Gedichte in Prosa. Turgenev Ivan Sergeevich

Gedichte in Prosa - Turgenev Ivan Sergeevich


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mich – aber sei gesund und satt!« so sollen wir denken.

      Ein Zufriedener

      Durch eine Straße der Hauptstadt eilt mit munteren Schritten ein noch junger Mann. – Seine Bewegungen sind freudig und lebhaft; seine Augen leuchten, Lächeln spielt um seine Lippen, in frischer Röte strahlt sein freundliches Antlitz … Er ist ganz Zufriedenheit und Freude.

      Was ist mit ihm vorgegangen? Hat er eine Erbschaft gemacht? Wurde er im Amte befördert? Eilt er zu einem zärtlichen Schäferstündchen? Vielleicht hat er auch bloß – gut gefrühstückt, – und das Gefühl der Gesundheit, der vollen Kraft schwellt alle seine Glieder! Man wird doch nicht gar seinen Hals mit deinem schönen achteckigen Kreuz geschmückt haben, o polnischer König Stanislaus!

      Nein! Er hat eine Verleumdung gegen einen Bekannten ersonnen, hat sie eifrig in Umlauf gesetzt, sie, ebendieselbe Verleumdung, aus dem Munde eines anderen Bekannten vernommen – und ihr selber Glauben geschenkt.

      O, wie zufrieden, ja wie brav ist in diesem Augenblick dieser liebenswürdige, vielversprechende junge Mann!

      Eine Lebensregel

      »Wenn Sie mal den Wunsch haben, Ihrem Gegner gehörig mitzuspielen und ihn womöglich zu kränken,« sagte mir einst ein alter Schlaukopf, »dann werfen Sie ihm nur denselben Fehler oder dasselbe Laster vor, dessen Sie sich selber bewußt sind. – Spielen Sie den Entrüsteten … und tadeln Sie ihn!

      »Denn erstens – bringt dies dem anderen die Meinung bei, daß Sie von diesem Laster frei wären.

      »Zweitens – darf Ihre Entrüstung sogar eine aufrichtige sein … Sie können aus den Vorwürfen Ihres eigenen Gewissens Nutzen ziehen.

      »Sind Sie beispielsweise ein Renegat – dann werfen Sie Ihrem Gegner vor, er sei ohne jede Überzeugung! Sind Sie selber eine Lakaienseele – dann sagen Sie ihm in vorwurfsvollem Tone, er sei ein Lakai … ein Lakai der Zivilisation, der Aufklärung, des Sozialismus!«

      »Man könnte vielleicht sogar sagen: ein Lakai des Lakaienhasses!« bemerkte ich.

      »Selbst dies!« erwiderte prompt der Schlaukopf.

      Das Ende der Welt

Ein Traum

      Mir träumte, ich befände mich in irgendeinem Winkel Rußlands, in der Einsamkeit, in einer einfachen Dorfhütte.

      Eine geräumige, niedrige, dreifenstrige Stube; die Wände weiß getüncht; aller Hausrat fehlt. Vor der Hütte eine kahle Ebene; in sanfter Neigung breitet sie sich in die Ferne aus; ein grauer, einförmiger Himmel hängt darüber wie ein härenes Tuch.

      Ich bin nicht allein; etwa zehn Menschen sind mit mir in der Stube. Alles einfache Leute, einfach gekleidet; sie gehen in der Stube auf und ab, schweigend, gleichsam schleichend. Jeder weicht dem anderen aus – aber unaufhörlich begegnen sich ihre besorgten Blicke.

      Keiner weiß, warum er in dies Haus geraten ist und was die anderen bedeuten. Auf jedem Angesicht lagert Unruhe und Bangigkeit … alle treten abwechselnd an die Fenster und blicken forschend hinaus, als warteten sie auf etwas von dorther.

      Dann wieder gehen sie unausgesetzt auf und ab.

      Zwischen ihnen bewegt sich ein kleiner Knabe; von Zeit zu Zeit wimmert er mit dünner eintöniger Stimme: »Väterchen, ich fürchte mich!« – Bei diesem Wimmern wird mir kalt ums Herz – und auch mich beschleicht Furcht … Wovor? Ich weiß es selbst nicht. Nur dies eine fühle ich: heran kommt und nähert sich ein großes, großes Unheil.

      Der Knabe aber wimmert in einem fort. Ach, könnte man doch nur hinaus! Wie dumpf ists hier! Wie beklommen! Wie bedrückend!.. Doch nirgends ein Ausweg.

