Das Nest der Zaunkönige. Gustav Freytag

Das Nest der Zaunkönige - Gustav Freytag


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begann Hildegard zutraulicher, »denn selig waren die Tage meiner Jugend unter den frommen Frauen, und wilde Reden höre ich hier unter den Männern.«

      »Manches Vöglein, das aus dem Bauer kam, duckt sich furchtsam auf dem Aste, zuletzt lernt es doch unter dem blauen Himmel fliegen,« tröstete Immo.

      »Als mir die Mutter starb, fand ich unter den frommen Frauen getreue Pflege.«

      »Waren sie streng in der Schule?« frug Immo teilnehmend.

      »Am Vormittag durften wir nur lateinisch reden,« erklärte Hildegard, »und wir lasen im St. Augustinus und die Verse im Virgilius: Conticuere omnes.«

      »Infandum regina jubes renovare dolorem,« rief Immo, »manchmal hat mir der Heide den Kopf heiß gemacht,« und beide lachten vergnügt einander an.

      »Auch andere Kunst lernten wir,« fuhr Hildegard mutig fort, »denn im Schreiben war Mutter Mechthild sehr geschickt und sie vergönnte mir, daß ich die Hymnen für mich schrieb. Ich habe auch das Buch genäht, ich habe es auch selbst in Holz gebunden und der Schmied hat acht Edelsteine in die Ecken gesetzt.«

      »Diese Kunst vermag ich nicht zu üben,« versetzte Immo.

      »Auch mit der Nadel lernten wir Bilder sticken aus Purpur und bunten Seidenfäden. Sogar Goldfäden für die Kunstreichen fehlten selten im Kloster. Sieh her, das habe ich mir selbst gestickt,« und sie wies ihm die Verzierungen am Ärmel ihres Gewandes.

      Immo sah bewundernd darauf. »Dir ist es besser gelungen als mir. Aber beide sind wir Waisen, ich kam in das Kloster, weil mir der Vater starb, jetzt fürchte ich, daß bald einmal die Schere knipst, um mir das Haar zu scheren.«

      »Du meinst wohl, es sei schade um deine Locken,« spottete Hildegard, aber sie sah doch teilnehmend auf sein Haar, welches im Lichte glänzte und länger herabhing, als strenge Klosterzucht sonst den Schülern gestattete. »Wenn der Mutter Mechthild einmal die Goldfäden fehlen, so kann sie deinen Haarschopf dazu verspinnen.«

      »Lieber wäre mir, wenn dir gefiele, für mich einen Goldfaden aus deinem Gewande zu ziehen. Hier ist mein Finger, binde ihn mit deinem zusammen, da du doch heut mein Geselle bist. Denn wisse, das ist Brauch in der Welt.«

      »Das ist übler Brauch,« versetzte das Mädchen errötend, »ich vermöchte dich doch nicht bei mir festzuhalten. Auch habe ich vernommen, daß treue Gesellen solche Gewohnheit haben, sie sitzen beieinander auf demselben Zweige und singen dieselben Lieder. Deine Weise aber ist, wie ich merke, sehr ungleich der meinen.« Sie neigte das Haupt ein wenig auf die Seite und lud ihn durch einen lustigen Blick zum Wortkampf ein. »Mir gefällt's, wenn das Glöcklein im Kloster klingt, dann singen wir fromme Hymnen.«

      »Mir aber gefällt's, wenn das Waldhorn tönt,« antwortete Immo ebenso, »dann bellen die Hunde, dann springen die Hirsche und lustig reitet der Jäger im wilden Wald. Was sagst du dazu, mein Geselle?«

      »In deinem grünen Wald heult der Wolf und haust der wilde Bär, im Kloster aber ziehen wir mit Kreuz und Fahne und danken dem Himmelsherrn.«

      »Mühselig ist es, immer den Kopf zu neigen und mit langsamem Fuße zu schleichen. Ich lobe mir den grünen Anger und bunten Klee, dort werfen die Knaben und Mädchen den Ball und springen den Reigen. Wie gefällt dir das, mein Geselle?«

      »Beim wilden Reigen sah ich die Knaben das Messer ziehen und blutige Streiche störten den Tanz; ich lobe mir, wenn das junge Geschlecht im Kreise sitzt und die Vorleserin Gutes aus den Büchern verkündet.«

      »Leicht kommt der Schlaf, wenn man tatlos kauert. Viel lieber schwinge ich selbst den Speer und das Schwert und reite im Eisenhemd über die Heide. Was sagst du dazu, mein Geselle?«

      »Ein Kriegsmann willst du werden,« rief das Mädchen erschrocken, »sie werden dich töten,« und sie vergaß das Redespiel.

      »Wenn sie das vermögen; ich aber will sorgen, daß es ihnen nicht gelinge.«

      Die Jungfrau sah scheu aus ihren großen Augen auf den Nachbar. Daß er nicht geistlich werden wollte, störte ihr die Sicherheit, sie schob ihr Gewand zusammen und schwieg.

