Goethes Briefe an Leipziger Freunde. Johann Wolfgang von Goethe

Goethes Briefe an Leipziger Freunde - Johann Wolfgang von Goethe


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Musikliebhaber, aber ein Original; so kleidete er sich modisch und fein, aber nur grau, das er in den verschiedensten Schattirungen und Stoffen anzubringen beflissen war. Er gehörte zu den Menschen, welche nie auf Universitäten ausgehen, die eine besondere Gabe haben die Zeit mit Geschick zu verthun und dabei sich und andere ironisiren, ebenso gefährlich für die mittelmäßigen und schwachen, als anziehend und selbst anregend für die bedeutenden. Der Humor, mit welchem er seine Thorheiten höchst ernsthaft und das Ernsthafteste possenhaft betreiben konnte, war unerschöpflich und unwiderstehlich, und fesselte auch Goethe an ihn, obwohl er ihn in barocker Weise fortwährend hofmeisterte. Auch an seinen dichterischen Arbeiten nahm er, ein Mann von feinem Geschmack, lebhaften Antheil und munterte ihn fortwährend auf sich darin fortzubilden; nur etwas drucken zu lassen hielt er ihn stets ab und schrieb dagegen die Gedichte, welche seine Kritik bestanden, mit einer seltnen, in seiner Familie heimischen, Kunst zur Belohnung höchst sauber in ein zierliches Buch. Als Behrisch von Leipzig nach Dessau fortging, wo er auf Gellerts Empfehlung, dessen Liebling er war, Erzieher des Erbprinzen, dann Pagenhofmeister wurde, entließ ihn Goethe mit Abschiedsoden von schwerem Caliber; später erneuerte er von Weimar aus die alte Bekanntschaft und fand ihn als feinen Hofmann bei Hofe wohlgelitten und allgemein geachtet, in seinem Humor aber ganz den alten „mit gescheiten Bemerkungen dumm ausgedrückt und vice versa.“7 „Hab' ich es dir nicht gesagt?“ – damit empfing er ihn – „war es nicht gescheit, daß du damals die Verse nicht drucken ließest und daß du gewartet hast bis du etwas ganz gutes machtest? Freilich schlecht waren damals die Sachen auch nicht, denn sonst hätte ich sie nicht geschrieben. Aber wären wir zusammen geblieben, so hättest du auch die andern nicht sollen drucken lassen; ich hätte sie dir auch geschrieben und es wäre eben so gut gewesen.“8 Langer, der nach Behrisch Hofmeister des Grafen Lindenau wurde, später Bibliothekar in Wolfenbüttel, ein Mann, der in einem bewegten Leben als Militair die mannigfaltigsten Erfahrungen gemacht und, ohne je studirt zu haben, sich die gründlichste, umfassendste Gelehrsamkeit erworben hatte, wurde für Goethe in seiner Krankheit ein großer Trost und gewann durch seinen milden Ernst eben so großen Einfluß auf sein Gemüth, als seine Kenntnisse und Erfahrungen ihn in seiner Bildung förderten.

      Von den jüngeren Studiengenossen kennen wir Bergmann, später Prediger in Lievland, der als ausgezeichneter Fechter Goethe als Fuchs den Arm zeichnete,9 Wagner, an welchen Goethe als Greis die Verse richtete:

      „Ziehn wir nun die achtzig Jahr

      Durch des Lebens Mühen,

      Müssen auch im Silberhaar

      Unsre Pflüge ziehen.

      Führt doch durch des Lebens Thor

      Traun! so manche Gleise,

      Ziehn wir einst im Engelchor,

      Gehts nach einer Weise“10

      die beiden Brüder Breitkopf und Horn. Dieser, dessen kleine Gestalt und krumme Beine stets herhalten mußten,11 war die lustige Person in der Gesellschaft, die er besonders durch sein Talent nachzumachen ergötzte, immer bereit zu mystificiren und sich mystificiren zu lassen: übrigens ein braver und treuer Mensch, was er in Goethes Krankheit bewährte.

