Gösta Berling: Erzählungen aus dem alten Wermland. Lagerlöf Selma
Himmel über einem Meer von Kummer. –
Aber horch! endlich, endlich! Über die Diele nahen leichte Schritte.
»Bist du es, Mutter?« fragt Marianne.
»Ja, mein Kind.«
»Kann ich jetzt hineinkommen?«
»Der Vater will dich nicht einlassen.«
»Ich bin in meinen dünnen Schuhen von Ekeby bis hierher durch den Schnee gelaufen. Ich habe hier eine Stunde gestanden und gerufen. Ich friere tot hier draußen. Weshalb seid ihr mir fortgefahren?«
»Mein Kind, mein Kind, weshalb küßtest du Gösta Berling?«
»Aber so sage dem Vater doch, daß ich ihn deswegen nicht liebe. Es war ja ein Spiel. Glaubt er, daß ich Gösta heiraten will?«
»Geh auf den Pachthof hinab, Marianne, und bitte, daß sie dich dort für die Nacht aufnehmen. Der Vater ist trunken. Er will keine Vernunft annehmen. Er hat mich oben gefangen gehalten. Ich schlich hinaus, als ich glaubte, daß er schliefe. Er schlägt dich tot, wenn du ins Haus kommst.«
»Mutter, Mutter, soll ich zu Fremden gehen, wenn ich ein Heim habe? Ist denn meine Mutter ebenso hart wie mein Vater? Wie kannst du es nur zugeben, daß ich ausgeschlossen werde? Ich lege mich hier draußen in den Schnee, wenn du mich nicht einläßt!«
Da legte Mariannens Mutter die Hand auf das Schloß, um zu öffnen. Im selben Augenblick aber wurden schwere Tritte auf der Treppe hörbar, und eine scharfe Stimme rief nach ihr.
Marianne lauschte, ihre Mutter eilte von dannen, die scharfe Stimme schalt sie aus – und dann –
Marianne hörte etwas Entsetzliches – sie konnte jeden Ton hören in dem stillen Haus.
Sie hörte den Schall eines Schlages, eines Stockschlages oder einer Ohrfeige, dann vernahm sie ein schwaches Geräusch und dann abermals einen Schlag.
Er schlug ihre Mutter, der schreckliche, der riesenhafte Melchior Sinclaire schlug seine Frau!
Und in bleichem Entsetzen warf sich Marianne auf die Türschwelle nieder und wand sich in ihrer Angst. Jetzt weinte sie und ihre Tränen gefroren zu Eis auf der heimatlichen Schwelle.
Gnade und Erbarmen! Öffnet, öffnet, damit sie hineinkommen und ihren Rücken unter den Schlägen beugen kann! Ach, daß er ihre Mutter schlagen kann, weil sie ihre Tochter nicht im Schnee erfrieren lassen will, weil sie ihr Kind trösten wollte!
Tief erniedrigt ward Marianne in jener Nacht. Sie hatte geträumt, daß sie eine Königin sei, und lag nun dort, nicht viel besser als eine gepeitschte Sklavin.
Aber sie erhob sich in kaltem Zorn. Noch einmal schlug sie ihre blutige Hand gegen die Tür und rief: »Höre, was ich dir sage, du, der du meine Mutter schlägst. Du sollst weinen, Melchior Sinclaire, weinen sollst du!«
Dann ging die schöne Marianne hin und legte sich in den Schnee zur Ruhe. Sie warf den Pelz ab und lag dort in ihrem schwarzen Sammetkleide, das sich von dem weißen Schnee grell abhob. Sie lag da und malte es sich aus, wie ihr Vater am nächsten Tage bei seiner frühen Morgenwanderung herauskommen und sie dort finden würde. Sie hatte nur den einen Wunsch, daß er selber sie finden möge.
O Tod, bleicher Freund, ist es denn ebenso wahr, wie es tröstlich ist, daß ich nie umhin kann, dir zu begegnen. Auch zu mir, dem saumseligsten von den Arbeitern der Erde, kommst du einmal, ziehst den verschlissenen Lederschuh von meinem Fuß, reißest mir den Breilöffel und die Mehltonne aus der Hand, nimmst mir die Arbeitskleider vom Leibe. Mit sanfter Hand streckst du mich auf das spitzenverzierte Lager und schmückst mich mit langen, gestickten Linnenkleidern.
Meine Füße bedürfen der Schuhe nicht mehr, aber meine Hände werden mit schneeweißen Handschuhen bedeckt, die keine Arbeit beschmutzen soll. Von dir der süßen Ruhe geweiht, schlafe ich einen tausendjährigen Schlaf.
O Erlöser! der saumseligste von den Arbeitern der Erde bin ich, und ich träume mit einem Schaudern von Wollust von dem Augenblick, in dem ich in dein Reich aufgenommen werden soll.
Bleicher Freund, an mir kannst du gern deine Kraft üben, aber ich sage dir, härter war der Kampf gegen die Frauen entschwundener Zeiten! Die Lebenskräfte waren stark in ihren schlanken Körpern, keine Kälte konnte ihr warmes Blut kühlen.