      Immo achtete in seinem Übermut nicht auf ihre Bewegung und rief: »Mir ist heut manches schlecht gelungen, die Schwertleute haben sich an mich gehängt und mich hart geschnürt, und ich weiß nicht, was mir dein Vater ersinnen wird. Dennoch bin ich froher als je in meinem Leben und ich könnte auf meinem Stuhl hüpfen. Ich fühle auch gegen niemanden Groll und es ist mir ganz lieb, daß sie mich gefangen haben. Ich weiß nicht, woher das kommt, wenn mir nicht darum so wohl ist, weil ich neben dir sitze und mit dir aus einem Becher trinke. Wonnig ist mir zumute und ich möchte wohl einmal aus Herzensgrund aufjauchzen oder auch singen. Aber mein Gesang würde nicht jedermann freuen, denn meine Stimme ist rauh. Noch anderes Recht habe ich als dein Geselle, und auch das sollst du wissen. Denn küssen darf ich dich, wenn ich will.«

      Hildegard erschrak und wandte sich ab. »Hüte dich, daß der Vater das nicht hört, schnell würde dein Ehrensitz dir genommen werden.«

      »Um den Vater sorge ich nicht, nur um deinen Zorn,« versetzte Immo übermütig, »und daß ich dich vor den Kriegsleuten nicht beschäme. Aber wenn ich dich einmal allein wiedersehe, dann bestehe ich auf meinem Recht. Mögen die guten Engel fügen, daß dies bald geschehe.« Und er sang halblaut die Worte des Hymnus: »Audi, benigne, Conditor, nostras preces cum fletibus.«

      Das Mädchen nahm die Weise auf und sang halblaut andere Zeilen des Liedes entgegen; »dona, per abstinentiam jejunet ut mens sobria1. Flehe zu den Heiligen, daß du nüchtern wirst, denn wie ich höre, redest du gleich einem Berauschten.«

      »Wie du geschickt zu entgegnen weißt,« rief Immo begeistert, »du bist ein sinnvolles Weib, wenn du mich auch verhöhnst.«

      Der Graf hatte unterdes mit seinen Mannen emsig dem Wildbret und starkem Bier zugesprochen und nur einzelne Reden mit den Vertrauten, welche ihm zunächst saßen, gewechselt, jetzt lehnte er sich zufrieden auf dem Stuhle zurück und hörte die lateinischen Worte des Hymnus, welche seine Tochter sprach. »Merkt auf unsere Klosterleute,« rief er, »sie summen nach Art der Mönche mit geneigten Köpfen,« und da er im geheimen stolz auf das Wissen seiner Tochter war, fuhr er fort: »Fremde Worte sprechen mag jeder, aber das Gesprochene verstehen ist schwerer. Vermagst du einzusehen, Immo, was das Mädchen zu dir gesungen hat?«

      »Ja, Herr,« versetzte Immo, »sie mahnt mich mäßig zu sein, damit euer Trank mir nicht das Hirn betäube.«

      »Allzu streng ist Hildegard,« lachte der Graf, »dir soll auch einmal etwas Gutes gegönnt sein. Obwohl ich erkenne, daß es dir an Dreistigkeit nicht fehlt, du junger Zaunkönig. Denn Zaunkönige nennt ja wohl das Volk die Männer deines Geschlechtes.«

      Immo bezwang mit Mühe den aufsteigenden Zorn. »Weil meine Vorväter als alte Landherren auf freiem Erbe saßen, deshalb haben die Mönche ihnen im Scherz den Namen Reguli, kleine Könige, gegeben.«

      Da rührte sich auch Egbert, ein unfreier Dienstmann des Grafen, welcher stattlich in rotem Gewande dasaß, weil er der Sprecher war und ein Liebling seines Herrn, und rief spottend in den Saal: »Eine Sage weiß ich. Als die Vögel den Genossen zum König wählen wollten, der sich am höchsten schwingen würde, barg sich ein Zwerg von Vogel in den Federn des Adlers und ließ sich hinauftragen bis dahin, wo er den Weltenherrn auf seinem Stuhle sah, dort flatterte er über das Haupt des Adlers und piepte: König bin ich. Da lachte oben der alte Gott in seiner Halle und unten schrien die Vögel im Zorn, bis der Herr des Erdgartens gebot, daß der Betrüger seine Krone nur heimlich in den Waldhecken tragen dürfe, wo ihm niemand zusieht. Darum heißt auch ihr Zaunkönige, weil eure Herrlichkeit im Busch versteckt ist.«

      Immo erhob sich im hellen Zorn und rief: »Nicht dem Diener antworte ich, sondern dem Herrn. Ihr selbst habt es ja wohl erfahren, Graf Gerhard, daß die Helden meines Geschlechtes ihr Haupt nicht in der Waldhecke bergen. Nie hat einer von meinen Ahnen sein Land vom König oder von der Kirche zu Lehen genommen, wie die erbelosen Franken und Sachsen, welche von der Dienerbank in das Land kamen, um bei uns Grafen zu werden. Manchen weiß ich, der sich jetzt rühmt, ein Edler zu sein, weil er als Diener eines Königs mit großem Gefolge reitet, obgleich seine Vorfahren aus der


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Erhöre, gütiger Schöpfer, unser Gebet und Flehen – Gib, daß durch Enthaltsamkeit sein Sinn mäßig und nüchtern werde.