Visionen und andere phantastische Erzählungen. Turgenev Ivan Sergeevich

Visionen und andere phantastische Erzählungen - Turgenev Ivan Sergeevich


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nicht aufgehoben.«

      »Du bist doch wirklich merkwürdig, mein Lieber!« entgegnete ich etwas verlegen. Ich hob die Münze auf und reichte sie ihm: »Nimm, es ist ein Trinkgeld für dich!«

      »Vielen Dank,« entgegnete Lukjanytsch mit ruhigem Lächeln. »Ich brauch' es nicht, kann auch ohne das Geld auskommen. Vielen Dank.«

      »Ich will dir gern noch mehr geben!« sagte ich etwas verstimmt.

      »Wofür denn? Machen Sie sich keine Mühe, ich danke Ihnen für die Freundlichkeit, habe auch so an meinem Brot genug zu beißen. Und selbst mit dem werde ich nicht fertig.«

      Mit diesen Worten stand er auf und streckte die Hand nach der Pforte aus.

      »Warte, warte noch, Alter,« sagte ich beinahe verzweifelnd. »Wie wortkarg du doch heute bist… Sag mir wenigstens, ist deine Gnädige schon aufgestanden?«

      »Die Gnädige sind aufgestanden.«

      »Und… ist sie jetzt zu Hause?«

      »Nein, sie sind nicht zu Hause.«

      »Macht sie irgendwo Besuche?«

      »Nein, sie sind nach Moskau abgereist.«

      »Nach Moskau? Heute früh war sie ja noch hier?«

      »Ja, sie waren noch hier.«

      »Hat auch hier übernachtet?«

      »Ja, sie haben hier übernachtet.«

      »Und war erst seit kurzem angekommen?«

      »Ja, seit kurzem.«

      »Wie ist es nur möglich, mein Lieber?«

      »Ja, vor etwa einer Stunde sind die Gnädige wieder nach Moskau abgereist.«

      »Nach Moskau!«

      Ich sah ganz verdutzt auf Lukjanytsch: das hatte ich, offen gesagt, nicht erwartet…

      Auch Lukjanytsch sah mich an… Ein greisenhaftes verschmitztes Lächeln lag auf seinen trockenen Lippen und leuchtete schwach in seinen traurigen Augen.

      »Ist sie mit der Schwester abgereist?« fragte ich ihn schließlich.

      »Mit der Schwester.«

      »Also ist jetzt niemand im Hause?«

      »Niemand.«

      – Dieser Alte betrügt mich, – ging es mir durch den Kopf. – Nicht umsonst lächelt er so verschmitzt. –

      »Hör' einmal, Lukjanytsch,« sagte ich ihm, »willst du mir einen Gefallen erweisen?«

      »Ja, was wünschen Sie?« sagte er gedehnt; meine Fragen ärgerten ihn offenbar.

      »Du sagst, daß im Hause jetzt niemand ist; kannst du mir das Haus zeigen? Ich wäre dir dafür sehr dankbar.«

      »Sie wollen also die Zimmer sehen?«

      »Ja, die Zimmer.«

      Lukjanytsch wurde nachdenklich.

      »Mit Vergnügen,« sagte er nach einer Pause. »Kommen Sie, bitte, mit…«

      Er beugte sich und trat über die Schwelle der Pforte. Ich folgte ihm. Wir gingen durch den kleinen Hof und stiegen die baufälligen Stufen zum Flur hinauf. Der Alte stieß die Tür auf; an der Türe war gar kein Schloß; eine Schnur mit einem Knoten steckte aus dem Schlüsselloch hervor… Wir traten in das Haus. Es bestand aus fünf oder sechs kleinen Zimmern; soviel ich bei dem spärlichen Lichte, das durch die Ritzen in den Fensterläden drang, sehen konnte, waren die Möbel in allen Zimmern sehr einfach und alt. In einem der Zimmer (dessen Fenster in den Garten gingen) stand ein kleines altmodisches Klavier… Ich hob den verbogenen Deckel und schlug die Tasten an: ein unangenehmer, zischender Ton erklang und erstarb, sich gleichsam über meine Frechheit beklagend. Nichts wies darauf hin, daß in diesem Hause erst eben Menschen gewohnt hatten; selbst die Luft in den Zimmern war ungewöhnlich dumpf und tot; nur einige Papierfetzen, die auf dem Boden lagen und noch ganz frisch und weiß aussahen, ließen darauf schließen, daß sie erst seit kurzem hergekommen waren; ich hob einen der Fetzen auf. Es war ein Stück von einem zerrissenen Briefe; auf der einen Seite stand in einer temperamentvollen weiblichen Handschrift: »se taire?«, auf der anderen Seite konnte ich das Wort: »bonheur« entziffern… Auf einem runden Tischchen am Fenster stand in einem Wasserglase ein welker Blumenstrauß, und daneben lag ein zerknittertes grünes Bändchen… Dieses Bändchen nahm ich mir als Andenken mit. – Lukjanytsch öffnete eine enge, mit Tapeten verklebte Türe und sagte:

      »Das hier ist das Schlafzimmer, dahinter die Mädchenkammer; mehr Zimmer gibt's hier nicht…«

      Wir gingen durch den Korridor zurück.

