Gösta Berling: Erzählungen aus dem alten Wermland. Lagerlöf Selma

Gösta Berling: Erzählungen aus dem alten Wermland - Lagerlöf Selma


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Mutter ziehen, vorerst aber wollte sie für ihr geliebtes Ekeby sorgen. Sie wollte es nicht in den Händen leichtsinniger Taugenichtse, untüchtiger Zechbrüder, gleichgültiger Verschwender der Gaben Gottes lassen. Sollte sie gehen und wiederkommen, um ihr Erbe vergeudet, ihre Schmieden leer, ihre Pferde ausgehungert und ihre Dienstboten fern zu finden? Nein, noch einmal wollte sie alle ihre Kraft zusammenraffen und die Kavaliere vertreiben!

      Wohl wußte sie, daß es ihrem Gatten eine Freude war, zu sehen, wie ihr Erbe vergeudet wurde. Aber sie kannte ihn hinreichend, um zu wissen, daß er, falls sie seine Heuschrecken vertrieb, zu träge sein würde, um für andere zu sorgen. Waren die Kavaliere erst einmal fort, da würde ihr alter Verwalter und Vogt die Leitung des ganzen Betriebes übernehmen und es wieder in die gewohnten Spuren lenken.

      Deswegen war ihr finsterer Schatten viele Nächte lang auf den schwarzen Wegen, die die Eisenwerke umgaben, umhergeschlichen. Sie war bei den Häuslern ein und aus gegangen, sie hatte unten im untersten Raum der großen Mühle mit dem Müller und seinen Gesellen geflüstert sie hatte in dem dunklen Kohlenschuppen mit den Schmieden Rat gepflogen.

      Und alle hatten geschworen, ihr zu helfen. Die Ehre und das Ansehen des großen Besitzes sollte nicht länger den Händen ruchloser Kavaliere überlassen werden, um von ihnen gehütet zu werden, wie der Wind die Asche hütet, wie der Wolf die Schafe hütet.

      Und in dieser Nacht, in der die munteren Herren getanzt und getrunken haben, bis sie in todesmüdem Schlaf auf ihre Betten gesunken sind – in dieser Nacht sollen sie fort. Sie hat das Maß ihres Übermutes voll werden lassen. Finsteren Blickes hat sie in der Schmiede gesessen und gewartet, bis das Fest vorüber war. Sie hat noch länger gewartet, bis die Kavaliere von ihrer nächtlichen Fahrt zurückkamen, sie hat schweigend gewartet, bis man ihr vermeldete, daß das letzte Licht im Kavalierflügel erloschen sei, daß der große Hof schlummernd daliege. Da erhob sie sich und ging hinaus. Es war bereits fünf Uhr des Morgens, noch aber wölbte die dunkle, strahlende Februarnacht sich über der Erde.

      Die Majorin hieß alle Leute sich am Kavalierflügel versammeln; sie selber betrat zuerst den Hof. Sie näherte sich dem Hauptgebäude, klopfte an die Tür und ward eingelassen. Die Tochter des Pfarrers von Broby, die sie zu einem tüchtigen Dienstmädchen erzogen hatte, nahm sie in Empfang.

      »Die gnädige Frau sind herzlich willkommen«, sagte sie, ihr die Hand küssend.

      »Lösche das Licht!« sagte die Majorin. »Glaubst du, daß ich hier den Weg nicht ohne Licht finden kann?«

      Und dann begann sie ihre Wanderung durch das stille Haus. Sie ging vom Keller bis zum Boden, um Abschied zu nehmen. Leisen Schrittes schlich sie von einem Zimmer in das andere.

      Die Majorin sprach mit ihren Erinnerungen. Das Mädchen seufzte und schluchzte nicht, doch Träne auf Träne rollte ihr von den Wangen herab, während sie ihrer Herrin folgte. Die Majorin ließ sie den Leinenschrank und den Silberschrank öffnen und strich mit der Hand über die feinen Damastgedecke und über die prächtigen silbernen Kannen. Auf der Bettenkammer ließ sie die Hand über die hochaufgetürmten Daunenbetten gleiten. Alles Hausgerät – Webstühle, Spinnrocken, Garnwinden mußte sie berühren. Prüfend steckte sie die Hand in die Gewürzlade und befühlte die Reihen von Talglichten, die unter der Decke hingen.

      »Die Lichte sind trocken«, sagte sie. »Sie können herabgenommen und verwahrt werden.«

      In den Keller ging sie, klopfte an die Fässer und ließ die Hand über die Borde mit den Weinflaschen gleiten. Sie war in Speisekammer und Küche, sie befühlte, sie untersuchte alles. Sie streckte ihre Hand aus und nahm von allem in ihrem Hause Abschied.

      Schließlich ging sie in die Zimmer. Im Speisesaal ließ sie die Hand über den großen Klapptisch gleiten.

      »Gar mancher hat sich hier an diesem Tisch sattgegessen«, sagte sie.

      Sie schritt durch alle Zimmer. Sie fand die langen, breiten Sofas an ihrem alten Platz, sie streichelte den kalten Marmor der Konsolen, die, von vergoldeten Greifen getragen, die kostbaren Spiegel stützten.

