Wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgänsen. Lagerlöf Selma
wie Akka, Yksi und Kaksi und den Gänserich und alle die andern! Die Menschen hatten doch wirklich gar keinen Begriff von dem, was sie taten!
Nun ging es weiter durch die ruhige Luft, und wieder war es still ringsum wie vorher, nur einige ermattete Vögel riefen ab und zu: „Sind wir noch nicht bald da? Seid ihr sicher, daß wir auf dem rechten Wege sind?“
Und darauf antworteten die an der Spitze: „Wir fliegen gerade auf Öland zu! Wir fliegen gerade auf Öland zu!“
Die Wildenten waren müde, und die Seetaucher flogen an ihnen vorbei. „Habt es doch nicht so eilig!“ riefen ihnen die Enten zu. „Ihr fresset uns ja alles weg!“
„O es reicht gut für euch und uns!“ erwiderten die Seetaucher.
Doch ehe sie so weit gekommen waren, daß sie die Insel sehen konnten, wehte ihnen ein leichter Wind entgegen, der etwas mit sich führte, das wie große weiße Rauchwolken aussah, die wohl von irgend einer Feuersbrunst aufstiegen.
Als die Vögel die ersten Rauchwirbel daherwogen sahen, wurden sie ängstlich und verstärkten ihre Eile. Aber das, was wie Rauch ausgesehen hatte, wallte immer dichter heran, und schließlich hüllte es sie vollkommen ein. Kein Geruch machte sich bemerkbar; der Rauch war auch nicht schwarz und trocken, sondern ganz weiß und feucht, und der Junge erkannte bald, daß es nur Nebel war.
Als der Nebel so dicht wurde, daß man keine Spanne mehr vor sich sehen konnte, begannen die Vögel, sich ganz wie verrückt zu gebärden. Alle, die vorher in so guter Ordnung geflogen waren, fingen jetzt an, einander im Nebel zu necken und zu uzen. Sie flogen kreuz und quer, um einander irrezuführen.
„Nehmt euch in acht!“ riefen sie. „Ihr fliegt ja nur im Kreis herum! Auf diese Weise kommt ihr nie nach Öland!“
Alle wußten recht gut, wo die Insel lag, aber sie taten ihr möglichstes, die andern zu verwirren. „Seht doch die Eisenten!“ erscholl es aus dem Nebel heraus. „Sie fliegen in die Nordsee zurück!“
„Nehmt euch in acht, ihr Graugänse!“ schrie einer von einer andern Seite her. „Wenn ihr so weiter fliegt, kommt ihr nach Rügen hinunter!“
Es war, wie gesagt, keine Gefahr vorhanden, daß die fremden Vögel sich nach einer falschen Seite verlocken lassen würden. Wem es aber schwer gemacht wurde, das waren die Wildgänse. Die Schelme merkten bald, daß diese ihres Weges nicht so recht sicher waren, und taten alles, was sie konnten, sie irrezuführen.
„Wo wollt ihr hin, ihr guten Leute?“ rief ein Schwan. Und mit recht teilnehmendem, ernstem Ausdruck flog er gerade auf Akka zu.
„Wir wollen nach Öland, aber wir sind noch nie dagewesen,“ antwortete Akka. Sie glaubte, dies sei ein Vogel, auf den man sich verlassen könne.
„Das ist doch zu schlimm,“ sagte der Schwan. „Man hat euch auf einen falschen Weg gelockt. Ihr seid ja auf dem Wege nach Blekinge. Kommt nur mit mir, ich will euch recht führen.“
Darauf flog er mit ihnen davon, und nachdem er sie von der Vogelstraße so weit weggelockt hatte, daß sie keinen Ruf mehr hörten, verschwand er im Nebel.
Nun flogen die Wildgänse eine Weile ganz aufs Geratewohl weiter. Aber kaum hatten sie die andern Vögel wiedergefunden, als sich auch schon eine Ente an sie heranmachte. „Das beste wäre, ihr legtet euch aufs Wasser, bis der Nebel sich verzogen hat,“ sagte die Ente. „Man merkt wohl, daß ihr nicht sehr reisegewandt seid.“
Beinahe wäre es den Schelmen gelungen, Akka verwirrt zu machen. Soweit der Junge es verstehen konnte, flogen sie eine gute Weile im Kreis herum.
„Nehmt euch in acht! Seht ihr nicht, daß ihr auf und ab fliegt?“ rief ein Seetaucher im Vorbeischießen. Unwillkürlich umklammerte der Junge den Hals des Gänserichs, denn das hatte er auch schon lange gefürchtet.
Wer weiß, wann sie hingekommen wären, wenn sich jetzt nicht in der Ferne das dumpfe Rollen eines Kanonenschusses hätte hören lassen.
