihm zuwider, gleichwie Luther.

      Renan wuchs während der Behandlung seines grossen Gegenstandes. Je weiter die Arbeit gedieh, in desto höherem Grade wurde er ihr gewachsen. Je mehr er den Stoff unter seinen Händen sich formen sah, um so voller bemächtigte sich auch seiner das beruhigende Gefühl geistiger Ueberlegenheit. Der steigenden Ueberlegenheit aber gesellte sich steigende Gleichgiltigkeit gegen das Urtheil der Welt über ihn.

      Es entwickelte sich bei ihm eine Menschenverachtung, so gross, dass sie gutmüthig erschien, es in der That auch war.

      Sein immer weiterer, freierer Blick offenbarte sich in der zunehmenden Herrschaft über seinen Stoff. Deutschland besitzt verschiedene Fachmänner von dem Range Renan's, ja nicht wenige, die ihn an Gelehrsamkeit, sowie an streng wissenschaftlichem Geist überragen. Allein sie vertiefen sich so sehr in ihren Stoff, dass ihre Persönlichkeit sich ganz darin verliert. Sie schweben nicht über demselben. Sie sind Bücher- nicht Weltmenschen; Kritiker, nicht Baumeister; Forscher und Denker, nicht zugleich freie Geister und Künstler. Ein freigewordener Geist aber, der, über seinem Stoffe schwebend, diesen kraft seiner Lebenserfahrung behandelt – eben dies war Renan.

      Diese spielende Herrschaft über die von ihm behandelten Gegenstände verdankte er jedoch dem seine Originalität zuletzt bestimmenden grossen Factor – Paris.

      Paris gab ihm den tiefen Ekel vor der Pedanterie ein, lieh ihm überhaupt erst die letzte, volle Ueberlegenheit. Sie gestaltete sich zum Schlusse auch zur Ueberlegenheit über Paris; aber das Entscheidende war, dass allmälig der Bretagner zum Pariser, der Jünger Herder's zum Franzosen der Hauptstadt geworden war. Bis 1870 noch ein halber Deutscher, wurde er nach dem Kriege und dem Friedensschlusse ein ganzer Pariser und erhielt im Alter erst seine rechte Jugend. Das aber, was in den geistig massgebenden Pariser Kreisen dem guten Ton sein Gepräge gibt, ist formvolle Rücksichtslosigkeit.

      Er hat viel von einzelnen Persönlichkeiten, viel von Berthelot als Denker, viel von George Sand als Schriftsteller gelernt (seine Landschaften erinnern an die ihren). Am meisten aber lernte er von Paris, und zuletzt war er ganz Pariser, wenn anders Jemand, der sechs- oder siebenerlei Culturen beherrscht, ja für sich allein eine kleine Culturwelt genannt werden kann, also zu heissen ist.

      Anfangs hegte er gegen Béranger, um dessen gutmüthiger Flachheit willen, wie wegen des Gallisch-Populären in ihm, eine lebhafte Abneigung. Er endete damit, in einer Béranger verwandten Weise, wenn auch in weit höherer Potenz, als es dieser gewesen, gallisch populär, väterlich scherzhaft zu werden.

      Er war zuletzt wie eine Quintessenz des französischen Geistes, ein Kraftauszug des feinsten, das dieser enthält. Mit dem eintretenden Greisenalter verklärte sich die Ueberlegenheit zu einer Art Serenitas, zu wolkenloser Heiterkeit und Klarheit.

      Davon gibt die kleine Reihe philosophischer Schauspiele, die Renan in den Jahren 1878 bis 1886 herausgab, beredtes Zeugniss.

      II

      Obgleich heutigen Tages die Theater fast gänzlich Unterhaltungsanstalten für die Armen im Geiste, für jenen beträchtlichen Theil des Bürgerstandes, der nicht lesen kann oder mag, geworden sind, bewahrt die dramatische Form nichtsdestoweniger für Viele ihren Reiz. Es ist die bündigste, geschlossenste Form, in welcher man ein Lebensbild, eine Handlung kennen zu lernen vermag. Wer über zwei Stunden und nicht mehr verfügt, wird nicht nach einem Romane, sondern nach einem Schauspiel greifen. Er weiss, alles nicht streng zur Sache Gehörige ist hier ausgeschieden.

      Auch andere Männer als eigentliche Dichter haben sich von der Gesprächsform angezogen gefühlt. Es sind das solche, deren Gedanken sich in Sphären bewegen, in welchen es keine unanfechtbare Wahrheit, keine volle Sicherheit gibt, wo vielmehr verschiedene Meinungen, Auffassungen, Ueberzeugungen zu Worte kommen können. Ausserhalb der Mathematik und der exacten Wissenschaften gibt es wenig unbedingt Sicheres, Vieles, worüber sich Verschiedenes für und wider sagen lässt. Innerhalb der Geisteswissenschaften ist beinahe Alles Gegenstand immer erneuerter Erörterung. Von diesem Gefühle beherrscht, schrieb Plato seine Werke in Dialogform. Das gleiche Gefühl führte in unseren Tagen Renan zu deren Anwendung. Kurz nach der Beendigung des französisch-deutschen Krieges schrieb er erst eine Reihe philosophischer Gespräche und brachte hierauf einige seiner Lieblingsideen in bestimmterer dramatischer Form zum Ausdrucke. In den Pausen zwischen seinen streng wissenschaftlichen Arbeiten hat er vier philosophische Schauspiele und ein Paar dialogisirte Prologe geschrieben.

      Sein Ausgangspunkt als Dramatiker war Shakespeare's „Sturm“, welcher – an und für sich höchst merkwürdig als der wahrscheinliche Schlussstein an Shakespeare's dramatischem Bau, wie als diejenige Arbeit des Dichters, die mehr als irgend eine andere tief und deutlich symbolisch ist – Renan durch das Sinnbildliche der drei Hauptpersonen: Prospero, Caliban und Ariel, ergriff.

      Caliban ist das formlose Naturwesen, der Urbewohner, halb Thier, halb Kannibale, roh und furchtbar, niedrig und dumm, eine Station erst auf dem Wege zum Menschthum. Prospero ist der Zukunftstypus einer höchsten Veredlung der Menschennatur, ein Wesen, das in gleich königlicher, genialer Weise sich die äussere Natur unterworfen und seine innere ins Gleichgewicht gebracht hat, alle Bitterkeit über erlittenes Unrecht in der Harmonie ertränkend, die seinem reichen Seelenleben entströmt.

      Prospero beherrscht die Naturkräfte. Statt ihm aber den Zauberstab der Ueberlieferung zu leihen, hat Shakespeare die Naturkraft selber zu seinem dienstbaren Geist gemacht. Ariel, das ist der Geist. Shakespeare, so scheint es, hat sich selbst als jenen Magus auf der verzauberten Insel des


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