Du hattest die schöne Marianne auf dein Lager gelegt, o Tod, und du saßest an ihrer Seite, wie ein altes Kindermädchen an der Wiege sitzet, um das Kind in Schlaf zu lullen. Du treue alte Amme, die du weißt, was gut ist für die Kinder der Menschen, wie muß es dich nicht erbosen, wenn die Spielgefährten mit Lärm und Getöse kommen und dein halbschlummerndes Kind aufwecken. Wie konntest du anders als zürnen, als die Kavaliere die schöne Marianne von dem Lager aufhoben, als ein Mann sie an seine Brust preßte und warme Tränen aus seinen Augen auf ihr Antlitz fielen.
Auf Ekeby waren alle Lichter gelöscht, alle Gäste hatten sich verabschiedet. Die Kavaliere standen oben im Kavalierflügel allein um die letzte, halbgeleerte Punschbowle.
Da schlug Gösta an die Bowle und hielt eine Rede auf euch, ihr Frauen entschwundener Zeiten. Von euch zu reden, sagte er, sei, als rede man vom Himmelreich, eitel Schönheit wäret ihr, eitel Licht. Ewig jung, ewig schön wäret ihr und milde wie die Augen einer Mutter wenn sie ihr Kind anschaut. Weich wie die jungen Eichhörnchen hinget ihr an dem Halse des Gatten. Niemals hörte man eure Stimme im Zorn erbeben, niemals legte sich eure Stirn in Falten, eure weiche Hand wurde niemals rauh und hart. Sanfte Heilige wäret ihr, geschmückte Bildsäulen im Tempel des Hauses. Die Männer lägen euch zu Füßen, opferten euch Räucherwerk und Gebete. Durch euch verrichte die Liebe ihre Wunder, um eure Stirn schlänge die Poesie ihren goldstrahlenden Glorienschein.
Und die Kavaliere sprangen auf, wirr vom Wein, wirr von seinen Worten, ihr Blut wallte auf vor Festesfreude. Der alte Onkel Eberhard und der träge Vetter Kristoffer hielten sich nicht zurück von dem Scherz. In fliegender Eile spannten die Kavaliere Pferde vor die Schlitten und eilten hinaus in die kalte Nacht, um denen noch eine Huldigung zu bringen, denen man niemals genügend huldigen kann, um einer jeden von denen, deren rote Wangen und helle Augen vor wenigen Stunden in Ekebys großen Sälen gestrahlt hatten, eine Serenade zu bringen.
Aber die Kavaliere kamen nicht weit auf diesem Zuge, denn gleich, als sie nach Björne kamen, fanden sie die schöne Marianne an der Türe ihres Heims im Schnee liegen.
Sie schauderten und ergrimmten, als sie sie daliegen sahen. Es war, als hätten sie ein angebetetes Heiligenbild zertrümmert und beraubt vor der Kirchentür gefunden, es war, als habe ein Missetäter den Bogen einer Stradivarius-Geige zerbrochen und die Saiten zerrissen.
Gösta drohte mit geballter Faust in der Richtung nach dem dunklen Hause zu. »Ihr Kinder des Hasses!« rief er; »ihr Hagelschauer, ihr Nordwinde, ihr Zerstörer von Gottes Paradies!«
Beerencreutz zündete seine Hornlaterne an und beleuchtete das totenbleiche Antlitz. Da sahen die Kavaliere Mariannens zerfleischte Hände und die Tränen, die in ihren Wimpern gefroren waren, und sie jammerten wie die Weiber; denn sie war doch nicht nur ein Heiligenbild und ein Saitenspiel, sondern eine schöne Frau, die ihrem alten Herzen eine Freude gewesen war.
Gösta Berling warf sich neben sie auf die Knie.
»Hier liegt sie nun, meine Braut!« sagte er. »Vor wenigen Stunden gab sie mir den Brautkuß, und ihr Vater hat mir seinen Segen versprochen. Sie liegt und wartet, daß ich kommen und ihr weißes Bette teilen soll.«
Und Gösta hob die Leblose auf seine starken Arme.
»Heim, mit ihr nach Ekeby!« rief er. »Jetzt ist sie die Meine! Im Schnee habe ich sie gefunden, jetzt soll niemand sie mir wieder nehmen. Die da drinnen wollen wir nicht wecken. Was hat sie hinter den Türen zu tun, gegen die sie ihre Hände blutig geschlagen hat?«
Und sie willfahrteten ihm. Er legte Mariannen in den ersten Schlitten und setzte sich neben sie. Beerencreutz stellte sich hinten auf und ergriff die Zügel.
»Nimm Schnee und reibe sie damit, Gösta!« befahl er.
Die Kälte hatte ihre Glieder gelähmt, das war alles. Das wilde, unbändige Herz schlug noch. Sie hatte nicht einmal das Bewußtsein verloren,