Der Erbe. Dritter Band.. Gerstäcker Friedrich
fuhr der Baß fort, als noch eine andere Männerstimme zu ihm gesprochen, »Niemanden hinunter oder herauf ohne meine Erlaubniß. Einer von Euch bleibt bei dem Schuhmacher und läßt ihn nicht aus den Augen. Gehören die Leute hier alle in's Haus?«
»Nein, Herr Geheimer Commissar,« hörte sie jetzt Heßberger sagen. »Nur zwei von den Jungen schlafen hier, die beiden anderen sind auf der Arbeit.«
»Gut, die mögen sich anziehen und ihrer Wege gehen; wir haben nichts weiter mit ihnen zu thun. Die zwei Jungen bleiben da.«
Die Frau Heßberger schritt nach der Thür.
»Thun Sie mir den einzigen Gefallen, Frau Heßberger,« sagte die Frau Räthin rasch, »und schließen Sie die Thür zu, bis die Leute wieder fort sind, oder wenn das nicht geht, lassen Sie uns hinten hinaus; wir kommen lieber morgen Abend wieder.«
»Ich habe nur den einen Ausgang,« sagte die Frau; »aber gedulden Sie sich einen Augenblick – ich will nur sehen, was da vorgeht – die ganze Sache scheint ein Mißverständniß zu sein, und mein Holzkopf von Mann weiß sich nie zu helfen.«
Damit verließ sie die Stube und trat in die Werkstätte; die Frau Staatsanwalt aber, die aufgestanden war, sank in ihren Stuhl zurück und stöhnte: »O Du barmherziger Gott, das war die Stimme meines Mannes! Er ist mit Polizei gekommen, um mich abzuholen!«
»Aber, beste Frau Staatsanwalt,« bat die Frau Räthin, die viel ruhiger bei der Sache blieb, »das ist ja gar nicht möglich! der Zufall kann ihn hiehergeführt haben, wenn ich auch nicht begreife, wie; aber er wird auch wieder fortgehen, und wir warten es hier ruhig ab.«
»Horchen Sie nur – sie kommen hieher!« – Sie hatte recht.
»Thut mir leid, Frau Heßberger, Sie stören zu müssen, kann Ihnen aber nicht helfen – muß meine Pflicht thun,« sagte der Baß wieder. »Ich ersuche Sie vor allen Dingen, Ihre sämmtlichen Zimmer und Kammern aufzuschließen.«
»Aber auf wessen Befehl?« rief jetzt die Frau Heßberger, empört über eine derartige Behandlung. »Wer darf friedlichen Bürgern bei Nacht und Nebel in das Haus fallen und ihre Wohnung durchsuchen?«
»Die Polizei darf Alles, Frau Heßberger,« sagte der Mann ruhig, »und wenn Ihnen nachher Unrecht geschehen ist, so steht es Ihnen frei, Ihre Klage anzubringen. Für jetzt haben Sie weiter nichts zu thun, als Folge zu leisten.«
»Aber wessen sind wir denn angeklagt? Das darf man doch erfahren, um sich vertheidigen zu können.«
»Jawohl, gewiß,« sagte der Commissar wieder; »der Herr Rath Frühbach hat eine Klage gegen Sie anhängig gemacht und eine Haussuchung beantragt, weil er behauptet, daß ihm von dem Schuhmacher Heßberger Zeug zu einem Beinkleide und verschiedene Silbersachen gestohlen seien.«
»Was, der Herr Rath Frühbach hat das behauptet?« schrie die Frau, während die Frau Räthin hinter der Thür vor Schreck fast in die Kniee zu brechen drohte. »Der schlechte, nichtsnutzige Mensch will ehrliche Leute zu Dieben machen, und indessen kommt seine Frau hier zu mir und thut scheinheilig und freundlich, als ob sie von Gott und der Welt nichts wüßte?«
»So? Die Frau Räthin Frühbach ist bei Ihnen?« sagte Staatsanwalt Witte, der in diesem Augenblick vortrat. »Da bedauere ich allerdings, daß wir so zur unrechten Zeit gestört haben – aber jetzt kann's nichts mehr helfen. Herr Commissar, bitte, thun Sie Ihre Schuldigkeit!«
»Jawohl, Herr Staatsanwalt,« rief die Frau mit einem tiefen, spöttischen Knix, indem sie die Thür zu ihrem Zimmer aufriß, »dann seien Sie nur so gut und heben Sie das ganze Nest aus und können dann Ihre Frau Gemahlin auch gleich mitnehmen! Weiter werden Sie aber wohl nichts finden – bedauere sehr, daß sich die Herren umsonst bemüht haben!«
»Alle Teufel!« murmelte der Staatsanwalt vor sich hin. »Aber das ist ja gar nicht möglich!«
»Belieben Sie vielleicht gefälligst näher zu treten?« sagte die Frau höhnisch. »Eine verschleierte Dame aus der Residenz, die zu wissen wünscht, wer ihr Schwiegersohn wird! Bitte, Herr Commissar, geniren Sie sich nicht, thun Sie, als ob Sie zu Hause wären! Aber da will ich doch die ganze Welt fragen,« setzte sie boshaft hinzu, »ob das ein Betragen von anständigen, ehrbaren Frauen ist, hier in der Nacht zu mir zu kommen und sich an meinen Tisch zu setzen, während ihre beiden Männer gegen mich ein Complot anstiften und mit Polizei in's Haus rücken!«
»Meine Damen,« sagte der Commissar, aber jetzt wirklich selber in Verlegenheit, »es thut mir leid, so zur unrechten Zeit gekommen zu sein. Uebrigens habe ich nicht den geringsten Auftrag, Sie hier zurückzuhalten, und stelle Ihnen deshalb frei, den Platz zu verlassen, wann es Ihnen beliebt.«
»Herr Commissar,« sagte die Frau Räthin, »wir werden von ihrer Güte Gebrauch machen.« Und ohne den Blick rechts oder links zu wenden, erfaßte sie den Arm ihrer Begleiterin und eilte mit dieser, so rasch sie über das in der Werkstätte umhergestreute Leisten- und Lederwerk hinwegkommen konnten, der Treppe zu. Dorthin begleitete sie aber noch der Commissar, gab dem dort stationirten Polizeidiener, der schon vortreten wollte, Befehl, die Damen durchzulassen, und kehrte dann in die Stube zurück, um seine vorgeschriebene Haussuchung zu beginnen.
