Goethes Briefe an Leipziger Freunde. Johann Wolfgang von Goethe
guten Abend!
Gestern hatte ich mich kaum hingesetzt um euch eine Stunde zu widmen, Als schnell ein Brief von Horn kam und mich von meinem angefangnen Blate hinweg riß. Heute werde ich auch nicht länger bey euch bleiben. Ich geh in die Commoedie. Wir haben sie recht schön hier. Aber dennoch! Ich binn unschlüßig! Soll ich bey euch bleiben? Soll ich in die Commödie gehn? – Ich weiß nicht! Geschwind! Ich will würfeln. Ja ich habe keine Würfel! – Ich gehe! Lebt wohl! —
Doch halte! nein! ich will da bleiben. Morgen kann ich wieder nicht da muß ich ins Colleg, und Besuchen und Abends zu Gaste. Da will ich also jetzt schreiben. Meldet mir was ihr für ein Leben lebt? Ob ihr manchmahl an mich denkt. Was ihr für Professor habt. & cetera und zwar ein langes & cetera. Ich lebe hier, wie – wie – ich weiß selbst nicht recht wie. Doch so ohngefähr
So wie ein Vogel, der auf einem Ast
Im schönsten Wald, sich, Freiheit athmend wiegt.
Der ungestört die sanfte Luft genießt.
Mit seinen Fittichen von Baum zu Baum
von Bußch zu Bußch sich singend hinzuschwingen.
Genug stellt euch ein Vögelein, auf einem grünen Ästelein in allen seinen Freuden für, so leb ich. Heut hab ich angefangen Collegia zu hören.
Was für? – Ist es der Mühe wehrt zu fragen? Institutiones imperiales. Historiam iuris. Pandectas und ein privatissimum über die 7 ersten und 7 letzten Titel des Codicis. Denn mehr braucht man nicht, das übrige vergißt sich doch. Nein gehorsamer Diener! das ließen wir schön unterwege. – Im Ernste ich habe heute zwei Collegen gehört, die Staatengeschichte bey Professor Böhmer, und bei Ernesti über Cicerons Gespräche vom Redner. Nicht wahr das ging an. Die andre Woche geht Collegium philosophicum et mathematicum an. —
Gottscheden hab ich noch nicht gesehen. Er hat wieder geheurathet. Eine Jfr. Obristleutnantin. Ihr wißt es doch. Sie ist 19 und er 65 Jahr. Sie ist 4 Schue groß und er 7. Sie ist mager wie ein Häring und er dick wie ein Federsack. – Ich mache hier große Figur! – Aber noch zur Zeit bin ich kein Stutzer. Ich werd es auch nicht. – Ich brauche Kunst um fleißig zu sein. In Gesellschaften, Concert, Comoedie, bei Gastereyen, Abendessen, Spazierfahrten so viel es um diese Zeit angeht. Ha! das geht köstlich. Aber auch köstlich, kostspielig. Zum Henker das fühlt mein Beutel. Halt! rettet! haltet auf! Siehst du sie nicht mehr fliegen? Da marschierten 2 Louisdor. Helft! da ging eine. Himmel! schon wieder ein paar. Groschen die sind hier, wie Kreuzer bei euch draußen im Reiche. – Aber dennoch kann hier einer sehr wohlfeil leben. Die Messe ist herum. Und ich werde recht menageus leben. Da hoffe ich des Jahrs mit 300 Rthr. was sage ich mit 200 Rthr. auszukommen. NB. das nicht mitgerechnet, was schon zum Henker ist. Ich habe kostbaaren Tißch. Merkt einmahl unser Küchenzettel. Hüner, Gänße, Truthahnen, Endten, Rebhüner, Schnepfen, Feldhüner, Forellen, Haßen, Wildpret, Hechte, Fasanen, Austern u. s. w. Das erscheinet Taglich. Nichts von anderm groben Fleisch ut sunt Rind, Kälber, Hamel u. s. w. das weiß ich nicht mehr wie es schmeckt. Und die Herrlichkeiten nicht teuer, gar nicht teuer. – Ich sehe, daß mein Blat bald voll ist und es stehen noch keine Verse darauf, ich habe deren machen wollen. Auf ein andermahl. Sagt Kehren daß ich ihm schreiben werde. Ich höre von Horn, daß ihr euch ob absentiam puellarum forma elegantium beklagt. Laßt euch von ihm das Urteil sagen daß ich über euch fällete.
