Eine Mutter. Gerstäcker Friedrich

Eine Mutter - Gerstäcker Friedrich


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über die Ringmauer in den Wald hinab. –

      Während indessen Graf und Gräfin Monford ihre Wohnung betraten, meldete ihnen schon einer der Diener, daß Graf Rottack und Gemahlin nach ihnen gefragt, dann in den Park gegangen seien, um sie selber aufzusuchen, und nun dicht hinter ihnen herkämen. Das junge Paar war in der That kaum hundert Schritt hinter ihnen, und die beiden Herrschaften hatten nur eben Zeit gehabt, sich in das Empfangszimmer zurückzuziehen, als ihnen der Besuch auch schon gemeldet wurde.

      Rottack betrat, Helene am Arm, den untern Saal, der, mit geöffneten Flügelthüren und einer kleinen, wohlgepflegten Terrasse davor, einen freundlichen, sonnigen Blick auf das weite Land bot. Graf Monford – während die Gräfin vom Sopha, auf das sie sich in der Geschwindigkeit niedergelassen, aufstand – ging ihnen entgegen, reichte Rottack die Hand und sagte herzlich: »Herr Graf, es ist unendlich liebenswürdig von Ihnen, uns Ihre liebe Frau zugeführt zu haben. Frau Gräfin, ich schätze mich glücklich, Sie in Haßburg, und noch dazu als Nachbarin begrüßen zu können – meine Frau!«

      Gräfin Monford, welche die junge Frau beim Eintritte scharf fixirt hatte, verneigte sich kalt und vornehm, und Helene, die sie fast mit Ehrfurcht begrüßte, fühlte, wie ihre Kniee zitterten, und mußte alle ihre Energie zusammen nehmen, um diese erste, oh, so verzeihliche Schwäche zu besiegen. Aber sie war von Jugend auf daran gewöhnt worden, sich zu beherrschen; sie wußte, wie nothwendig das besonders hier jetzt sei, und wenn sie auch fühlte, daß das Blut wieder ihre Wangen für einen Moment verließ, nahm sie sich doch tapfer zusammen und erwiderte sogar ein paar Worte auf die Anrede des alten Herrn, freilich unbewußt, ohne sich dessen klar zu sein, was sie eigentlich sagte.

      Für einen solchen Fall sind unsere gesellschaftlichen Formen aber ganz vortrefflich, denn nur mit dem passenden Ausdruck in den Zügen, darf man wirklich unzusammenhängende Formeln schwatzen, um die nämliche Wirkung zu erzielen, wie bei der vernünftigsten und durchdachtesten Rede. Was für Unsinn wird manchmal bei solchen Begrüßungen mit der ernsthaftesten Miene gesprochen, mit der ernsthaftesten Miene angehört und erwidert! Es sind nur eben Worte, die man verlangt, auf den Sinn dabei kommt es wahrlich nicht an.

      »Sie sind erst ganz kürzlich hier in Haßburg eingetroffen?« wandte sich die Gräfin Monford an ihren jungen Besuch, denn über etwas mußte gesprochen werden.

      »Gestern, Frau Gräfin,« erwiderte Helene und fühlte sich noch nicht stark genug, das Auge zu der Frau zu erheben, während Felix, indem er mit dem Grafen sprach, die Züge der Dame scharf und forschend musterte.

      »Und Sie beabsichtigen, sich hier bleibend niederzulassen?«

      »Ich hoffe so, – die Gegend – ist so unendlich ansprechend.«

      »Da haben Sie Recht, meine Gnädigste,« lächelte der alte Herr; »es sollte Ihnen schwer werden, in Deutschland einen schöneren Punkt zu finden, wenn es auch vielleicht noch viele eben so schöne in unserem Vaterlande geben mag – aber wollen die Herrschaften nicht Platz nehmen?«

      Die Damen setzten sich auf das Sopha, die Herren nahmen Stühle, und das Gespräch wurde jetzt, da es an Stoff nicht fehlte, allgemein. Auch Helene, da Felix und Graf Monford Theil daran nahmen und das Auge der Gräfin nicht mehr allein auf ihr haftete, fühlte sich mehr erleichtert und unbefangener.