      Dieser Himmel da – gerade wie ein Leichentuch. Und kein Windhauch … Ist denn die Lust erstorben? Plötzlich springt der Knabe ans Fenster und schreit mit derselben kläglichen Stimme: »Seht! seht! die Erde ist versunken!«

      – »Wie? Versunken!« – Wahrhaftig: vorhin war vor dem Hause eine Ebene – jetzt steht es auf dem Gipfel eines ungeheuren Berges! Der Horizont ist herabgefallen, in die Tiefe gesunken – und dicht vor dem Hause starrt ein fast senkrechter, gähnender, schwarzer Abgrund.

      Wir haben uns alle an die Fenster gedrängt … Der Schrecken erstarrt unsere Herzen zu Eis. – »Dort kommt es … dort kommt es!« flüstert mein Nachbar.

      Richtig: rings um den fernen Erdrand begann es sich zu bewegen, hoben und senkten sich kleine wellige Hügel.

      »Das Meer!« durchfuhr es uns alle im selben Augenblick. »Gleich wird es uns alle verschlingen … Wie kann es bloß so wachsen und in die Höhe steigen? Bis zu diesem Felsgrat?«

      Allein es wächst, wächst mit rasender Eile … Schon sinds nicht mehr einzelne, in der Ferne schwankende Hügel … Eine einzige geschlossene, ungeheure Woge überflutet den ganzen Horizont.

      Sie rast, rast auf uns zu! In eisigem Sturme braust sie heran, ballt sich wie Höllennacht. Alles erbebt ringsum – dort aber, in jener hereinbrechenden Masse – Dröhnen, Donnern, tausendstimmiger, eherner Schrei …

      Ha! Welch ein Brüllen und Heulen! Das ist der Schreckensschrei der Erde …

      Vernichtung ihr! Vernichtung allem!

      Noch einmal wimmert der Kleine … Ich will mich an meine Gefährten klammern – doch schon sind wir alle zerschmettert, begraben, verschlungen, fortgerissen von dieser pechschwarzen, eisigen, donnernden Woge!

      Finsternis … ewige Finsternis!

      Nach Atem ringend erwachte ich.

      Mascha

      Als ich noch vor vielen Jahren in Petersburg lebte, knüpfte ich jedesmal, wenn ich eine Droschke nehmen mußte, mit dem Kutscher ein Gespräch an.

      Besonders gern unterhielt ich mich mit den Nachtkutschern, armen Bauern aus der Umgegend, die mit einem gelbgestrichenen Schlitten und einem ärmlichen Karrengaul in die Hauptstadt kamen – in der Hoffnung, dort selber ihren Unterhalt zu finden, wie auch die Abgabe an ihre Gutsherren erübrigen zu können. Einst nahm ich wieder mal einen solchen Kutscher … Ein Bursche von etwa zwanzig Jahren, hochgewachsen, stämmig, wie aus Kernholz; mit blauen Augen und frischroten Backen; sein Haar quoll in blonden Locken unter der tief bis auf die Augenbrauen herabgezogenen geflickten Mütze hervor. – Und wie hatte er bloß diesen zerrissenen kleinen Kittel über seine riesigen Schultern ziehen können!

      Indessen, das hübsche, bartlose Gesicht meines Kutschers schien bekümmert und betrübt.

      Ich knüpfte ein Gespräch mit ihm an. Auch aus seiner Stimme klang Trübsal.

      »Nun, Freundchen,« fragte ich ihn, »warum bist du so traurig? Drückt dich irgendein Kummer?«

      Der Bursche zögerte mit der Antwort.

      »Freilich, Herr, freilich,« brachte er schließlich heraus. »Und ein Kummer, wie er nicht größer sein kann. Mein Weib ist gestorben.«

      »Du hast sie wohl sehr geliebt … dein Weib?«

      Der Bursche wandte sich nicht zu mir um; er neigte nur ein wenig den Kopf.

      »Freilich liebte ich sie, Herr. Acht Monat ists her, aber ich kanns nicht vergessen. Es frißt mir am Herzen … immerfort! Warum hat sie auch sterben müssen? War doch jung! gesund!.. An einem Tage hat die Cholera sie abgewürgt.«

      »Sie war dir wohl ein braves Weib?«

      »Ach Herr!« seufzte der arme Bursche schwer auf. »Und wie gut haben wir zusammengelebt! Sie ist ohne mich gestorben. Kaum hörte ich es hier, daß man sie gar schon begraben hätte, – da jagte ich augenblicklich zum Dorf, nach Hause. Ich kam an – da wars schon nach Mitternacht. Ich trete in meine Hütte, steh mitten in der Stube still und rufe so ganz leise: ‘Mascha! meine Mascha!’ Aber nur das Heimchen zirpt. – Da kommt mir das Heulen, ich werfe mich auf die Diele – wie habe ich da mit den Händen auf den Boden gehauen! – ‘Du unersättliche Grube!’ schrei ich … ‘Sie hast du verschlungen … dann verschling auch mich!’ – Ach Mascha!«

      »Mascha!«


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