Eine Mutter. Gerstäcker Friedrich
wie verzweifelnd barg er das Antlitz in den Händen.
»Rudolph, Rudolph, oh, nicht so, Du weißt ja, daß Du mir das Herz mit solchen Reden brichst; thu es nicht, thu es nicht!«
»Aber welcher Ausgang bleibt mir, als der Tod? Du weißt, daß ich nicht ohne Dich leben kann, weißt, daß ich verderben und untergehen müßte, wenn nicht Dein reines Herz mich an dieses Leben fesselt! Aber was kümmert das Dich,« setzte er bitter hinzu, »Du folgst Deinem Vater, Deiner Mutter; der arme Rudolph mag zu Grunde gehen, er ist ja doch nur ein Schauspieler.«
»Und habe ich das um Dich verdient, Rudolph?« sagte Paula mit leisem Vorwurf im Ton, während sie ihr schmerzbewegtes Antlitz zu ihm emporhob. »Habe ich Dir nicht wieder und wieder bewiesen, wie meine ganze Seele nur an Dir hängt, wie ich kein Glück, keine Seligkeit auf dieser Welt kenne, als nur Dich?«
»Und doch willst Du mir entsagen,« erwiderte der junge Mann schmerzvoll, »doch hältst Du es für möglich, daß Du entsagen kannst, während mir schon bei dem bloßen Gedanken daran das Blut zu Eis gerinnt, und meine Pulse aufhören zu schlagen?«
»Laß mir Zeit zum Denken, Rudolph,« bat das arme Kind, »habe Nachsicht mit meiner Schwäche, wenn ich einen Augenblick schwanken und zaudern konnte. Sieh, noch ist es ja auch nicht so weit, noch ist es ja möglich, daß ich der Eltern Herz zum Besten wende; ich will es wenigstens versuchen, ich will Alles thun, was in meinen Kräften steht, um einen Schritt zu vermeiden, der ja doch mein ganzes künftiges Leben, selbst an Deiner Seite, mit einem Vorwurf belasten müßte.«
»Und wenn Alles fehlschlägt?«
»Ich bin Dein, Rudolph, Dein für alle Zeiten,« rief Paula, »Gott sei mir gnädig, aber ich kann nicht anders; was da auch kommen möge, welche Prüfung mir der Himmel auch auferlegt, ich fühle es, daß die Liebe zu Dir stärker ist als alles Andere!«
»Mein Mädchen, mein süßes Leben,« rief Handor, »jetzt bricht auf's Neue ein Strahl der Hoffnung in mein zerrissenes Herz; aber sie werden Dich zwingen wollen!«
»Der Gewalt setz' ich Gewalt entgegen,« rief Paula leidenschaftlich, »treiben sie mich zum Äußersten, so fallen die Folgen auch auf ihr Haupt zurück; Gott hätte diese Liebe zu Dir nicht in mein Herz gelegt, Rudolph, wenn sie nicht göttlich wäre, und seiner Weisung will ich folgen. Aber ich muß jetzt fort.«
»Und kann ich nie
Ein Stündchen ruhig Dir am Busen hängen
Und Brust an Brust und Seel' in Seele drängen?«
klagte Rudolph, Göthe's »Faust« citirend.
»Ich darf nicht länger bleiben,« sagte Paula, »ja, ich fürchte, daß meine Eltern schon zurück sind und nach mir gefragt haben.«
»Und wann sehe ich Dich wieder?«
Paula zögerte einen Augenblick mit der Antwort. »Wir dürfen nicht so oft zusammen kommen,« sagte sie endlich. »Du glaubst nicht, wie viel Augen uns bewachen. Aber es ist doch vielleicht nöthig, daß ich Dir morgen Nachricht gebe; so sei denn morgen Abend – morgen Abend ist kein Theater, nicht wahr?«
»Nein, mein Herz, ich habe den Tag und Abend frei.«
»Gut denn, so sei morgen Abend an der bewußten Stelle neben dem alten Wartthurm. Es ist möglich, daß ich selber Zeit finde, einen Moment dorthin zu kommen, wo nicht, findest Du einen Zettel an dem bestimmten Platz.«
»Tausend Dank, mein süßes Leben!« rief Rudolph leidenschaftlich, indem er sie umschlang und wieder und wieder küßte. Sie gab sich seinen Liebkosungen auch für wenige Secunden hin, dann aber machte sie sich leise von ihm los.
»Lebe wohl, Rudolph, lebe wohl!« rief sie ihm zu, drückte noch einen Kuß auf seine Lippen und floh dann wie ein gescheuchtes Reh den Busch entlang, um erst weiter oben den Pfad wieder zu erreichen, von wo sie nachher langsam, wie von einem Spaziergang kommend, nach dem Schloß zurückkehren konnte.
