Soll und Haben, Bd. 1 (2). Gustav Freytag

Soll und Haben, Bd. 1 (2) - Gustav Freytag


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seine Ueberraschung über die unerwartete Sendung ausdrückte und der Firma zum neuen Jahr aus voller Seele Gutes wünschte. Selbst seiner Frau gegenüber behandelte der Herr die Weihnachtsendung als einen Zufall, eine Kleinigkeit, ein Nichts, welches von der Laune eines Commis der Firma T. O. Schröter abhänge, und jedes Jahr protestirte er eifrig, wenn die Frau Calculatorin die zu erwartende Kiste bei ihren Wirthschaftsplänen in Rechnung brachte. Aber im Stillen hing seine Seele an diesen Sendungen. Es waren nicht die Pfunde Raffinade und Cuba, es war die Poesie dieser gemüthlichen Beziehung zu einem ganz fremden Menschenleben, was ihn so glücklich machte. Er hob alle Briefe der Firma sorgfältig auf, wie die drei Liebesbriefe seiner Frau, ja er heftete sie mit dem Ehrwürdigsten, was er kannte, mit schwarz und weißem Seidenfaden in ein kleines Actenbündel; er wurde ein Kenner von Colonialwaaren, ein Kritiker, dessen Geschmack von den Kaufleuten in Ostrau höchlich respectirt wurde; er konnte sich nicht enthalten, den billigen Melis-Zucker und den Brasil-Kaffe als untergeordnete Erzeugnisse der Schöpfung mit einer entschiedenen Verachtung zu behandeln; er fing an, sich für die Geschäfte der großen Handlung zu interessiren, und studirte in den Zeitungen regelmäßig die Marktpreise von Zucker und Kaffe, welche mit merkwürdigen und für Nicht-Eingeweihte ganz unverständlichen Bemerkungen hinter den politischen Nachrichten standen; ja er speculirte in seiner Seele mit als Associé seines Freundes, des großen Kaufmanns, er ärgerte sich, wenn der Kaffe in den Zeitungen flaute, und war vergnügt, wenn der Zucker als angenehm notirt war.

      Das war ein unscheinbares, leichtes Band, welches den Haushalt des Calculators mit dem geschäftlichen Treiben der großen Welt verknüpfte; und doch wurde es für Anton ein Leitseil, wodurch sein ganzes Leben Richtung erhielt. Denn wenn der alte Herr am Abend in seinem Garten saß, das Sammtkäppchen in dem grauen Haar und seine Pfeife im Munde, dann verbreitete er sich gern mit leiser Sehnsucht über die Vorzüge eines Geschäftes, welches die Fülle der herrlichsten Sachen gewähre, und frug dann scherzend seinen Sohn, ob er auch Kaufmann werden wolle. Und in der Seele des Kleinen schoß augenblicklich ein hübsches Bild zusammen, wie die Strahlen bunter Glasperlen im Kaleidoskop, zusammengesetzt aus großen Zuckerhüten, Rosinen und Mandeln und goldenen Apfelsinen, aus dem freundlichen Lächeln seiner Eltern und all dem geheimnißvollen Entzücken, welches ihm selbst die ankommende Kiste je bereitet; bis er begeistert ausrief: »ja, Vater, ich will.« – Man sage nicht, daß unser Leben arm sei an poetischen Stimmungen, noch beherrscht die Zauberin Poesie überall das Treiben der Erdgebornen. Aber ein Jeder achte wohl darauf, welche Träume er im heimlichsten Winkel seiner Seele hegt, denn wenn sie erst groß gewachsen sind, werden sie leicht seine Herren, strenge Herren!

      So lebte die Familie still fort durch manches Jahr. Anton wuchs heran und lief mit seiner Büchermappe durch alle Klassen des Gymnasiums bis in die stolze Prima. Wenn die Frau Calculatorin ihren Mann bat, über Antons Zukunft einen festen Entschluß zu fassen, erwiederte der Hausherr mit einem siegesfrohen Lächeln: »der Entschluß ist gefaßt, er will ja Kaufmann werden. Erst muß er mit dem Gymnasium fertig sein, dann steht ihm die ganze Welt offen.« Und dann that der Calculator, als ob das Abiturientenzeugniß ein Schlüssel zu allen Ehren der Welt sei. Im Geheimen aber bangte ihm ein wenig davor, den Familientraum der Aufführung näher zu bringen.