Da streckte Akka den Hals vor, schlug hart mit den Flügeln und flog mit voller Sicherheit weiter. Jetzt hatte sie etwas, wonach sie sich richten konnte. Die Graugans hatte ihr ja noch besonders geraten, daß sie sich nicht ganz außen auf der Südspitze niederlassen solle, weil dort eine Kanone stünde, mit der die Menschen auf den Nebel schössen. Jetzt wußte sie die Richtung, und jetzt konnte sie niemand mehr irremachen.
11
Die Südspitze von Öland
Auf dem südlichsten Teil von Öland liegt ein altes Krongut, das Ottenby heißt. Es ist ein sehr großes Gut, das sich von einem Ufer zum andern quer über die Insel erstreckt, und das Merkwürdige an ihm ist, daß es von jeher ein Aufenthaltsort für große Tierscharen war. Im siebzehnten Jahrhundert, wo die Könige nach Öland fuhren, dort der Jagd zu pflegen, war das Besitztum ein einziger großer Wildpark. Im achtzehnten Jahrhundert war ein Gestüt dort, wo edle Rassepferde gezüchtet wurden, und außerdem noch eine Schäferei mit vielen hundert Schafen. In unsern Tagen gibt es da weder Vollblutpferde noch Schafherden. Statt ihrer sind große Scharen junger Pferde da, die für unsere Kavallerieregimenter bestimmt sind.
In dem ganzen Lande gibt es gewiß keinen Hof, der einen bessern Aufenthaltsort für Tiere aller Art böte. Die östliche Küste entlang liegt die alte Schäferwiese, die, eine Viertelmeile lang, die größte Wiese Schwedens ist, und dort können die Tiere ebenso frei weiden und spielen und sich tummeln wie in der Wildnis. Und da ist auch der berühmte Hain von Ottenby mit den hundertjährigen Eichen, die Schatten gegen die Sonne spenden und Schutz vor dem strengen Ölandswind gewähren. Und dann darf man die lange Mauer von Ottenby nicht vergessen; diese läuft quer über das Eiland hin und schließt Ottenby von der übrigen Insel ab. Diese Mauer zeigt den Tieren, bis wohin sich das alte Krongut erstreckt, und hält sie davon ab, auf fremdes Gebiet zu gehen, wo sie nicht das Recht haben, sich aufzuhalten.
Aber daß es viele zahme Tiere auf Ottenby gibt, ist noch lange nicht alles; man sollte beinahe glauben, die wilden Tiere hätten auch das Gefühl, daß auf einem alten Krongut sowohl wilde als zahme auf Schutz und Schirm rechnen dürfen, weil sie sich in so großen Scharen dahin wagen. Nicht allein Hirsche von dem alten Stamme, sowie Hasen und Brandenten und Rebhühner halten sich mit Vorliebe dort auf, sondern dieses Gut ist im Frühling und Spätsommer auch der Ruheplatz für Tausende von Zugvögeln; und auf dem sumpfigen östlichen Strand unterhalb der Schäferwiese lassen sie sich in erster Linie nieder, um da zu weiden und auszuruhen.
Als die Wildgänse und Nils Holgersson Öland schließlich erreicht hatten, ließen sie sich wie alle andern auf dem Strande unterhalb der Schäferei nieder. Der Nebel lag ebenso dicht über der Insel wie vorher über dem Meere. Aber der Junge war doch erstaunt über die vielen Vögel, die er auf dem kleinen Stückchen des Strandes, das er überschauen konnte, sah.
Es war ein langer, sandiger Strand mit Steinen und Wasserpfützen und einer großen Menge angeschwemmten Tangs. Wenn der Junge die Wahl gehabt hätte, würde er wohl nie daran gedacht haben, sich da niederzulassen; aber die Vögel hielten diesen Ort gewiß für ein wahres Paradies. Enten und Graugänse weideten auf der Wiese, am Ufer hüpften Strandläufer und andre Strandvögel umher. Die Seetaucher lagen im Wasser und fischten, aber am meisten Leben und Bewegung war doch auf den langen Tangbänken vor dem Ufer draußen. Da standen die Vögel nebeneinander und suchten Larven, von denen es eine grenzenlose Menge geben mußte, denn man hörte niemals, daß sich irgend eine Klage über Mangel an Futter erhoben hätte.
Die meisten von den Vögeln wollten weiterreisen und hatten sich nur zum Ausruhen hier niedergelassen. Sobald der Anführer einer Schar meinte, seine Reisegenossen hätten sich jetzt genug gestärkt und gelabt, sagte er: „Seid ihr jetzt fertig? Dann begeben wir uns wohl weiter?“
„Nein, warte noch, warte noch! Wir sind noch lange nicht satt!“ riefen die Mitreisenden.
„Ihr meint wohl, ihr dürftet euch so vollfressen, daß ihr euch nicht mehr bewegen könnt?“ erwiderte der Anführer. Dann schlug er mit den Flügeln und flog davon. Aber mehr als einmal mußte er wieder umkehren, weil die andern nicht zum Weiterfliegen zu bewegen waren.
Unterhalb der äußersten