Benno Stehkragen. Ettlinger Karl

Benno Stehkragen - Ettlinger Karl


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als würdige Einleitung zu der Arbeitshetze, die nun alltäglich einsetzte.

      Da gab es Stöße von Fakturen auszuschreiben, zu berechnen, nachzurechnen, Wertpapiere aus den Schränken und Gewölben zu entnehmen, vielseitige Nummerverzeichnisse anzufertigen, Couponbogen und Coupons auf ihre Richtigkeit zu prüfen, Wechsel zu girieren, endlose Einträge in dicke Bücher vorzunehmen, Briefe, Briefe, Briefe zu schreiben.

      Da gab es Dutzende von Unklarheiten, Mißverständnissen, Fehlern, ewig wiederkehrenden Dummheiten.

      Telephone und Haustelephone läuteten ununterbrochen, gellende Klingelzeichen riefen Angestellte in die Direktion und zu den Prokuristen, Türen wurden heftig zugeschlagen.

      Jedermann befand sich in gereizter, überhitzter, aggressiver Stimmung, die sich bei der geringsten Kleinigkeit in Grobheiten und Wutausbrüchen entlud.

      »Zum Donnerwetter, was legen Sie da für einen Wisch auf meinen Platz?«

      »Das ist nicht meine Arbeit! Das geht mich gar nichts an!«

      »Fragen Sie nicht so albern! Woher soll ich das wissen?«

      »Es gibt doch nichts Dümmeres auf der Welt als ein Weib! Wenn wir nur keine Weiber mehr im Geschäft hätten!«

      »Sie sehen doch, daß ich jetzt keine Zeit hab’! Scheren Sie sich zum Kuckuck!«

      »Ach was, beschweren Sie sich bei der Direktion, wenn’s Ihnen nicht paßt!«

      Mitunter wurden sogar Ohrfeigen angeboten, und manchmal kam es um ein Haar zu Tätlichkeiten.

      Nur ein Beamter ließ sich nicht aus der Ruhe bringen, das war der dicke Rehle. Rauchend und schnupfend behauptete er seinen Schalterplatz im Wechselbureau, mit unerschütterlichem Humor gefeit gegen alle Anstürme.

      »Fräulein Scheckel, komm emal ’ebei! Schleich dich emal zu merr, mei Herzche! Was hast de dann da widder for’n Stiwwel zesammegerechent?«

      Und nachdem das Fräulein »Scheckel« zerknirscht seinen Fehler eingesehen hatte:

      »Da hast de mei Radiermesser! Geh hin unn besser’ dich! Sonst kriehst de dei Lebdag kaan Mann unn sterbst als ahl Jungfer, mit eme Mops unn zwaaundreißig falsche Zähn’!«

      Es wäre freilich praktischer gewesen, das Fräulein hätte gleich ein Loch in die falsche Nota radiert. Denn die Rasur entging nicht dem geschärften Auge Rittershausens, dem alle Schriftstücke, ehe sie das Bureau verließen, vorgelegt werden mußten.

      Und alsbald krähte seine langweilige Stimme: »Radierte Notas dulde ich nicht! Fräulein Bär, schreiben Sie die Nota ab!«

      Vorsichtshalber zerriß er sie gleich in zwei Hälften.

      »Schreib’ die Nota ab,« echote der dicke Rehle. »Merr hawwe ja Zeit! Es is noch lang bis Mitternacht!« –

      »Guten Tag, Herr Stehkragen!« begrüßte Martha ihren Pultgenossen nachmittags.

      »Guten Tag, Fräulein Nelke!« erwiderte Benno.

      Sie quittierte die naive Huldigung wieder mit einem freundlichen Lächeln und reichte ihm gewohnheitsmäßig ihren Bleistift und Tintenstift zum Spitzen hin.

      Benno war durch jahrelange Übung ein Künstler auf diesem Gebiete geworden.

      So ein Bleistift is wie eine Zwiebel, dachte er. Da kommt auch immer eine Schal’ nach der anderen, bis merr auf den Kern stößt. Oder man kann auch sagen: er is wie ein Verband, oder wie e Wickelgamasch’!