Heßberger selber zeigte sich dabei außerordentlich demüthig, aber doch auch störrisch; er meinte, es solle dem Herrn Rath Frühbach theuer zu stehen kommen, ihn auf solche Weise verdächtigt zu haben, noch dazu, da er ihn heute Mittag selber in den Laden geführt hätte, wo das Hosenzeug zu verkaufen wäre, auf das sich, wie er jetzt vermuthen müsse, seine Nachfragen bezogen hätten. Dort aber könne ihm Jeder bezeugen, daß er den Stoff da gekauft und gleich bezahlt habe, und er wolle doch einmal sehen, ob er sich auf diese Weise als ehrlicher Mann brauche beschimpfen zu lassen.
Die Frau Heßberger selber, die ihren ersten Zorn hinuntergekämpft, benahm sich jetzt vollkommen vornehm gegen den Commissar und dachte gar nicht daran, ihn im geringsten zu unterstützen. Da wären die Schlüssel, sagte sie, zu allen ihren Schränken und Laden; nun möge er selber, wenn es ihm Freude mache, nachsehen, ob er dort irgend etwas von des Herrn Frühbach Sachen fände. Sie selber aber rühre keine Hand und sei auch nicht dazu verpflichtet, bitte sich aber aus, daß Alles wieder so ordentlich gelegt würde, wie man es gefunden.
Dem Commissar gefiel das nicht; die Leute betrugen sich nicht wie ertappte Verbrecher, sondern handelten genau so, als ob sie in ihrem guten Recht wären, und der Staatsanwalt besonders befand sich nichts weniger als behaglich. Er wußte recht gut, welche Verantwortung er übernommen, und zum ersten Mal stieg der Wunsch in ihm auf, die ganze fatale Angelegenheit gar nicht berührt zu haben. Aber was half es! Die Haussuchung hatte durch das polizeiliche Besehen der Wohnung factisch begonnen und mußte nun auch durchgesetzt werden. Und wer konnte denn überhaupt wissen, ob sie nicht doch etwas fanden, was sie in der Ausführung entschuldigte und rechtfertigte!
Zuerst wurde die Werkstätte untersucht, aber nur leichthin, denn hier war auch kein möglicher Platz, wo etwas hätte versteckt werden können, den Ofen vielleicht ausgenommen; dann kam das Zimmer der Frau, was schon mehr Schwierigkeiten bot. Aber trotz genauer Durchsuchung der sämmtlichen Schränke und Commoden fand sich auch nicht das geringste Verdächtige, eben so wenig in der Küche.
Der kleine Holzverschlag war fast leer und konnte mit einer Laterne leicht abgeleuchtet werden; er enthielt nichts, als einst weiß gewesene schmutzige Kalkwände mit vielleicht einem Korb Holz darin. Einen Keller hatten die Heßbergers gar nicht, eben so wenig Bodenraum; nur noch ein dunkles Käfterchen, in dem vielleicht zwei Scheffel Steinkohlen lagen. Auch das wurde durchsucht und der Bestand zum großen Theile bei Seite geschaufelt; aber auch dort fand sich nichts, und der Commissar sah den Staatsanwalt an und zuckte die Achseln.
Staatsanwalt Witte befand sich in Verlegenheit. Die Sache war ihm entsetzlich fatal, und noch fataler, daß sich Frau Heßberger auf einen ihrer Lehnstühle gesetzt und ihn mit höhnischen Blicken betrachtete. Aber was ließ sich thun! Daß Heßbergers jetzt den Rath Frühbach wegen falscher Anklage vor Gericht belangen würden, verstand sich von selbst, und er hatte eine heftige Scene mit dem Rath zu gewärtigen; aber das ließ sich eben nicht ändern. Keinesfalls wollte er sich dem Hohn der Schustersfrau hier länger aussetzen; der Commissar mochte sehen, wie er mit der allein fertig wurde.
»Schön,« sagte er,