      »Ein reiches Haus«, sagte sie. »Ein herrlicher Mann war der, der mich zur Herrin über dies alles setzte.«

      In dem großen Saal, wo der Tanz noch soeben gewirbelt hatte, standen schon die hochlehnigen Armstühle wieder in steifer Ordnung an den Wänden.

      Sie trat an das Klavier und schlug leise einen Ton an.

      »Auch zu meiner Zeit gebrach es hier nicht an Freude und Frohsinn«, sagte sie.

      Auch in das Fremdenzimmer hinter dem großen Saal ging die Majorin. Es war stockfinster. Sie tastete mit der Hand vor sich hin und berührte dabei das Gesicht des Mädchens.

      »Weinst du?« fragte sie, denn ihre Hand wurde naß von Tränen.

      Da schluchzte das junge Mädchen laut. »Ach, Herrin, teure Herrin,« rief sie aus, »sie zerstören alles! Weshalb ginget Ihr von uns und ließet die Kavaliere das ganze Haus zerstören?«

      Die Majorin zog die Gardine zur Seite und zeigte in den Hof hinaus. »Habe ich dich gelehrt, zu weinen und zu jammern?« fragte sie. »Siehe, der Hof ist voll von Menschen; morgen wird sich nicht ein einziger Kavalier mehr in Ekeby befinden.«

      »Kommt Ihr dann wieder?« fragte das Mädchen.

      »Meine Zeit ist noch nicht gekommen«, sagte die Majorin. »Die Landstraße ist meine Heimat, der Graben mein Bett. Aber du sollst an meiner Statt über Ekeby wachen, während ich fort bin, Mädchen.«

      Und sie gingen weiter. Keins von beiden wußte oder dachte daran, daß Marianne gerade in diesem Zimmer schlief.

      Sie schlief auch nicht. Sie war ganz wach, hörte alles und verstand alles. Sie hatte in ihrem Bett gelegen und eine Hymne auf die Liebe gedichtet.

      »Du Herrliche, die du mich über mich selber erhoben hast«, sagte sie. »Ich lag in grenzenlosem Elend, und du hast es in ein Paradies verwandelt. An dem eisernen Schloß der verriegelten Tür hingen meine Hände fest, wurden sie mir wund gerissen; auf der Schwelle meines Hauses liegen meine Tränen zu Perlen von Eis gefroren. Die Kälte des Zornes durchschauerte mein Herz, als ich die Schläge auf den Rücken meiner Mutter hörte. In der kalten Schneeschanze wollte ich meinen Zorn verschlafen; aber da kamst du! O Liebe, du Kind des Feuers, du kamst – zu der von Kälte Durchschauerten kamst du. Wenn ich mein Elend mit der Herrlichkeit vergleiche, die mir daraus ersprossen ist, so erscheint es mir wie nichts. Losgelöst von allen Banden bin ich, habe weder Vater noch Mutter noch ein Heim mehr. Die Menschen werden alles mögliche Schlechte von mir glauben und sich von mir abwenden. Wohlan, so geschehe dein Wille, o Liebe, denn weshalb sollte ich höher stehen als mein Geliebter? Hand in Hand wollen wir in die Welt hinauswandern. Arm ist Gösta Berlings Braut. In der Schneeschanze hat er sie gefunden. So laß uns denn ein Heim zusammen gründen, nicht in den hohen Sälen, sondern in der Bauernhütte am Waldesrande. Ich will ihm helfen, den Meiler zu besorgen, ich will ihm helfen, dem Hasen und dem Birkhuhn Schlingen zu legen, ich will seine Speisen bereiten, seine Kleider flicken. O mein Geliebter, glaubst du wohl, daß ich trauern und mich sehnen werde, wenn ich allein am Waldesrande sitze und deiner harre? Das werde ich tun! Doch nicht nach den Tagen des Reichtums werde ich mich sehnen, nur nach dir will ich spähen und verlangen, nach deinen Schritten auf dem Waldpfade, nach deinem frohen Gesang, wenn du mit der Axt über dem Nacken daherkommst. O mein Geliebter, mein Geliebter! Solange mein Leben währt, könnte ich sitzen und deiner harren.« –

      So hatte sie dagelegen und Hymnen an den allmächtigen Gott des Herzens gedichtet, sie hatte ihre Augen noch nicht geschlossen, als die Majorin eintrat.

      Nachdem sie gegangen war, stand Marianne auf und kleidete sich an. Noch einmal mußte sie das schwarze Sammetkleid und die dünnen Ballschuhe anlegen. Sie hüllte sich in ihre Decke wie in einen Schal und eilte noch einmal in die schreckliche Nacht hinaus.

      Ruhig, sternenklar und beißend kalt ruhte die Februarnacht noch über der Erde; es war, als solle sie niemals ein Ende nehmen. Und die Finsternis und die Kälte, die diese lange Nacht verbreitete, ruhte noch lange, lange, nachdem die Sonne aufgegangen war, über der Erde, noch lange, lange, nachdem die Schneeschanzen, die die schöne Marianne durchwandert hatte, zu Wasser geworden waren. –

      Marianne


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