Der Sinn und Wert des Lebens. Eucken Rudolf

Der Sinn und Wert des Lebens - Eucken Rudolf


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das Leben zuversichtlich gestellt wird; nichts unterscheidet die Kulturarbeit der modernen Völker mehr voneinander als das Gebiet und die Art, worin sie den Freiheitsgedanken zur Herrschaft brachten; auch für das Leben der Gegenwart hat jener seine Macht keineswegs eingebüßt, er erzeugt immer neue Bewegung.

      Sodann aber entsteht auf dem Boden des letzten Jahrhunderts von verschiedenen Seiten her ein starkes Verlangen nach mehr Zusammenschluß der Einzelnen zu einem Ganzen und nach ihrer Befestigung dadurch, das aber sowohl aus der inneren Bewegung des geistigen Lebens als durch neue Aufgaben und Verwicklungen auf dem Boden der Erfahrung. Die spekulative Philosophie lief in eine Verkündigung eines alles beherrschenden Gesamtgeistes aus, dem der Einzelne unbedingt dienen müsse, stärker noch wirkte das Aufkommen einer historischen Denkart mit ihrer Einfügung des Einzelnen in große Zusammenhänge, am stärksten aber tat es das Aufkommen schroffer wirtschaftlicher Gegensätze, der Konflikt von Arbeit und Kapital, der die Menschheit zu zerreiben drohte und daher ein wachsendes Verlangen nach einer Ordnung ihrer Verhältnisse durch die überlegene Macht des Staates hervorrief. Alles miteinander hat manche auf die mittelalterliche Denkart zurückgreifen lassen, vornehmlich aber hat es auf dem eigenen Boden der Zeit eine neue Bewegung erzeugt, die Bewegung zu einer lediglich bei sich selbst befindlichen und befriedigten Sozialkultur. Wieviel in der modernen Gestaltung des Lebens ihr förderlich ist, daran wurde schon früher erinnert; eben jene Gestaltung ließ den Menschen deutlich empfinden, wie sehr er inmitten aller scheinbaren Freiheit am Ganzen hängt, ja wie die freiere Bewegung selbst stark zur Einschränkung des Einzelnen wirkt, indem sie ihn in mehr Berührung mit der Umgebung bringt und deren Einfluß von allen Seiten auf ihn eindringen läßt. Alles derartige zusammenfassend und die Kräfte zu gemeinsamer Arbeit verbindend, erstrebt die moderne Sozialkultur eine Ordnung des menschlichen Daseins, welche den Gesamtstand wesentlich hebt, im besonderen eine Atmosphäre des Wohlwollens und des Wohlseins schafft, in der sich alle Kräfte entfalten und alle Zustände bessern können. Es liegt in der Natur der Sache, daß ein solches Wirken vornehmlich von außen nach innen geht, daß es mit der Herstellung glücklicher Lebensbedingungen, sowie zweckmäßiger Einrichtung des Zusammenlebens beginnt, in festem Vertrauen darauf, daß dem ein Fortgang des Inneren entsprechen werde. Denn was das Ganze gewinnt, das scheint sich notwendig auch in die einzelnen Seelen zu senken. So wird hier das Handeln vornehmlich auf die Umgebung gerichtet, es findet seine Höhe in eifrigem Wirken für andere und das gesellschaftliche Ganze; damit wird alle Ethik zur Sozialethik, und statt der Gottheit wird hier die Menschheit zum Gegenstand der höchsten Verehrung. Demgemäß ist es auch die Leistung für den gemeinsamen Lebensstand, die über die Bedeutung und die Gestaltung der einzelnen Lebensgebiete, zum Beispiel der Kunst und der Wissenschaft, entscheidet. Daß auch der Wahrheitsbegriff sich dieser Denkweise anpassen kann, das zeigt der Pragmatismus, der, aus Amerika stammend, auch in Europa zahlreiche Anhänger fand. Der Gefahr, die von dieser Sozialkultur aus der Selbständigkeit der Individuen droht, wird dadurch zu begegnen gesucht, daß sich mit jener Bewegung eine demokratische Tendenz zu verbinden pflegt, das Streben, möglichst alle zur unmittelbaren Teilnahme und Entscheidung aufzubieten und so einem jeden die Ordnung des Ganzen auch zur eigenen Tat zu machen oder doch als eine solche erscheinen zu lassen. Bemerkenswert ist auch, daß eben auf modernem Boden das freie Zusammenleben und die eigene Bewegung der Kräfte viel Organisation hervorgebracht hat, wie sie früher nur von oben herab aus einer überlegenen Gedankenwelt möglich schien; denken wir nur an die Gewerkschaften und ihr hervorragendes Wirken im Kriege!

