Robert Blum. Blum Hans
wie er der Gegenwart Noth thut.
Ziel- und zwecklos schlenderten wir durch die Straßen, der Dinge harrend, die da kommen sollten. Aber auf dem Markte war plötzlich ein graues Denkmal zu erblicken, ein wanderndes, ein verwittertes Monument vergangener Zeit: der alte, biedere, viel verketzerte, vielgekränkte, aber gewiß ehrwürdige Jahn. Seine Erscheinung erregte Aufsehen und sammelte einen Kreis von Menschen um sich, die ihn mit neugierigen Blicken, wie einen Fremden aus ferner unbekannter Welt anstaunten. Und er ist ein Fremder in unserer Zeit; seine historische Bedeutung, seine öffentliche Existenz knüpft sich an einen Himmelsstrich der Weltgeschichte, der dem unsrigen sehr fern liegt, und dessen Dasein unsere Enkel gar nicht mehr begreifen werden. Jahn ist das Monument des Deutschthums von 1812 und 1813. Mochte dieses Deutschthum abstoßend sein in einigen Formen, unfreundlich in seiner äußern Schroffheit, es war eine Zeiterscheinung voll Kraft und Hoffnung, voll Mark und volksthümlichen Lebens, voll schöner Keime und mächtig schwellender Fruchtknospen; es war begreiflich, daß ein Mann sich dieser Richtung ganz hingab und den geistigen Kern der Sache zur Anschauung brachte durch seine Bestrebungen. Jahn hat das gethan, mit Liebe und Eifer gethan, und seine ganze Individualität daran gesetzt. Das eben ist sein Unglück, daß sein geistiges Sein aufging in diesen Bestrebungen; denn als die Gestalt der Dinge sehr bald sich änderte, als man ihn von sich stieß, er aber auf der eingeschlagenen Bahn beharrte, da verstand ihn bald die Welt nicht mehr und er ward zur Carricatur seiner selber. Das alte Lied vom Franzosenhaß klang inmitten neuer Lebensfluthen wie ein altes Zauberlied in Ossianischer Sprache, das ein grauer Barde vom einsamen Felsen singt, um die Fluth zu beschwören; aber die Fluth will sich nicht mehr bannen lassen, und die Schiffer, die mit neuen Wimpeln segeln, lachen über die alte seltsame Weise. So stand Jahn vereinsamt da im wechselvollen Leben und tappte blindlings umher, um die neuen Zustände zu erfassen, die ihm entschlüpften, weil die Spekulation an die Stelle der That getreten war. Da wurde er Greis aus Verzweiflung, und als eine Ruine vergangenen Lebens wandelte er gespenstisch durch die Gegenwart. So steht er noch da; seine Gestalt, seine männliche Haltung und der kräftige Ausdruck seines Gesichtes repräsentiren die Kraft der That und den eisernen Muth der Hoffnung, indessen sein schneeweißes Haar an den Verfall seiner Epoche gemahnt. Sein silberweißes Bart- und Haupthaar flattert verstreut im Winde, wie die Hoffnungen und Entwürfe von 1813 spielend verweht wurden von dem Zugwinde wankender Menschentreue. Lacht nicht über diese Ruine, Zeitgenossen! Ehrt sie und denkt an unser eigenes Schicksal! Unsere Zeit ist ganz geeignet, das männlich schlagende Herz zu beruhigen in harmlosem Wahnsinn. Wer weiß, ob nicht auch wir stereotyp werden mit unsern Träumen künftiger Weltgestaltungen, ob wir nicht fortphantasiren und an der Speculation hangen bleiben, wenn das Leben erwacht ist zur That. Man soll uns dann nicht verlachen! Es war ja das heiße Herzblut, die schöne Kraft der Jugend und die goldene Hoffnung der Zukunft, womit wir diese Träume gepflegt und genährt.“
Nachdem dann der Festzug und die begeisterte Ovation geschildert ist, welche die Leipziger Studentenschaft dem alten Jahn darbrachte, heißt es weiter: „Der Bischof Dräsecke aus Magdeburg hatte jetzt die geschmückte Kanzel bestiegen und die Seminaristen von Weißenfels sangen eine Motette, worauf der Bischof das Gebet sprach. Dann ward ein von Würkert gedichtetes Festlied gesungen. Der Bischof hielt nun die Weihrede, die, wenn auch nicht das beste Product dieses genialen Kanzelredners, ganz der Feier angemessen, voll erhabener schöner Gedanken, geistreicher Wendungen und tiefer Empfindung war. Historische Erinnerungen und eine treffliche Anwendung der Bibelstellen auf das Denkmal bildeten den Inhalt. Mit wahrhaft begeisternden Worten bereitete der Redner die Enthüllung des Denkmals vor, die auf seinen Wink erfolgte; die Hülle wollte nicht herab, das Monument des edlen königlichen Helden und einer thatkräftigen, lebensrüstigen Zeit hielt sein graues Gewand fest, um nicht enthüllt zu erscheinen vor einer blos denkenden, thatunlustigen Gegenwart. Und der Bischof war der einzige, der es feierlich und freudig begrüßte; die fernen Instrumente schmetterten ex officio einen obligaten Jubel, und die Kanonen riefen ein dumpfes „Willkommen!“ Man hatte das Pulver gespart, oder beim Laden Rücksicht genommen auf das zarte Geschlecht; sie knallten wie eine Windklapper, die ein Knabe sich von Papier faltet. Nicht ein Ruf der Freude, nicht ein Zeichen des Beifalls, der Theilnahme und Erhebung gab sich kund bei der versammelten Menge. Begeisterung und Enthusiasmus standen nicht in der Festordnung, und der Deutsche hält fest am Vorgeschriebenen. Nur eine Lerche flog trillernd über das Monument hin und schmetterte die Jubelhymne der Freiheit durch den weiten Himmelsraum; sie verschwand im unendlichen Dome, wie der Lichtgedanke der That, den Himmel suchend, verschwindet. – Auch die Sonne trat heraus aus ihrem grauen Morgenanzuge und grüßte hellstrahlend das Denkmal eines leuchtenden Menschengestirns; aber sie zog den Schleier bald wieder zu, als sie die kalten Menschenherzen erblickte, die es umstanden.