»Himmlisches Mädchen,« sagte Rudolph, der stehen geblieben war und ihr mit einem behaglichen Lächeln nachgesehen hatte, »lauter Feuer und Gluth, eine lebendige Julia! Und der Alte? Bah, er wird eine Weile wüthen und Rache schnauben, daß die Comtesse mit einem Komödianten durchgegangen, und zuletzt bleibt es immer die alte Geschichte. Was will er denn machen? Es ist die einzige Tochter, und wenn ihm der Schwiegersohn auch gerade nicht genehm sein mag, muß er doch schon gute Miene zum bösen Spiel machen – der alte adelsstolze Narr der.«
Und sich erst vergnügt und selbstzufrieden die Hände reibend – von seiner vorigen Verzweiflung war keine Spur mehr zu entdecken –, griff er seinen kleinen Spazierstock wieder vom Boden auf, schlenderte langsam nach dem nächsten Weg hinaus, blieb hier noch einmal stehen, um sich erst mit seinem Taschentuch die in dem trocknen Laub und Sand staubig gewordenen Glanzstiefeln zu säubern, und schlug dann dieselbe Richtung wieder ein, von der er vorher gekommen und wo er mit einem kleinen Umweg das Schloß und dessen nächste Umgebung vermied, um von dort ungesehen in die Stadt zurückzukehren.
4.
Die gräfliche Familie
Die Equipage des Grafen Monford fuhr indessen langsam den sogenannten »Schloßberg« hinauf, denn der Graf hielt außerordentlich auf seine Pferde und litt nie, daß sie nutzlos angestrengt wurden, strafte auch nichts härter, als einen Verstoß gegen die darüber erlassenen Befehle. Der leichte Wagen knirschte über den hier reichlich ausgestreuten Kies, und der Weg zog sich bis zur Treppe des Herrenhauses durch einen wahren Flor von in voller Blüthe stehendem Hollunder, Goldregen, Akazien und Schneeballen hin, während die Front des ganzen Gebäudes mit allen nur erdenklichen Topfgewächsen so reich geschmückt war, daß selbst die breite, kunstvoll gearbeitete Marmortreppe, die zu dem Gartensalon und Empfangszimmer hinauf führte, einem vollblühenden Garten glich und den Duft ihrer Blumen durch die geöffneten Fenster in alle Räume des Schlosses sandte.
Und alle Räume waren so reich als geschmackvoll ausgestattet, denn Graf Monford besaß ein bedeutendes Vermögen und hatte auf seinen weiten Reisen gelernt, sich die Bequemlichkeiten und den Luxus aller Himmelsstriche anzueignen, ohne dabei sein Haus zu überladen. Die kostbarsten Gemälde, die herrlichsten Statuen und Statuetten schmückten die Zimmer, aber wo sie standen, schien es auch, als ob sie fehlen würden, wenn man sie weggenommen hätte.
Eine zahlreiche Dienerschaft füllte dabei das Haus – Graf Monford hatte früher auf von seinem Vater ererbten Besitzungen in Westindien gelebt und sich daran gewöhnt, eine Masse von Dienstleuten um sich zu haben – und herrliche Pferde standen in den Ställen, die sich, mit weiten Rasengründen für die Fohlen, eine ganze Strecke in den Park hineinzogen.
Als er ausgestiegen war, blieb er auch noch eine Weile (während seine Gemahlin nach oben ging, um Toilette zum Diner zu machen, und der Bediente eine Anzahl aus der Stadt mitgebrachter Pakete aus dem Wagen nahm) auf der Treppe stehen, um indessen seine beiden Goldfüchse zu betrachten, die, ungeduldig über den Aufenthalt, die schönen Köpfe auf und nieder warfen.
»Der Soliman scheut noch immer,« sagte er dabei, während sein prüfender Blick über die Thiere glitt und den Kutscher besorgt machte, daß er etwas Ungehöriges daran entdecke, – »daß wir ihm das gar nicht abgewöhnen können.«
»Er ist lammfromm geworden, Herr Graf,« erwiderte aber der Mann, indem er mit dem Ende der Peitsche langsam eine Stechfliege vom Halse des besprochenen Thieres zu entfernen suchte – »aber die fremden Beester jetzt in der Stadt, da scheut beinahe jedes Pferd.«
Der Graf nickte und betrat dann den mit feinen indischen Matten belegten Marmorboden des untern Saales, während der Kutscher, da Alles aus dem Wagen entfernt war, leise mit der Zunge schnalzte und nach den Stallgebäuden hinüberfuhr.
Im Salon war Graf Monford sonst gewöhnt, daß ihm seine Tochter entgegenkam. Er traf heute nur ihre Gesellschafterin, Mademoiselle Beautemps, eine ausgetrocknete Französin, sehr elegant gekleidet, aber mit einem etwas verbissenen Zug um die dünnen Lippen und sehr steifer, selbstbewußter Haltung.
»Wo ist Paula, Mademoiselle?«
»Ich war eben im Begriff, sie zu suchen, Herr Graf,« erwiderte die Dame. »Sie ist in den Park spazieren