      Die Leistungen dieser Sozialkultur liegen deutlich zutage. Ihre Richtung der Arbeit auf die Wohlfahrt aller hat viel Not und Härte ausgetrieben, mehr Freude und Milde in das Leben gebracht, sie hat hilfreiche Tätigkeit in alle Verzweigung des Daseins eingeführt, jedem Menschenwesen ein Recht zuerkannt und es damit auch im eigenen Bewußtsein gehoben, sie hat zugleich ein Gefühl der Verantwortlichkeit jedes Einzelnen für den Stand des Ganzen geweckt, sie hat mit dem allen eine höchst wertvolle Weiterbildung des menschlichen Daseins vollzogen. Aber das alles berechtigt sie noch keineswegs zur ausschließlichen Führung des Lebens; sie kann eine solche nicht unternehmen, ohne auch ihre Schranken erkennen zu lassen. Diese Schranken betreffen aber sowohl das hier gesteckte Ziel als die Mittel zu seiner Erreichung. Der Mensch geht in Wahrheit nicht auf in das Verhältnis zum Nebenmenschen, er hat auch ein Verhältnis zu sich selbst und in engem Zusammenhang damit eins zum All und muß von daher Maße des Lebens entlehnen; auch kann er sich unmöglich so in seinen Zustand verschließen und alles nach der Wirkung dafür bemessen, daß ihm alles Gegenständliche gleichgültig wird, da erst dessen Aneignung dem Leben eine innere Weite und zugleich eine reine Freude zu geben vermag. Einem Wesen, das mit seinem Denken sich zur Unendlichkeit und Ewigkeit zu erheben und von da den eigenen Stand zu betrachten vermag, wird die bloße Wohlfahrt, ein möglichst schmerzfreies und genußreiches Leben, und sei es auch das Leben aller, ein viel zu geringes Ziel; auch dessen Erreichung beließe ihn in einer völligen inneren Leere, die als endgültiger Stand gedacht peinvoller ist als aller Schmerz. Wer direkt auf Glück im Sinne der Wohlfahrt ausgeht, der muß alles Wagnis und Opfer möglichst fern von sich halten und fein säuberlich gebahnte Heeresstraßen wandern, wo doch die Erfahrung lehrt, daß der Weg zu hohen Zielen nur durch den Schmerz von Zweifel und Verneinung geht, und daß bedeutende Kraft nur das zu wecken vermochte, was nicht wegen des bloßen Glückes, sondern aus dem Zwange geistiger Selbsterhaltung angestrebt wurde, wie immer dabei das subjektive Befinden ausfallen mochte. Jenes allein vermag dem Handeln einen heroischen Charakter zu geben, während das bloße Glückverlangen es unvermeidlich einem Philistertum gröberer oder feinerer Art überliefert. So droht das Voranstellen der Sorge um die Bedingungen und Mittel des Lebens das Leben selbst schwer zu schädigen, ja tief herabzusetzen. – Auch die Menschheit böte insofern kein hohes Ziel, als die Zusammenhänge der Sozialkultur ihr keine innere Einheit zu geben vermögen und sie statt eines zusammengehörigen Ganzen in ein bloßes Nebeneinander einzelner Elemente verwandeln; fast unvermeidlich wird damit der Durchschnitt zur Norm, und die Masse muß die Menschheit vertreten; so verstanden wird der Menschheitsgedanke auf den Einzelnen eher niederdrückend als erhöhend wirken, er bedroht ihn mit der Gefahr einer Verwischung der Unterschiede und einer abschleifenden Gleichmacherei.

      Aber angenommen, das Ziel der Sozialkultur bliebe unangefochten, wie will sie die Kräfte und die Gesinnungen zu seiner Erreichung finden? Sie hofft alles von einem Handeln für andere, einem »altruistischen« Handeln, und sieht nicht, daß ein solches Handeln eine bewegende Kraft nur erlangen kann, wenn der andere nicht bloß neben mir steht, sondern mit mir durch eine innere Einheit des Lebens verbunden, in mein geistiges Selbst aufgenommen wird. Aber ein derartiger Begriff muß der Sozialkultur als schlechthin unverständlich erscheinen und die Sache als unerreichbar; jene läßt den anderen neben mir stehen und verlangt doch, daß ich meine Kraft für ihn einsetzen soll. Nie aber kann ein Mensch oder ein Ding eine starke Bewegung erzeugen, solange es nicht ein Bestandteil meines eigenen Lebens wird. Eine solche Bewegung geht nur aus innerer Notwendigkeit, namentlich aus unerträglichen Widersprüchen des eigenen Lebens hervor; nur sofern der Mensch auf sich selber steht und für sich selber schafft, kann er etwas erreichen, das auch den anderen wertvoll ist; wer vornehmlich an die Wirkung bei anderen denkt, der hat damit auf das Erstgeburtsrecht des Schaffens verzichtet. – In der Gesinnung aber setzt die Sozialkultur freundliche, wohlwollende, zahme Menschen voraus, Menschen, die kein radikales Böses kennen, nichts von wilden Leidenschaften und dunklen Abgründen der Seele wissen, denen alles Dämonische oder gar Diabolische, zugleich freilich auch alles Heroische, eine unverständliche Größe ist. Mußten wir schon früher bezweifeln, ob die Menschen so zahm, so gutartig sind, so hat der gegenwärtige Krieg solchen Zweifel wohl zu vollem Siege gebracht. Damit aber wird der Sozialkultur eine Hauptstütze entzogen, dem Bösen gegenüber hat sie keine Wehr. Bei solchen Bedenken verkennen wir keineswegs die Bedeutung edler Humanität und rastloser Hilfstätigkeit, die nach jener Richtung hin entfaltet wird, auch nicht den Wert des Strebens, alles Menschenbild zu heben und zur Selbsttätigkeit zu berufen; aber das geschieht nur unter Überschreitung der begrifflichen Schranken jener Lebensordnung, die Leistung geht hier, wie so oft, weit über die Lehre hinaus. Im besonderen erhält die Menschheit oft einen tieferen Sinn, als der eigene Boden der Sozialkultur begründet, sie wird, oft in Nachwirkung der älteren Lebensordnungen, ein hoher Idealbegriff, der echte Begeisterung erweckt. Solche Verschiebung der Begriffe macht dem Herzen der Bekenner alle Ehre, das Problem aber löst sie nicht.

      Diese Gefahren und Schranken mußten auch innerhalb


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