Gedichte in Prosa. Turgenev Ivan Sergeevich
dieses Weib! – dachte ich bei mir; – warum verfolgt sie mich denn nur? – Doch gleich kam mir auch der weitere Gedanke: sie wird wahrscheinlich in ihrer Blindheit den Weg verfehlt haben und folgt jetzt dem Schall meiner Schritte, um zusammen mit mir zu menschlichen Wohnungen zu gelangen. Ja ja, so wird’s sein.
Allein, nach und nach bemächtigte sich meiner Gedanken eine seltsame Unruhe: nun wollte es mir scheinen, als ob diese Alte mir nicht bloß folge, sondern daß sie mich sogar lenke, mich bald nach rechts, bald nach links stoße, und daß ich ihr willenlos gehorchen müsse.
Dennoch schreite ich weiter … auf einmal, gerade vor mir auf meinem Wege, etwas Schwarzes, sich Erweiterndes … wie eine Grube … »Ein Grab!« durchzuckte es mein Hirn. – Dorthin also stößt sie mich! Hastig wende ich mich um. Wieder vor mir die Alte … aber jetzt sieht sie! Sie blickt auf mich mit großen, boshaften, unheilkündenden Augen … mit den Augen eines Raubvogels … Ich schaue ihr scharf ins Gesicht, in die Augen … Wieder dieses trübe Häutchen, dieselben leblosen, stumpfen Züge … Ach! denke ich … diese Alte – ist mein Schicksal. Jenes Schicksal, dem niemand entrinnen kann. Kein Entrinnen! Kein Entrinnen? – Welch ein Wahnsinn … Man muß es versuchen. Und ich wende mich seitwärts, einer anderen Richtung zu.
Rasch eile ich vorwärts … Allein die leisen Tritte rascheln wie früher hinter mir, nahe, ganz nahe … Und vor mir wieder die dunkle Grube.
Aufs neue wende ich mich nach einer anderen Seite … Und wiederum dasselbe Rascheln hinter meinem Rücken und vor mir derselbe drohende Fleck.
Und wohin ich mich auch kehre gleich einem gehetzten Hasen … immer dasselbe, immer dasselbe!
Halt! denke ich, – jetzt will ich sie täuschen! Ich will mich nicht von der Stelle rühren! – und augenblicklich setze ich mich an die Erde.
Die Alte steht hinter mir, nur zwei Schritt entfernt. – Ich höre sie nicht, aber ich fühle es, sie ist da. Und plötzlich sehe ich: der dunkle Fleck dort in der Ferne, er schwimmt, er kriecht gerade auf mich zu! O Gott! Ich schaue rückwärts … Die Alte hat ihren starren Blick auf mich geheftet – und Grinsen verzerrt ihren zahnlosen Mund …
– Kein Entrinnen!
Der Hund
Wir zwei sind im Zimmer beisammen: mein Hund und ich … Draußen heult wütender Sturm. Mein Hund sitzt dicht vor mir – und schaut mir unverwandt ins Auge. Und auch ich blicke in seine Augen. Es scheint, als müßte er mir etwas sagen wollen. Er ist stumm, er besitzt keine Sprache, er versteht sich selbst nicht – aber ich verstehe ihn wohl.
Ich verstehe, daß in diesem Augenblick in ihm wie in mir ein und dasselbe Gefühl lebt, daß zwischen uns kein Unterschied besteht. Wir sind vollkommen gleich; in jedem von uns beiden glüht und leuchtet das gleiche zitternde Flämmchen.
Der Tod fliegt heran, schwingt seine eisigen, gewaltigen Fittiche … Es ist zu Ende!
Wer vermöchte dann wohl zu entscheiden, welches Flämmchen in ihm und welches in mir geglüht hat? Nein! nicht Tier und Mensch tauschen diese Blicke … Es sind zwei gleiche Augenpaare, die aufeinander gerichtet sind. Und in jedem dieser Augenpaare, in dem des Tieres und dem des Menschen – schmiegt sich ein und derselbe Lebenstrieb bebend an den des anderen.
Der Widersacher
Ich hatte einen Kameraden, der beständig mein Widersacher war; zwar nicht im Studium, auch nicht im Amt oder in der Liebe; nur unsere Ansichten waren stets unvereinbar, und jedesmal, wenn wir uns trafen – entspann sich zwischen uns ein endloser Wortstreit. Wir stritten über alles: über Kunst, über Religion, über die Wissenschaft, über das Leben auf Erden und im Jenseits – namentlich über das im Jenseits. Er war ein gläubiger, schwärmerischer Mensch. Einst sagte er zu mir: »Du bespöttelst doch auch alles; sollte ich jedoch vor dir sterben, dann werde ich dir vom Jenseits her erscheinen … Wir wollen doch sehen, ob du auch dann noch wirst lachen können!« Und wirklich, er starb vor mir, ein Werdender in der Blüte der Jugend; doch Jahre vergingen, und ich vergaß seines Gelübdes – seiner Drohung.