      Unterdeß kam ein schwarzer Tag, wo die Fensterladen des Hauses lange geschlossen blieben, das Dienstmädchen mit rothen Augen die Treppe auf und ab lief, der Arzt kam und den Kopf schüttelte, und der alte Herr am Lager seiner Frau das Sammtkäppchen in den gefalteten Händen hielt, während der Sohn schluchzend vor dem Bette kniete und seinen Lockenkopf darauf legte, welchen die Hand der sterbenden Mutter noch zu streicheln versuchte. Drei Tage nach diesem Morgen wurde die Frau Calculatorin begraben, und der alte Herr und Anton saßen am Abend nach dem Begräbniß bleich und einsam einander gegenüber. Anton schlich von Zeit zu Zeit hinter die Stachelbeeren, sich dort in der Stille auszuweinen, und der alte Herr stand häufig von seinem Stuhle auf und ging in die Schlafstube, wo die weiße Gardine mit den beiden Quasten hing, und weinte ebenfalls. Der Jüngling erhielt nach langem Weinen die rothen Backen wieder, der alte Herr kam nicht wieder zu Kräften. Er klagte über nichts, er rauchte seine Pfeife wie immer, er ärgerte sich noch immer, wenn der Kaffe flaute, aber es war kein rechtes Rauchen und auch kein rechter Aerger mehr. Oft sah er seinen Sohn nachdenklich und traurig an, und der junge Gesell konnte nicht errathen, was den Vater so besorgt mache. Als der Vater aber an einem Sonnabend den Sohn wieder gefragt hatte, ob er noch Kaufmann werden wollte, und Anton zum hundertsten Male versichert hatte, daß er gerade dies gern wolle, und nichts Anderes, da stand der alte Herr entschlossen auf, rief das Dienstmädchen und bestellte zum nächsten Morgen eine Fuhre nach der Hauptstadt. Er gestand dem fragenden Sohne nicht, weshalb er die unerhörte Expedition vornahm. Und er hatte wohl Grund zum Schweigen, der arme alte Herr! Denn wenn er auch seit zwanzig Jahren stolz gewesen war auf seinen großen Handelsfreund, so hatte ihm doch immer der Muth gefehlt, selbst vor den Kaufmann zu treten und für seinen Sohn einen Platz im Comtoir zu erbitten. Sein Wunsch kam ihm sehr verwegen vor, und seine Ansprüche unermeßlich gering. Oft hatte er sich's vorgenommen und stets hatte er's wieder aufgeschoben, bis die Sorge um seinen Sohn größer wurde, als seine Scheu.

      Als er den Tag darauf sehr spät aus der Hauptstadt zurückkehrte, war er in ganz anderer Stimmung, glücklicher als je nach dem Tode der Frau Calculatorin. Er begeisterte seinen Sohn, der ihn in ahnungsvoller Spannung erwartete, durch seinen Bericht von der unglaublichen Annehmlichkeit des großen Geschäftes und der Freundlichkeit des großen Kaufmanns gegen ihn. Er war zu Mittag geladen worden, er hatte Kibitzeier gegessen, er hatte griechischen Wein aus den Kellern seines Freundes getrunken, einen Wein, gegen welchen der beste Wein im Gasthofe zu Ostrau nichtswürdiger Essig war; er hatte das Versprechen erhalten, daß sein Sohn nach Jahresfrist in das Comtoir eintreten könne, und einige Wünsche über die Vorbildung, die dafür wünschenswerth sei. Schon am nächsten Tage saß Anton vor einem großen Rechenbuch und disponirte mit unbeschränkter Vollmacht über Hunderttausende von Pfunden Sterling, welche er bald in rheinische Gulden verwandelte, bald in Hamburger Mark Banko umsetzte, als brasilianische Milreis in die Welt flattern ließ, und zuletzt ruhig in mexikanischen Staatspapieren anlegte, an denen er mit größter Sicherheit alle möglichen Interessen bis zu zehn vom Hundert zog. Hatte er auf diese Weise ein colossales Vermögen zusammengescharrt, so ging er in den Garten, ein kleines dünnleibiges Buch in der Hand, welches auf dem Titel versprach, ihn in vier Wochen zu einem fertigen Engländer zu machen. Dort bemühte er sich zum Entsetzen der deutschen Sperlinge und Finken, das A und andere ehrliche Buchstaben auf jede Weise auszusprechen, welche dem Menschen möglich ist, wenn er einen Buchstaben anders ausspricht, als sich mit der Natur und dem Charakter desselben verträgt.

      So ging wieder ein Jahr hin, Anton war gerade achtzehn Jahre alt und hatte seine Abiturientenprüfung bestanden; da wurden wieder einmal an einem Morgen die Fensterladen des Calculators nicht zu gehöriger Zeit geöffnet, wieder rannte das Dienstmädchen mit verweinten Augen durch das Haus, und wieder schüttelte die Nachtlampe unzufrieden und kummervoll ihre feurige Mütze. Diesmal lag der alte Herr selbst im Bett und Anton saß vor demselben, beide Hände des Vaters haltend. Der alte Herr aber ließ sich nicht festhalten, sondern starb so eilig als möglich, nachdem er seinen Sohn vielmal gesegnet hatte. Nach einigen Tagen lauten Schmerzes stand Anton allein in der stillen Wohnung, eine Waise, im Anfange eines neuen Lebens.

      Der alte Herr war nicht umsonst Calculator gewesen; sein Haushalt war in musterhafter Ordnung, seine sehr geringe Hinterlassenschaft in der geheimen Schublade des Schreibtisches war auf dem gehörigen Blatt Papier zu Heller und Pfennig aufgezeichnet; Alles, was im letzten Jahre durch das Dienstmädchen zerschlagen oder verwüstet worden war, fand sich an der betreffenden Stelle bemerkt und abgerechnet, über Jedes war Disposition getroffen; auch ein Brief an den Kaufherrn fand sich vor, den der Verstorbene noch in den letzten Tagen mit zitternder Hand geschrieben hatte; ein treuer Hausfreund war zum Vormund Antons bestellt und mit dem Verkauf des Hauses und Gartens und seines ganzen Inhalts beauftragt; und Anton trat, vier Wochen nach dem Tode des Vaters, an einem frühen Sommermorgen über die Schwelle des väterlichen Hauses, legte den Schlüssel desselben in die Hand des Vormundes, übergab sein Gepäck einem Fuhrmann und fuhr durch das Thor des Städtchens auf die Hauptstadt zu, den Brief seines Vaters an den Kaufmann in der Tasche.

      II

      Schon welkte das frisch gemähete Wiesengras in der Mittagssonne, als Anton dem Nachbar aus Ostrau, der ihn bis zur letzten Station


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