      Goethe gab nun den Mittagstisch, welchen nach damaliger Sitte Hofrath Ludwig für Studenten hielt, auf und schloß sich ganz diesem Kreise an, in welchem Geist und Bildung, ungezwungene Heiterkeit und Laune, jugendlicher Übermuth herrschten. Man fand sich Mittags und Abends am bestimmten Ort zusammen, die Vergnügungsörter, Apels (später Reichels) Garten, die Kuchengärten, Gohlis, Raschwitz, Konnewitz wurden fleißig besucht. Wie ausgelassen lustig es dabei hergehen konnte, das zeigt uns die Scene in Auerbachs Keller im Faust. Zwar ist es einer gründlichen Forschung noch vorbehalten die Leipziger Originale der dort auftretenden Personen nachzuweisen, allein die Localfarbe derselben ist unverkennbar, schon der Scherz mit Herrn Hans von Rippach erweist sie, den ohne Commentar zu verstehen noch jetzt das Vorrecht der Leipziger ist. Ebenso wenig als man hier im Genuß stets Maaß beobachtete, hielt man auch die übermüthigste Laune und den schonungslosesten Witz in Schranken, und gab so nach vielen Seiten Anstoß und Gelegenheit zu übler Nachrede. Liebschaften waren damals an der Tagesordnung und manche aus diesem Kreise hatten eine Neigung zu Mädchen, die zwar „besser waren als ihr Ruf,“ deren Umgang aber mindestens für den Ruf nicht vortheilhaft war. Es ist wohl nicht zu bezweifeln, daß sowohl die Ansicht von dem Wankelmuth und der Unzuverlässigkeit der Frauen, als auch eine gewisse Leichtfertigkeit und Freiheit sinnlicher Leidenschaft, welche in Gedichten und Briefen jener Zeit sich ausspricht, aus diesem Verkehr hervorgegangen war. Dabei darf man freilich nie vergessen, daß die Vorstellungen von Schicklichkeit in Ton und Betragen gar sehr wechseln; schon ein Blick auf Bilder aus damaliger Zeit erklärt manches, was uns jetzt befremdet. Wenn Goethe in feuriger Jugendkraft rücksichtslos sich frischem Lebensgenuß ergab und sich wenig um ein geregeltes Leben kümmerte, so blieb die Strafe dafür, wie für andere Unvorsichtigkeiten, durch welche er seiner Gesundheit schadete, nicht aus. Ein Blutsturz brachte ihn an den Rand des Grabes und wenn ihn auch die sorgfältige Behandlung seines Arztes Reichel und die treue Pflege seiner Freunde rettete, so blieb er doch die letzte Zeit seines Aufenthalts in Leipzig und später noch in Frankfurt fortwährend leidend und kränkelnd. Dies hatte auf seine Stimmung keinen geringen Einfluß, auch nach der Genesung blieb sie gedrückt, der jugendliche Frohsinn und Übermuth war gebrochen. Er hatte es kein Hehl, daß er leichtsinnig auf seine Gesundheit eingestürmt sei, allein als er nun nicht nur sich selbst mit einer gewissen Ängstlichkeit schonte, sondern auch die Freunde gern zur Mäßigung ermahnte, entging er ihrem Spott nicht, wie es in einem seiner Lieder heißt:

      „Ihr lacht mich aus und ruft: der Thor!

      Der Fuchs, der seinen Schwanz verlohr,

      Verschnitt jetzt gern uns alle.

      Doch hier paßt nicht die Fabel ganz,

      Das treue Füchslein ohne Schwanz,

      Das warnt euch vor der Falle.“

      Und dieser Scherz vom Füchslein muß in dem Freundeskreise sprüchwörtlich gewesen sein, denn auch in den Briefen wird er mehrmals erwähnt.

      Vergessen wir aber nicht, daß diese lebenslustige Gesellschaft aus jungen Männern von bedeutender Fähigkeit und tüchtiger Gesinnung bestand, die über fröhlichem Genuß das ernste Streben nicht vergaßen. Der unschätzbare Gewinn des akademischen Lebens ist die Unbefangenheit im gegenseitigen Verkehr, die sich auf die gleichartigen jugendlichen Neigungen und das gemeinsame Streben nach wissenschaftlicher Bildung gründet, und gleich offen und entschieden in Liebe und Abneigung eine beständige Anspannung der Kräfte im regen Wetteifer hervorruft, die deshalb so heilsam ist, weil sie stets aus dem nächsten Anlaß des wirklichen Lebens unmittelbar hervorgeht. Hier fand Goethe eine ebenso warme Theilnahme als scharfe Kritik für das, was er hervorbrachte, dieser Verkehr bot ihm wahre Impulse seiner künstlerischen Production in den Erfahrungen eines wenn auch jugendlich beschränkten, doch frisch und frei bewegten Lebens. So entwickelte sich hier zuerst die Eigenthümlichkeit seiner dichterischen Natur, welche ihn groß vor allen, welche ihn zum Befreier der Deutschen Dichtkunst gemacht hat, daß er den einzigen Quell seiner Dichtung in seinem Gemüthe fand, daß alles, was ihn innerlich ergriff und bewegte, ihn mit Nothwendigkeit zur künstlerischen Darstellung trieb, welche ihn wie von einer Last befreite. Nichts aber hat sein Gemüth während seines hiesigen Aufenthalts so tief ergriffen und so anhaltend beschäftigt als die leidenschaftliche Liebe zu dem Mädchen, welche er uns als Ännchen geschildert hat, eine Liebe, welche aus seinen noch vorhandenen Briefen lebendiger hervortritt, als aus seiner späteren Darstellung.

Christian Gottlob Schönkopf, ein Weinhändler, war der Hauswirth, in dessen Wohnung12 sich die Gesellschaft, zu welcher Goethe gehörte, Mittags einzufinden pflegte. Seine Gattin war eine geborene Hauk aus einer Frankfurter Patricierfamilie, eine geistvolle und lebendige Frau; mit der Landsmännin war Goethe bald vertraut geworden und fühlte sich dort heimisch, er war „ein Stück der Familie“


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<p>7</p>

Riemer Mittheilungen II. S. 60. Er starb 1809 in Dessau, unverheirathet, sechzig Jahre alt.

<p>8</p>

Eckermann Gespräche II. S. 175 ff.

<p>9</p>

Blum, ein Bild aus den Ostseeprovinzen S. 29.

<p>10</p>

Originalien 1832 Nr. 83 f.

<p>11</p>

„Wir würden uns doch gewiß recht gut dargestellt haben, denn ich hätte mir ein Postamentgen machen lassen“ schreibt Horn an Käthchen Schönkopf, und ein anderes Mal: „Auf der Reise wäre ich bald unglücklich gewesen, denn meine krummen Beine, wie die Mamsell spricht, hatten sich so mit den Andräischen verwickelt, daß man sie um uns zu trennen beynahe hätte zerbrechen müssen.“

<p>12</p>

Das Haus liegt im Brühl Nr. 79 neben dem goldenen Apfel und ist bis vor wenig Jahren im Besitz der Familie geblieben; seitdem es in andere Hände gekommen ist, ist es fast ganz umgebaut worden.