Eine bunte Menge trieb sich nach der Feierlichkeit um das Monument herum, dasselbe bewundernd, erklärend und kritisirend. Die weite Ebene war bunt bewegt und glich in ihrer wirren Lebendigkeit einem aufgescheuchten Bienenschwarme. Ich hatte mich an den alten Invaliden gedrängt, der freudestrahlenden Blickes dastand in der Volksmenge und mühsam sich aufrecht zu erhalten suchte im wilden Gedränge. Er war sehr glücklich der gute Alte, über seine Versorgung, die ihm monatlich 8 Thlr., freie Wohnung und freies Holz bringt. Hier kann er träumen von Schlachten und Siegen, kann die Gespenster ziehen sehen, Nachts über die Todesebene, bis der Tod ihn zur Ruhe ruft mit dem letzten Zapfenstreiche. Der Alte war besonders sehr glücklich, daß der hochwürdige Bischof auch ihn erwähnt habe in seiner Rede und gesagt: „er solle in der Bewachung des Monuments seine letzte Erdenwache verrichten;“ es war noch Ehrgeiz in seiner Brust, denn er that sich viel darauf zu Gute, daß er der Einzige sei von allen Wächtern, der dieses Fest erlebte. Ich fragte ihn, wo er sein Bein verloren habe? er zeigte nach Leipzig und sagte mit selbstgenügsamem Witz: „dort habe ich’s gesäet, damit es keime und wachse und ich mir neue Beine holen kann, wenn dies eine alt und schwach wird. Ist’s nicht aufgegangen, lieber Herr?“ Armer Mann! begrabe deine Hoffnung, scharre deinen zerrissenen Kranz ein zu deinem Beine; du hast in ein unfruchtbares Feld gesäet. Leipzigs Auen geben die Saaten nicht vervielfältigt zurück, die man ihnen vertraute, sie liegen wie ein Lebendigbegrabener in der stillen Erde und ringen ununterbrochen den furchtbaren Kampf zwischen Tod und Leben. Wenn man einsam dahinwandert über die blutgedüngten Felder, so hört man ihr verzweifeltes Aechzen und das Blut stockt im warmen Herzen, die Nerven durchzuckt es fieberisch, und man möchte die Erstickenden befreien mit Aufopferung des eigenen Lebens. Aber ein böser Zauber hält sie gefangen, und noch ist der Glückliche nicht erschienen, der ihn zu lösen vermag. Gustav Adolf der neuen Zeit, wo weilst Du?“
Im Gegensatz zu der Gleichgültigkeit der Spießbürger Lützens wird dann die schöne Begeisterung der Studenten und Bürger Leipzigs, ihre in Lied und Wort mächtig durchdringende patriotische Feststimmung geschildert. Daß Robert Blum selbst einen der begeistertsten Trinksprüche ausbrachte, verschweigt er bescheiden. Zum Schlusse schreibt er: „Um die Lohe der rings um das Denkmal aufgehäuften Pechfackeln schallte brausend das frohe „Gaudeamus“ als Schlußgesang zu dem lichten Nachthimmel empor. Während desselben stiegen in der Ferne zwei Raketen auf, wahrscheinlich eine Ueberraschung, die die Stadt Lützen ihren Gästen bereitet hatte!“
Die Menge verlief sich, nur der Invalide blieb einsam an dem stillen Denkmal, welches zu wachsen schien in der dunklen Nacht, als ob es emporsteigen wolle zu den Sternen. „Wir bedürfen großer Mahlzeichen, sagte der Bischof Dräsecke, an denen wir ausruhen von großen Thaten und uns ihrer erinnern.“ Dort standen zwei Mahlzeichen vergangener kräftiger Epochen nebeneinander; das eine erhob sich siegend in der Gegenwart, obschon es zwei Jahrhunderte trug; das andere stand nur gespenstig noch aufrecht und wankte, mit nur 24 Jahren belastet, der Vergessenheit zu. Wie verschieden die Ergebnisse der Weltgeschichte sind. Der Himmel lag licht und sternenklar ausgebreitet über der Ebene und der Mond erhellte sie mit freundlichem Lichte; Sternschnuppen flogen durch die stille Nacht und berührten wie tröstende Gottesgedanken das schmerzlich zuckende Herz, tief im Innern neue Hoffnung und Zuversicht erweckend, und in die Seele tönte es wie Engelchöre, welche sangen:
Eine feste Burg ist unser Gott,
Ein gute Wehr und Waffen;
Er hilft uns frei aus aller Noth,
Die uns itzt hat betroffen.
Wir wollen ihm vertrauen, dem Gotte der im Himmel thront und in der reinen Brust des Menschen,