Moderne Geister. Georg Brandes

Moderne Geister - Georg Brandes


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Empörung.

      Folgendes bildet die Voraussetzung des Stückes: Jedes Wesen ist undankbar, alle Erziehung kehrt sich wider den Erzieher; das Erste ist stets, die Waffen, die er die subalterne Persönlichkeit gebrauchen lehrte, gegen ihn zu kehren. So im Verhältnisse der Klassen zu einander, so im Verhältniss der einzelnen Persönlichkeiten im öffentlichen Leben.

      Caliban verabscheut seinen Erzieher, Wohlthäter und Zuchtmeister Prospero. Ariel hingegen verehrt ihn, denn er erfasst Prospero's Gedanken. Prospero glaubt, dass Gott die Vernunft ist, und arbeitet darauf hin, dass Gott, das heisst die Vernunft, sich die Welt mehr und mehr unterthan mache. Prospero glaubt an den Gott, der das Genie im genialen Manne, die Güte in der zärtlichen Seele, überhaupt das allgemeine Streben nach der Existenz dessen ist, was allein in Wahrheit existirt.

      Man verachtet den Herzog an seinem Hofe, wie man einen Regenten, der gelehrt ist, verachtet. Man hat nur vor demjenigen Respect, der todtschlägt, und Prospero wird von einer „Revolution der Verachtung“ bedroht.

      Wir sehen hierauf Caliban den gemeinen Mann aufwiegeln. Er spiegelt diesem vor, Prospero beute das Volk aus. Es gelte, sich seiner Bücher und Destillirkolben zu bemächtigen. Man bittet Caliban, die allgemeine Glückseligkeit zu decretiren. Er verspricht, es zu thun, wenn die Zeit dazu komme: Später, später! – Es lebe Caliban, der grosse Bürger! – Er empfängt Processionen, Deputationen und Gesuche, wird Volksredner, verspricht, Alle zufrieden zu stellen: Wir sind aus euch hervorgegangen, wir wollen für euch wirken, wir existiren durch euch.

      Abends legt er sich in Prospero's Bett zur Ruhe. Er grübelt: Ich war ungerecht gegen Prospero. Welche Begehrlichkeit nach Genuss! Welches Umsturzverlangen! Eine Regierung muss Widerstand leisten. Ich will Widerstand leisten.

      Schon ist er hoch conservativ, sieht ein, dass Schlösser, Hoffeste, fürstliche Pracht die Zierde des Lebens seien.

      Da Künstler und Schriftsteller die Ehre eines Reiches sind, will er Kunst und Literatur heben und fördern. Doch der Mittelpunkt aller seiner Gedanken bildet Imperia, die reizende Courtisane – wohl bekannt aus Balzac's „Contes drôlatiques“ – die kürzlich bei einem Feste in Prospero's Palaste, bei welchem verschiedene Lebensanschauungen zur Erörterung gekommen, die Sache der Liebe verfocht. Er will ihre nähere Bekanntschaft machen.

      Es bleibt Prospero nicht lange unbekannt, dass Caliban, sein Thier, sein Ablöser geworden. Ariel's Phantasmagorien haben sich den Schaaren Caliban's gegenüber als unwirksam erwiesen; Niemand unter diesen Schaaren glaubt mehr an Zauber, und die Aufrührer haben Prospero's Pulver und Kriegsmaschinen in Gebrauch genommen. Bei der nun folgenden Berathung über die zu ergreifenden Massregeln äussert sich Renan über den geringen Nutzen, welchen er sich von dem Elementar-Unterrichte verspricht, indem er „Simplicon“ die Replik in den Mund legt, „allgemeiner obligatorischer Schulunterricht würde allen Uebeln abhelfen“. Der gemässigte Bonaccorso aber spricht das erlösende Wort, die neue Regierung scheine wohlgesinnt; Caliban sei bereits der Mittelpunkt der gemässigten Partei.

      Die Inquisition tritt auf. Caliban beschützt Prospero. Er ist nicht nur massvoll, er ist anti-clerical, hat also eine gute Eigenschaft mehr. Allmälig beschützt er Alles und Alle: den Papst, die Künstler, die Wissenschaften und Prospero gegen den päpstlichen Legaten: „Ich will ihn nicht ausliefern, sondern ausnützen“.

      Prospero resignirt, und die Moral des Stückes wird vom Prior des Karthäuser-Klosters ausgesprochen: „Ist er nur ordentlich gekämmt und gewaschen, so wird Caliban sehr präsentabel“.

      Es liegt eine Verachtung, deren Tiefe sich schwer ermessen lässt, in dieser Huldigung der einst revolutionären, jetzt moderaten oder conservativen Demokratie. Und ebenso birgt sich eine tiefe Ueberzeugung von der Nichtigkeit des Weltlebens hinter dem leichten Spiel der Handlung.