Einst lag ich des Nachts im Bett – und konnte nicht, mochte nicht einmal einschlafen.
Im Zimmer wars nicht finster, aber auch nicht hell; ich begann in das graue Halbdunkel hineinzustarren. Plötzlich erschien es mir, als ob zwischen den beiden Fenstern mein Widersacher stünde – und stumm und traurig mit dem Kopfe nicke, auf und ab.
Ich erschrak nicht – wunderte mich nicht einmal … vielmehr richtete ich mich ein wenig auf und blickte, auf den Ellenbogen gestützt, nur noch schärfer auf die unerwartete Erscheinung.
Der drüben fuhr fort, mit dem Kopfe zu nicken.
»Was gibts?« begann ich schließlich. »Triumphierst du? oder trauerst du? – Bedeutet dies eine Warnung oder einen Vorwurf?.. Oder willst du mir zu verstehen geben, daß du unrecht hattest? oder daß wir beide unrecht hatten? Welches Los ist dir denn geworden? Höllenpein oder Paradieseswonne? So sprich doch wenigstens ein einziges Wort!«
Aber mein Widersacher gab nicht den geringsten Laut von sich – nur wie vorher nickte er bloß immer traurig und still ergeben mit dem Kopfe – auf und ab. Da lachte ich laut auf … und er verschwand.
Der Bettler
Ich ging die Straße hinunter … Ein dürftiger, gebrechlicher Greis hielt mich an.
Entzündete, tränende Augen, fahlblaue Lippen, zerfetzte Lumpen, unsaubere Schwären … O, wie schrecklich hatte die Not dieses unglückliche Geschöpf verunstaltet! Er streckte mir seine gerötete, verschwollene, schmutzige Hand hin … Er stöhnte, er ächzte um Hilfe.
Ich begann alle meine Taschen zu durchsuchen … Aber weder Geldbeutel noch Uhr, nicht einmal das Taschentuch war da … Ich hatte nichts mitgenommen. Der Bettler aber wartete noch immer … und seine vorgestreckte Hand bebte und zitterte vor Schwäche. Verwirrt und verlegen ergriff ich mit kräftigem Drucke diese schmutzige, zitternde Hand … »Zürne mir nicht, Bruder; ich habe gar nichts bei mir, mein Bruder.« Der Bettler richtete seine entzündeten Augen auf mich; ein Lächeln kam auf seine fahlen Lippen – und dann drückte auch er meine erkalteten Finger.
»Laß es gut sein, Bruder,« sagte er leise; »auch dafür bin ich dir dankbar. – Auch das ist eine Gabe, mein Bruder.«
Da fühlte ich, daß auch ich von meinem Bruder eine Gabe empfangen hatte.
Erfahren wirst du noch, wie Toren richten …
»Erfahren wirst du noch, wie Toren richten …« Immer sprachst du die Wahrheit, großer, vaterländischer Dichter du, auch diesmal hast du wahr gesprochen. »Wie Toren richten und die Menge spottet …« Wer hätte es nicht an sich selbst erfahren, so dies wie jenes? All dies kann – und muß ertragen werden; wer die Kraft dazu hat – der mag es auch verachten!
Doch es gibt Schläge, die härter und mitten ins Herz treffen … Ein Mann tat alles, was er vermochte; wirkte in unablässiger, hingebender, ehrlicher Arbeit … Da wenden sich ehrliche Herzen verächtlich von ihm ab; ehrliche Gesichter flammen auf in Unwillen bei Nennung seines Namens. »Hinweg! Fort mit dir!« schallen ihm ehrliche junge Stimmen entgegen. – »Dich und deine Mühe brauchen wir nicht; du schändest unser Heim – du kennst und du verstehst uns nicht … Du bist unser Feind!«
Was soll dieser Mann nun tun? Fortfahren soll er im Bemühen, soll nicht versuchen, sich zu rechtfertigen – soll nicht einmal die Hoffnung auf künftige gerechtere Beurteilung nähren.
Einst haben Landleute einen Reisenden verflucht, der ihnen die Kartoffel brachte, den Ersatz des Brotes, die tägliche Nahrung des Armen … Aus seinen Händen, die er ihnen entgegenstreckte, schlugen sie die kostbare Gabe, warfen sie in den Kot, traten sie mit Füßen.
Jetzt nähren sie sich davon – und kennen nicht einmal den Namen ihres Wohltäters.
Nun, wenn auch! Was soll ihnen sein Name? Auch als Namenloser bewahrt er sie vor dem Hunger.
Wir aber wollen emsig darauf bedacht sein, daß die Frucht unseres Fleißes wahrhaft nützliche Speise sei. Bitter freilich