      »Und was ist das da für ein Zimmer?« fragte ich, auf eine breite, weiße Türe mit einem Vorhängeschloß zeigend.

      »Das da?« antwortete Lukjanytsch mit dumpfer Stimme. »Das ist nichts.«

      »Wieso nichts?«

      »Nichts… Eine Rumpelkammer…« Und er ging ins Vorzimmer.

      »Eine Rumpelkammer? Kann ich sie sehen?..«

      »Ich begreife nicht, was Sie da so interessiert,« entgegnete Lukjanytsch unzufrieden. »Was wollen Sie sehen? Es sind ja nur Koffer darin und altes Geschirr… eine Rumpelkammer und nichts weiter.«

      »Ich will sie aber doch sehen, zeig' sie mir bitte, Alter,« sagte ich, obwohl ich mich innerlich meiner unanständigen Beharrlichkeit schämte. »Siehst du, ich möchte… ich möchte, auch bei mir im Dorfe ein solches Haus…«

      Ich schämte mich noch mehr und konnte den angefangenen Satz nicht zu Ende bringen.

      Lukjanytsch stand, den grauen Kopf gesenkt, und sah mich etwas eigentümlich mit krauser Stirne an.

      »Zeig' sie mir doch,« wiederholte ich.

      »Nun, von mir aus,« sagte er endlich. Er holte den Schlüssel aus der Tasche und machte sehr ungern die Türe auf.

      Ich blickte in die Kammer hinein. Es war da wirklich nichts Bemerkenswertes. An den Wänden hingen alte Bildnisse mit dunklen, beinahe schwarzen Gesichtern und bösen Augen. Auf dem Boden lag verschiedenes Gerümpel.

      »Nun, haben Sie sich sattgesehen?« fragte mich mürrisch Lukjanytsch.

      »Ja, danke!« erwiderte ich eilig.

      Er schlug die Türe zu. Ich ging ins Vorzimmer und aus dem Vorzimmer in den Hof.

      Lukjanytsch geleitete mich hinaus, murmelte: »Leben Sie wohl!« und begab sich in sein Häuschen.

      »Und wer war die Dame, die gestern hier zu Besuch war?« rief ich ihm nach. »Sie ist mir erst heute früh im Gehölz begegnet.«

      Ich hoffte, ihn durch diese unerwartete Frage zu verirren und von ihm eine unüberlegte Antwort zu bekommen. Der Alte lachte aber nur und schlug die Türe hinter sich zu.

      Ich kehrte nach Glinnoje zurück. Ich schämte mich wie ein Junge, den man ausgescholten hat.

      – Nein, – sagte ich zu mir: – ich werde das Rätsel wohl nicht lösen können. Also geb' ich's auf! Will nicht mehr daran denken. –

      Nach einer Stunde war ich schon auf dem Wege nach Hause; ich war erregt und erbost.

      Es verging eine Woche. Wie sehr ich mich auch bemühte, die Erinnerung an die Unbekannte, an ihren Begleiter und an meine Begegnungen mit ihnen mir aus dem Kopfe zu schlagen, sie kamen immer wieder und belästigten mich so hartnäckig und zudringlich wie eine Fliege an einem Sommernachmittag… Auch Lukjanytsch, mit seinen geheimnisvollen Blicken und zurückhaltenden Reden, mit seinem kühlen und traurigen Lächeln kam mir immer wieder in den Sinn. Sogar das Haus, so oft ich daran dachte, – sogar das Haus schien mich durch seine halbgeschlossenen Fenster schlau und stumpf anzublicken, als wollte es mich necken und mir sagen: Und doch wirst du nichts erfahren! Ich hielt es schließlich nicht aus: an einem schönen Tag fuhr ich wieder nach Glinnoje und begab mich von da zu Fuß… wohin? Der Leser kann es leicht erraten.

      Ich muß gestehen, als ich mich dem geheimnisvollen Landsitze näherte, spürte ich


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