      Das Gespräch der Hofleute im zweiten Acte erörtert die Frage nach einem festen Halt im Leben. Die Familie, schlägt der Eine vor. – Da müsste man überzeugt sein, die eigene Familie sei die beste, und sich sogar davon nicht beirren lassen, dass alle Anderen der gleichen Ueberzeugung sind. Das ist denn also Vorurtheil, Eitelkeit. Und was von der Familie gilt, gilt auch vom Vaterlande. Man geht nur darin auf, so lange man an dessen besondere Vortrefflichkeit glaubt. – Nein, sagt ein Zweiter, auserlesene Genüsse, das ist das einzig Solide. – Gut, wenn nun aber Alle geniessen wollen? – So halten wir sie mit gewappneter Hand nieder. – Wie aber, wenn die Waffe sich gegen den kehrt, der sie gebrauchen will? Nein, besser doch, sich auf die Nation zu stützen. – Was wir unter Nation verstehen, entspricht nur den Interessen einer Minderzahl. Wie soll man in der Zukunft die Vielen dazu bringen, ihr Leben für die Interessen der Wenigen aufs Spiel zu setzen? – Dadurch, dass man sie aufklärt? – Keineswegs, gerade im Gegentheile. Sich für eine Sache todtschlagen zu lassen, ist eine grosse Naivetät, die grösste Naivetät, da sie nicht wieder gut zu machen ist. Bedenken Sie, dass Millionen sich todtschlagen liessen für collective Wesen, wie der Staat, die Kirche! – Gleichviel. Nun wären sie dennoch todt. – Wenn Türken und Christen sich schlagen, so glauben sie ins Paradies zu kommen, wofern sie in dem heiligen Kriege fallen. Gibt es aber das Paradies der Einen, so gibt es das der Anderen nicht. Noch denken sie nicht, dass es also wahrscheinlich keines der beiden Paradiese gebe. Eitelkeit! – Sehen Sie die Türken! Man treibt sie mit Hilfe falscher Wechsel auf das ewige Leben in die Schlacht. – Solche falsche Wechsel sollten verboten werden. Sie führen eine Inferiorität der civilisirten Völkerschaften, die nicht daran glauben, herbei. Der Roheste bleibt Sieger und wird als Sieger noch roher. – Mit anderen Worten: Die Aufklärung vernichtet die Widerstandskraft der Völker. Alles ist eitel. Die Philosophie, welche die Vorurtheile zerstört, zerstört damit das Fundament des Lebens selbst.

      Nur die Schönheit tritt während dieser Niedermetzlung anerkannter Mächte, in der Gestalt Imperia's verkörpert, als eine bewunderte Wirklichkeit hervor. Wie zum Trotze, doch nicht aus Trotz hat Renan in seinem Schauspiele die grosse Courtisane zur Vertreterin der Schönheit und Liebe gemacht. Sie personificirt die Welt der Schönheit, wie Prospero die des Gedankens. Balzac hatte sie mit künstlerischer Begeisterung gemalt; Renan erkennt sie als vollberechtigte Lebensmacht an und verhandelt mit ihr wie von Macht zu Macht.

      Er lässt sie die Unvergänglichkeit der Schönheit und der Liebe verkünden. Alles ist flüchtig, doch das Flüchtige ist zuweilen göttlich. Seht den Schmetterling. Nur innerhalb eines ganz kurzen Abschnittes im Leben des Wurmes existirt er, wie im Dasein der Pflanze nur wenige Augenblicke die Blume ist. Die Liebe aber thut das Wunder, dass das plumpe kriechende Insect beflügelt und ideal wird. Das Leben des Falters ist während einiger Stunden das Höchste: blühen, lieben, sterben.

      Imperia kommt aufs neue als Brunissende, die Liebhaberin des Papstes, im Schauspiele „Der Jungbrunnen“ vor, hier leichtfertiger, doch in den Augen Renan's deshalb nicht minder sympathisch. Sie ist hier tiefer weiblich, ist eitel Stärke und Schmachten. Sie hat jede Schwäche und nimmt dennoch die Welt in Besitz. Sie vertheilt alle Einnahmen des päpstlichen Stuhles nach Lust und Laune. Um so besser! heisst es. Des Weibes Schönheit ist ein Gut von höchstem Range, von gleich hohem Range wie Vernunft und edle Gesinnung: „Alle geistlichen Einnahmen sollten zu Toiletten-Ausgaben für schöne Frauen und zu Jahrgeldern für geistvolle Männer verwendet werden“.

      „Der Born der Jugend“ ist trotz seiner Mängel ein von Geist sprudelndes Stück. Es spielt am päpstlichen Hofe in Avignon und hat eine ganz schwache Localfärbung, auch keine stark historische, die sie sogar ausdrücklich vermeiden will.

      Renan hat hier seinen Prospero wieder aufgenommen und ihn als die überlegene Intelligenz erscheinen lassen, die zur Zeit ihrer Autorität über die Menschheit verlustig geworden ist. Seine magischen Mittel haben ihre Kraft verloren. Doch ob schwach und entwaffnet, er verfolgt gleichwohl sein Problem: die Erlangung der Macht mittelst der Wissenschaft. Er hat verschiedene wunderbare Essenzen erfunden, darunter ein Lebenselixir, das verjüngende Kraft besitzt. Der Papst, der nach einer etwas übermässig angestrengten Jugend sehr mitgenommen ist, behält ihn in seiner Nähe, um von den Resultaten seiner wissenschaftlichen Versuche Nutzen zu ziehen. Doch hat er grosse Mühe, ihn vor den Nachstellungen der Inquisition zu schützen.

      Man glaubt, dass Prospero Gold machen könne. Er hegt gar nicht diesen Wunsch. Wozu auch? Könnte man doch, wenn es möglich wäre, ebensogut Blei machen


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