Das Nest der Zaunkönige. Gustav Freytag

Das Nest der Zaunkönige - Gustav Freytag


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als das Horn zum drittenmal rief, stiegen aus dem Hofe der Truchseß mit den Küchenknaben und der Mundschenk mit dem Küfer in die Halle und sie setzten die Speisen und große Trinkkrüge auf die Tafel. Der Herr trat zu seinem Lehnstuhl, nahm die Mütze ab und hielt einen Augenblick das Gesicht hinein, alle neigten die Häupter und mancher Fromme schlug das Kreuz, dann rückten die Burgleute kräftig die Stühle, zogen ihre Messer aus der Scheide und begannen schweigend die Arbeit des Mahles.

      »Wohl gelang uns die Fahrt in das Heu,« begann der Graf, einen Becher hebend, »und mit Stolpern und Ausgleiten endete der Reigentanz der lustigen Mönche. Trinkt, Bankgenossen, und sorgt, daß der Ausgang so rühmlich sei als der Anfang.« Heller Beifallsruf erhob sich und die Trinkkannen wurden in der Luft geschwenkt. »Führt den alten Hugbald mit seinem Knaben aus dem Turme herbei. Sie waren die einzigen, welche wacker die Reiterwaffe gebrauchten, sie sollen nicht Schwarzbrot kauen, während wir uns des Mahles freuen.« Zwei Knechte eilten hinaus; nach einer Weile wurden Hugbald und Immo eingeführt, beide waffenlos. Als sie auf der Schwelle standen, rief der Graf durch den Saal hinab: »Tritt näher, Alter, lagere dich dort unter meinen eisernen Knaben.« Er wies auf den Tisch zur rechten Seite, wo zwischen den Rittern und Knechten eine Bewegung entstand, und mahnte wohlwollend: »Laßt ihn das Tischtuch haben, denn er trug manches Jahr seine Sporen als ein ehrlicher Gesell und soll ungekränkt von meinen Tellern essen.« Hugbald ging schweigend auf den Platz, welcher ihm geräumt wurde, und antwortete gleichmütig auf die Grüße und Spottreden seiner Nachbarn.

      »Hüpfe auch du auf die Bank, junger Klosterkauz,« gebot der Graf und winkte Immo, welcher an der Tür stehen geblieben war.

      »Ladet Herr Gerhard mich ein, in seiner Halle niederzusitzen?« frug Immo errötend, aber mit einer Stimme, die hell durch den Raum klang.

      »Öffnet ihm eine Ecke,« befahl der Hofherr zu den Knechten gewandt. Aber Immo eilte mit gehobenem Haupt durch die Halle dem Tisch des Grafen zu, er stieg die Stufen zum Herrensitz hinauf und drängte mit der Hand den Kämmerer, der ihn aufhalten wollte, beiseite. »Dir würde geziemen, mir den Stuhl zu rücken,« rief er. So trat er auf die Erhöhung, trug einen Sessel neben die Tochter des Grafen, sprach freundlich nach allen Seiten grüßend: pax domini vobiscum und setzte sich. Graf Gerhard sah sprachlos vor Erstaunen auf den kecken Eindringling. »Übel gedeihe dir deine Frechheit; seit wann klettern die Schüler in den Abtstuhl. Doch Wunderliches hören wir über die Unordnung in Wigberts Hofe.«

      »Im Hofe des Heiligen sitze ich demütig an der Schülerbank, bei euch, Herr, ziemt mir der Stuhl in eurer Nähe.«

      »Werft den Schamlosen von seinem Sitz,« befahl der Graf zornig.

      »Dann führt mich zurück in den Turm,« rief Immo, »denn bei allen Heiligen des Himmels, an keiner Bank lagere ich, keinen Bissen und keinen Trunk nehme ich in diesem Saal, wenn mir nicht ein Ehrensitz bereitet wird, wie ihn mein Vater erhielt, wenn er diese Burg betrat.«

      »Wer bist du, Knabe, daß du mir unter meinem eigenen Dache zu trotzen wagst?«

      »Es ist Immo, Herr, Sohn des Helden Irmfried, welcher das Banner der Thüringe im Lande Italien trug,« bedeutete ein alter Dienstmann in der Nähe des Grafen, »und darin hat er recht, die Männer seines Geschlechts haben von je einen Herrenstuhl begehrt.«

      »Jetzt erkenne ich dich, Immo,« versetzte der Graf ruhiger, »bei meinem Schwert, früh krümmt sich der Haken. Dennoch sollen meine Knaben dich abwärts führen, da du kein Krieger bist, sondern nur ein halber Mönch.«

      Immo errötete vor Zorn. »Ich aber meine, daß eure Reisigen meinen Arm gefühlt haben, fragt nach, wenn es euch gefällt, ob die Stöße nur halb waren und in Mönchsweise gegeben, oder nach Art eines ehrlichen Kriegers. Und wenn ich wüßte, daß die Starken, gegen welche ich geritten bin, in diesem Saale wären, so würde ich sie gern friedlich begrüßen und sie bitten, daß sie ihren Groll gegen mich schwinden lassen. Denn ich habe nur getan, wozu ich als Geselle des Hugbald verpflichtet war, und ich hoffe, auch sie ehren den Spruch: auf der Heide schlagen, beim Trunke sich vertragen.«

