Die Mumie von Rotterdam, Zweiter Theil. Döring Georg
heißt die Losung: dort finden wir sie wieder!«
Von günstigen Winden getragen, schwebte der lustige Freier von Rotterdam dem Hollands-Diep zu. Bald sah man die Barke nur noch wie einen kleinen schwarzen Punkt, in weiter Entfernung hinter sich. Noch einige Minuten lang konnten die scharfsichtigen Blicke der Leydener Studenten sie erreichen. Dann war sie ganz verschwunden.
2
In Cornelius Armen erwachte Jungfrau Clelia van Vlieten aus tiefer Bewußtlosigkeit. Noch war sein Gesicht von Pulverdampf geschwärzt, versengte Haare hingen auf die Stirn herab. Als sie ihn erkannte, fuhr sie erschrocken zurück. Die Erinnerung des Geschehenen erwachte in ihrer Seele. Welchen schrecklichen Gefahren hatte sich nicht der Geliebte blos gestellt, wie leicht konnte er nicht von den ergrimmten Feinden bemerkt, von ihnen auf das Grausamste behandelt, wie leicht konnte er nicht selbst in das Verderben mit hineingerissen worden seyn, das er jenen durch seine verwegene That bereitet! Aber war diese denn nicht auch um ihretwillen unternommen worden? Ach, aus der Tiefe ihres Herzens erklang eine Stimme, die ihr die Versicherung gab, daß nur die Liebe zu ihr den jungen Mann zu einem so kühnen Werke habe begeistern können! Sie sah Jansen in ihrer Nähe, sie sah sich und den Geliebten von Seeleuten umgeben, die neugierig auf Beide blickten. Ihre ganze Lage wurde ihr jetzt deutlich. Schüchtern schlug sie die Blicke nieder.
»Führt mich in die Cajüte!« sagte sie leise zu Cornelius, aber in einem so zärtlichen Tone, wie sie noch nie zu ihm gesprochen hatte. Entzücken ergriff seine Seele. Er sah ein, daß jetzt erst Clelia’s Liebe zu ihm ihre ganze Stärke gewonnen habe, daß sie in ihrer ganzen Macht ihr selbst klar geworden sey. Bisher war das Mädchen noch mehr Kind als Jungfrau gewesen, sie hatte mit den Gefühlen ein leichtes, ihr wohlgefälliges Spiel getrieben, sie hatte den beschränkten Blick nicht über den Kreis ihres Hauses erstreckt. Der heutige Tag mit seinen vielfachen, wunderlich verschlungenen Begebenheiten hatte sie gereift. Sie erkannte die Kraft der Liebe, sie fühlte sich ihr unterthan, sie wußte nun, daß die Empfindungen, die ihr früher ein Spiel gewesen, ihre Beherrscher geworden waren.
»Nehmt mir das Schwesterlein wohl in acht!« rief Frau Beckje, die eben vom Cajütendache herab, nach ihrem Manne hinsprang, ihm zu. »Ihr habt doch kein Feuerwerk mehr bei Euch, womit Ihr dem Kinde Schaden thun könntet, etwa unter’m Kleide in der Gegend des Herzens?«
Cornelius befand sich nicht in der Stimmung, diese Neckerei zu beantworten. Hätte er aber auch gewollt, so würde seine Rede nur vergebens gewesen seyn, denn Beckje war rasch wie der Wind an ihm vorübergeflogen, um ihrem lieben Jansen ihre Freude über den Sieg und sein Wohlergehen an den Tag zu legen.
In der Cajüte fand Junker van Daalen und seine schöne Begleiterin die beängstigte Philippintje auf den Knieen liegend und sinnlose Gebete vor sich hin plappernd. Sie hatte nicht den Muth sich umzuwenden, um die Eintretenden zu betrachten und ihre guten Freunde in ihnen zu erkennen.