II
Lieber Riese.
Euer Brief vom 27ten, der mich äuserst vergnügt hat, ist mir eben zugestellet worden. Die Versicherung daß ihr mich liebt, und daß euch meine Entfernung leid ist, würde mir mehr Zufriedenheit erweckt haben; wenn sie nicht in einem so fremden Tone geschrieben wäre. Sie! Sie! das lautet meinen Ohren so unerträglich, zumahl von meinen liebsten Freunden, daß ich es nicht sagen kann. Horn hat es auch so gemacht, ich habe mit ihm gekeift. Fast hatte ich Lust, mit euch auch zu keifen. Doch! Transeat! Wenn ihr es nur nicht wieder tuht. —
Ich lebe hier recht zufrieden. Ihr könnt es aus beiliegendem Briefe sehen, der schon lange geschrieben ist; ihr würdet ihn schon längst haben; wenn Horn nicht vergessen hätte mir eure Addresse zu senden. Die Beschreibung von Marpurg ist recht komisch.
Das beste Trauerspiel Mädgen sah ich nicht mehr. Wenn ihr nicht noch vor eurer Abreise erfahret, was sie von Belsazar denkt; so bleibt mein Schicksal unentschieden. Es fehlt sehr wenig; so ist der Fünfte Aufzug fertig. In 5füßigen Jamben.
Die Versart, die dem Mädgen wohl gefiel
der ich allein, Freund, zu gefallen wünschte.
Die Versart, die der große Schlegel selbst
und meist die Kritiker für's Trauerspiel
die schicklichsten und die bequemsten halten.
Die Versart, die den meisten nicht gefällt,
Den Meisten deren Ohr sechsfüßige
Alexandriner noch gewohnt. Freund, die,
die ist's die ich erwählt mein Trauerspiel
zu enden. Doch was schreib ich viel davon.
Die Ohren gällten dir gar manchesmahl,
von meinen Versen wieder drum mein Freund,
Erzähl ich dir was angenehmeres.
Ich schaute Gellerten, Gottscheden auch
und eile jetzt sie treu dir zu beschreiben.
Gottsched ein Mann so groß alß wär er vom alten Geschlechte
Jenes der zu Gath im Land der Philister gebohren,
Zu der Kinder Israels Schrecken zum Eichgrund hinabkam.
Ja so sieht er aus und seines Cörperbaus Größe
Ist, er sprach es selbst, sechs ganze Parisische Schue.
Wollt ich recht ihn beschreiben; so müßt ich mit einem Exempel
Seine Gestalt dir vergleichen, doch dieses wäre vergebens.
Wandeltest du geliebter auch gleich durch Länder und Länder
Von dem Aufgang herauf biß zu dem Untergang nieder,
Würdest du dennoch nicht einen der Gottscheden ähnlichte finden.
Lange hab ich gedacht und endl. Mittel gefunden
Dir ihn zu beschreiben doch lache nicht meiner, Geliebter.
Humano capiti, cervicem jungens equinam
Derisus a Flacco non sine jure fuit.
Hinc ego Kölbeliis imponens pedibus magnis,
Immane corpus crassasque Scalpulas Augusti,36
Et magna, magni, brachiaque manusque Rolandi,
Addensque tumidum morosi Rostii37 caput.
Ridebor forsan? Ne rideatis amici.
Dieß ist das wahre Bild von diesem großen Mann,
So gut als ich es nur durchs Beyspiel geben kann.
Nun nimm geliebter Freund die jetzt beschriebnen Stücke
So zeiget glaub es mir sich Gottsched deinem Blicke.
Ich sah den großen Mann auf dem Catehder stehn,
Ich hörte was er sprach und muß es dir gestehn.
Es ist sein Fürtrag gut, und seine Reden fließen
So wie ein klarer Bach. Doch steht er gleich den Riesen,
Auf dem erhabnen Stuhl. Und kennte man ihn nicht
So wüßte man es gleich weil er steets prahlend spricht.
Genug er sagte viel von seinem Kabinette
Wie vieles Geld ihn das und jen's gekostet hätte.
Und andre Dinge mehr,
36
Du kennst ihn doch? den dicken Schornsteinfeger.
37
Du wirst dich noch des Fuchsens Vaters erinnern.