      Für alle Dinge und kleinen Ereignisse seines Lebens fand er Vergleiche und Bilder. Und wenn auch diese Metaphern oft recht kindlich und töricht waren, sie bereiteten doch seinem talmudistisch geschulten Geist eine harmlose Freude und eine gewisse Genugtuung, die nicht ganz frei war von unschuldiger Eitelkeit.

      »Danke schön!« empfing Martha ihre messerscharf gespitzten Stifte zurück, die ihr der kleine, bucklige Benno mit der Grandezza eines Mundschenks überreicht hatte.

      Und dieses »Danke schön« klang noch tausendmal schöner als vormittags das »Adjö«.

      Das »Adjö«, das war das silberhelle Klingen einer Tischglocke, dieses »Danke schön« aber, das war das bedeutungsvolle Dröhnen der Sturmglocke oben im Dom, die nur bei Großfeuer geläutet wurde.

      Und es war ja ein Großfeuer entstanden: Schon brannte der kleine Benno Stehkragen lichterloh.

      Gegen vier Uhr gab es in der Industriebank eine kleine Vesperpause.

      Die meisten Beamten, bis über den Kopf in dringlichen Arbeiten steckend, begnügten sich damit, ihre Brote und Brötchen auszupacken, um unter der Arbeit hie und da einen Happen abzubeißen.

      Die natürliche Folge war, daß es alle Tage einige Fettflecke auf Briefen und Fakturen gab, die nun neu geschrieben werden mußten, was ebenso natürlich die Ursache zu neuem Ärger, neuen Vorwürfen, Schimpfen und Gezänk abgab.

      Im Couponbureau, dessen Tätigkeit weniger von der Börse abhing, so daß sich hier die Arbeit gleichmäßiger auf den ganzen Tag verteilte, gönnte man sich eine geruhigere Vesperpause.

      Aber während dieser Vesperpause blickte Benno nicht zu Martha hinüber.

      Denn in dieser Vesperpause trat Herr Wittmann an das Pult, um kauend sich ein bißchen mit Martha zu unterhalten.

      Benno steckte seine Nase tiefer in die Couponpäckchen, er wollte nicht hören, was die da drüben plauderten. Er wollte nicht.

      Aber er konnte doch nicht hindern, daß Marthas helles Lachen zu ihm herüberdrang, und daß einzelne Sätze an sein Ohr schlugen wie Peitschenhiebe.

      Meistens sprachen die beiden vom Theater.

      Martha ging oft in die Oper, und auch Herr Wittmann schien über die Vorgänge vor und hinter den Kulissen gut unterrichtet zu sein.

      Es fiel Benno auf, daß Wittmann seltener die Kunstwerke als die darstellenden Künstler kritisierte, die er offenbar für den wichtigeren Teil hielt, und daß er nach Altfrankfurter Tradition mit Vorliebe, auf Kosten der gegenwärtigen Bühnenkräfte, ehemalige, zum Teil längst verstorbene Theatergrößen Frankfurts himmelhoch pries.

      Gar bittere Empfindungen flammten in Benno während dieser Vesperpause empor.

      Der reine Himmel seines Kindergemüts überzog sich mit dicken, schwarzen Wolken, die Sonne war erloschen, und ihm war, sie würde nie, nie mehr scheinen.

      Am liebsten hätte er sich die Ohren mit beiden Fäusten zugehalten.

      Am liebsten hätte er den Kopf in ein großes Tintenfaß gesteckt, wie der Nikolaus im Struwwelpeter die bösen Buben. Um nichts zu sehen und zu hören.

      Wenn ich jetzt nicht der Benno Stehkragen wär’, dachte er, sondern der Benno Strauß, – dann tät’ ich mein’ Kopf in den Sand stecken – und tät’ nix hören – und nix gucken, – sondern ich tät’ nur ganz hinten mit der Schwanzfeder abwinken: »Hört auf! Aufhören sollt ihr!!« – und ich tät’ …

      Am liebsten hätte er jetzt den Bleistift und den Tintenstift Marthas genommen, die Stifte, die er mit so viel Hingabe gespitzt hatte, und hätte wie ein unartiger Schuljunge absichtlich die Spitzen abgebrochen: »Da! Da! So! Das ist dafür, daß du mich so mißhandelst!«

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