      Da rief ihm ein junger Dienstmann von der Bank entgegen: »Hast du auch meinem Genossen das Haupt zerschlagen, lustiger Immo, so will ich dir doch Bescheid tun, wenn der Graf dir einen Trunk verstattet. Denn laut dröhnte dein Holz an meiner Eisenhaube, und ich schulde dir noch einen Dank vom letzten Kirchfest, wo ich allein gegen eine Anzahl Klosterleute rang und du mir zu Hilfe sprangst, damit der Kampf ehrlicher sei. Treffe ich dich mit einem Schwert aber später auf grünem Grunde, dann zahle ich dir die Streiche zurück, und du magst sie tragen.«

      Ein beifälliges Gebrumm ging um die Bänke.

      »Wohlan,« entschied der Graf, »da du dich vor meinen Mannen nach Gebühr zu entschuldigen weißt, so will auch ich heut an die Ehren deines Vaters gedenken. Siehe zu, ob du meine Tochter Hildegard erbitten kannst, daß sie deinen Stuhl in ihrer Nähe leidet, denn sie ist gleich dir vor kurzem aus der Klosterschule geschlüpft, und sie soll dir wie ein Abt in Latein dein Urteil sprechen. Wir andern aber wollen ruhig zuschauen, wenn sie über dem Scholastikus zu Gericht sitzt.«

      Das Mädchen saß unbeweglich und sah errötend vor sich hin.

      »Sei mir hold,« bat Immo, »da du doch aus der Schule bist.«

      Ein freundlicher Blick des Einverständnisses fiel auf ihn, dann sah sie wieder vor sich hin.

      »Hast du das Sprechen verlernt, Hildegard?« frug der Graf unwillig. »Sechs teure Rosse haben die frommen Frauen genommen, um dich in ihrer Zucht zu unterweisen, obgleich ich das Gewieher der Rosse lieber höre als das unverständliche Murmeln in fremden Zungen. Mich reut meine Spende, wenn du dem dreisten Schüler nicht zu antworten vermagst.«

      »Cave ne iram augeas,« sprach das Mädchen leise, ohne den Schüler anzusehen.

      »Nur dürftig rinnen die Worte wie aus versiegendem Quell, was hast du ihm gesagt, Mädchen?« frug der Graf.

      »Sie hat mich gemahnt,« antwortete Immo sich erhebend, »daß ich mit ehrerbietiger Bitte euch nahen soll. Darum flehe ich, Graf Gerhard, daß ihr mir, wenn ich auch euer Gefangener bin, den Sitz gestattet und mich nicht von eurem Tische sendet. Denn um euch alles zu sagen, gar nicht reichlich war heut die Mittagskost im Kloster und der Ritt zwischen den Rossen eurer Reisigen war auch einem fröhlichen Imbiß sehr ungleich, und gern würde ich Heil für euch und die Jungfrau trinken, wenn ich es vermöchte.«

      Da der Graf an dem beifälligen Murmeln seiner Dienstmannen erkannte, daß diesen die Art des Jünglings wohlgefiel, so lachte er und rief über die Bänke: »Wahrlich, dieser Schüler versteht nicht nur sich selbst, auch andern Ehre zu geben. Darum gefällt mir, daß heut die beiden Lateiner zusammensitzen. Fülle deinen Becher, Hildegard, und biete ihm den Trunk, rücke ihm auch deinen Teller hin, denn als dein Geselle soll er heut von deinem Teller essen und aus deinem Becher trinken.«

      Das Mädchen schob den Teller zögernd nach dem Fremden hin.

      »Ich merke,« sagte Immo ärgerlich, »daß dir dein Geselle unwillkommen ist.«

      »Wundere dich nicht, Immo,« spottete der Graf, »du bist wie ein Frosch aus dem Klosterweiher herangehüpft. Ihr aber geht es wie der Königstochter, welcher auch ein Frosch zum Gesellen gesetzt war, stolz sah sie auf den Quaker, kalt erschien ihr sein Fell und nur mit zwei Fingern griff sie ihn an.«

      »Ja, so tat sie, Herr,« versetzte Immo dreist, »aber zuletzt wurde der Quaker doch ihr Gemahl.«

      Der Graf und seine Bankgenossen lachten laut. »Mißfällt dir auch seine ungefüge Stimme,« gebot der Graf ergötzt der Jungfrau, »so fülle ihm doch den Becher.«

      »Trinke mir zu«, mahnte Immo, »dies ist mein Recht, da ich dein Geselle bin.«

      Hildegard berührte den Becher mit ihren Lippen, schob ihm den Becher hin und sagte leise: »Stille ein wenig den lauten Gesang, denn der Reiher schwebt über dir.«

      »Sieh zu, Frau Reiherin, ob meine Hand kalt ist wie eine Froschhand,« versetzte Immo, ihre Hand fassend.

      »Du wirst dreist, Herr Frosch,« antwortete das Mädchen, die Hand zurückziehend, »tauche zurück in deinen Quell.« Sie hob die Kanne und goß ihm den Becher voll.

      »Sei bedankt,


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