»Sie kommen, sie kommen!« zeterte sie im Tone des Entsetzens. »Sie sind da die spanischen Belialssöhne und wollen mich und mein himmlisches Theil. Warum habe ich doch immer auf den Schiwa geschimpft und ihm nicht Ehre erwiesen, wie der hochmögende Heer van Vlieten gethan aus guten Gründen und in weiser Absicht! Jetzt könnte mir der Heidengott beistehen gegen die satanischen Spagnols, die kein Erbarmen haben und alle Ketzer brennen, wie wir daheim in Rotterdam die liebliche Caffeebohne – «
»Ruhig, ruhig, Jungfrau Philippintje!« unterbrach sie Cornelius. »Wir sind es ja: Clelia und ich!«
Die Knieende starrte betäubt zu ihnen auf. Sie schien jetzt zu wissen, wer vor ihr stand, aber ihre Angst wollte nicht weichen, ebensowenig wie der Irrthum, der sich ihrer bemächtigt hatte. Sie betastete mit zitternder Hand Cornelius verbrannte Kleider. Dann sagte sie gepreßt:
»Er hat uns, das ist gewiß! Den edeln Junker hat er schon angefangen zu braten und dann mit Wasser wieder das Feuer gelöscht, damit die Qual desto länger dauere, da sind die deutlichsten Spuren: die verbrannte Krause, die geschwärzte Stickerei am Rocke, die Wasserflecken am ganzen Leibe. Die Männer werden gebraten, die Frauen in’s Kloster gesteckt. Ach, Clötje, mein Kind, du siehst schon aus, wie eine unglückliche Nonne, bleich und abgezehrt, schmachtend und verschmachtend! Wir werden nimmermehr den würdigen Domine schauen, nie mehr den süßen Ton seiner Rede hören: ein Mönch, ein entsetzlicher Mönch mit Kutte und Strick angethan, wird an unserer unsterblichen Seele zerren, bis er sie hinabgezerrt hat in den höllischen Schwefelpfuhl – «
»Holland und England!« fiel jetzt der ungeduldig werdende Junker mit rauhem, lautem Tone ein! »So nehmt doch nur Vernunft an! Der Spagnol kann uns nichts mehr thun, er wird uns weder braten noch sieden, im Gegentheile ist er halbgebraten auf gen Himmel und wieder hinab in die Wogen gefahren. Wir haben ihn in die Luft gesprengt.«
»In die Luft,« – sagte die staunende Philippintje, indem einige Röthe auf die gefurchten Wangen zurückkehrte und sie sich halb vom Boden erhob. »Ihr habt ihn gesprengt,« fuhr sie zweifelnd fort, »ganz auseinander gesprengt, den Spagnol, so daß nichts mehr von ihm da ist, auch nicht ein Stückchen, ein Arm oder ein Bein, mit dem er uns ein Uebles thun könnte?«
»Weder Arm, noch Bein, noch Fuß und Hand!« versetzte lachend der junge Kriegsmann. »Die Winde haben sich in ihn getheilt, und jeder hat seinen Antheil mit sich geführt.«
»Das vergelte Euch Gott!« stöhnte, wie sich von einer schweren Last erleichtert fühlend, aus tiefer Brust die Hausjungfer und stand ganz auf. »Ihr habt ein gutes Werk gethan, indem Ihr einen Spagnol gesprengt. O, ich hätte wohl sehen mögen, wie der gottlose Dieb, der uns das Bischen Caffee und Zucker nicht gönnt und in seiner Bosheit den edeln Thee vertheuert, auseinander gefahren ist! Ich habe wohl Thüren und Schlösser sprengen sehen, aber einen Spanier noch nicht. Clötje, wie sah er denn aus? Hat er Hörner und Bocksfüße gehabt, wie der Leibhaftige? Sind ihm Flammen aus dem Rachen hervorgegangen, blauer Dunst und übelriechender Rauch?«
»Besinne dich doch, Philippintje!« ermahnte Clelia und ließ sich bei diesen Worten erschöpft nieder. »Wir haben ein Seegefecht bestanden und das ist siegreich zu Ende gebracht worden durch den Muth des Junker van Daalen, der das feindliche Schiff in Brand gesteckt.«
»Richtig, Clötje, richtig!« erwiederte zu sich kommend das Mädchen. »Ich besinne mich darauf. Also angesteckt hat er den Spagnol, wie ein Schwefelhölzchen? Das war ein gescheidter Streich. Ja, ja, sie brennen gut die Spagnols, denn sie sind fett von vielem Oeltrinken und Butteressen! Aber hatte ich nun Unrecht, als ich dir den hochedlen Junker anrühmte als einen, dem man wohl sein Schicksal vertrauen dürfe? Wer kann in diesen wilden, kriegerischen Zeiten ein schwaches Frauenbild besser beschirmen, als er, der zu Lande Admiral und auf der See General seyn könnte? Ja, lacht nur, aber Philippintje hat doch recht! Es ist keine Kleinigkeit, einem Spagnol so nahe zu kommen, daß man ihm den brennenden Zunder an den fetten Leib halten kann, besonders wenn er sich widersetzt, wie das so in seiner Art liegt. Meine Großmutter selig hat mir erzählt, daß so ein Don von der ganzen Stadt Leyden belagert und beschossen worden ist, daß er sich durch Zauberspruch und Amulett feuerfest gemacht habe und zuletzt unter Wasser gesetzt werden mußte, vor dem die Hexenkünste nicht bestehen können. Das war die berühmte Belagerung von Leyden. Und mein Balthasar – was ist nicht meinem Balthasar Alles begegnet mit ihnen – «
»Erzählt uns das ein andermal, gute Philippintje!« fiel ihr Cornelius in die Rede. »Geht lieber hinauf zu Frau Beckje und laßt Euch eine Stärkung geben. Ihr scheint derer zu bedürfen.«
»Ihr habt Recht!« antwortete Philippintje, indem sie der Thüre zuwankte. »Es ist mir schwach um’s Herz und auf der Brust. Der Bootsmann besitzt ein treffliches, stärkendes Elixir. Den will ich um einige Tröpflein ansprechen. Halte dich wacker, mein Clötje! Denk’ an den gesprengten Spagnol und an die treue