      »Aber Sie sind doch jedenfalls eine Deutsche, Frau Gräfin?« sagte Graf Monford, als Helene eben von ihren Kindern erzählt und wie sie sich gestern an dem Jahrmarkt gefreut; »Sie sprechen wenigstens vortrefflich Deutsch, und man hört Ihnen nicht einmal einen Dialekt an.«

      »Allerdings,« erwiderte Helene, tief erröthend, »ich bin in Deutschland geboren, wenn auch größtentheils in einem transatlantischen Land erzogen.«

      »Sie haben übrigens recht gethan, von da drüben wegzuziehen,« sagte der alte Herr; »mein Gott, muß das jetzt in dem Amerika eine Wirthschaft sein! Der Krieg nimmt gar kein Ende und dauert doch schon über Jahr und Tag.«

      »Wir kommen nicht aus den nordamerikanischen Freistaaten,« erwiderte Felix, »und haben, wo wir wohnten, wenig von dem Bürgerkrieg selbst gehört. Unser Aufenthalt« – und sein Blick ruhte dabei wie völlig absichtslos auf der Gräfin – »lag in Brasilien.«

      »In Brasilien?« sagte diese fast unwillkürlich.

      »Ei, das laß ich mir eher gefallen,« rief aber auch Graf Monford; »dort sollen doch wenigstens geregeltere Zustände sein, wenn man sich eben mit der vielleicht nicht immer angenehmen Hitze befreunden kann. Ich habe selbst einen etwas weitläufigen Verwandten in Rio. Wo haben Sie gelebt?«

      »In einer der südlicher gelegenen Colonien,« sagte Felix, einer directeren Antwort noch vor der Hand ausweichend.

      »In der That,« sagte der alte Herr, »dann freilich müssen wir Ihrer lieben Frau Gemahlin um so dankbarer sein, wenn sie von unserer Gegend befriedigt ist, denn mit den Tropen können wir uns allerdings nicht messen. Aber schön ist es trotzdem hier bei uns; bitte, Frau Gräfin, treten Sie einmal hier auf die Terrasse und sehen Sie, wie allerliebst das alte Haßburg da unten liegt; dort rechts hinüber glaub' ich auch sogar, daß man das Dach Ihres eigenen Hauses von hier erkennen kann, auch ein Stück vom Hause selbst. Ah, da kommt auch George – mein Sohn – Gräfin Rottack.«

      Helene war mit dem alten Herrn vor das Haus auf die offene Terrasse getreten, um sich die Aussicht zeigen zu lassen; ergriff sie doch selber mit Freuden die Gelegenheit, gerade jetzt, wo Brasilien zuerst genannt worden, hinaus an die freie Luft zu treten, um sich durch keine Bewegung, durch kein Erröthen zu verrathen.

      Auch die Gräfin Monford war aufgestanden und mit ihr Felix, um den Beiden zu folgen; aber sie zögerte noch. Es lag ihr eine Frage auf der Zunge, die sie sich scheute auszusprechen, und doch mußte sie gethan werden. Graf Rottack bemerkte dabei, daß etwas sie beunruhige, aber er hütete sich wohl, ihr entgegen zu kommen. Die Gräfin durfte jedoch diesen einen Moment, wo sie sich mit dem Fremden gewissermaßen allein im Zimmer befand, nicht unbenutzt vorübergehen lassen, und sich, schon im Begriff, auf die Terrasse zu gehen, noch einmal zu dem jungen Mann wendend, sagte sie mit so gleichgültigem Ton als möglich:

      »Wie hieß die Colonie, wo Sie gewohnt haben, Herr Graf?«

      »Santa Clara, gnädige Gräfin,« erwiderte Felix, sich leicht verbeugend; »meine Helene ist die Tochter der dort ansässigen Gräfin Baulen.«

      »In der That?« hauchte die Gräfin und blieb einen Moment mit der Hand auf den Stuhl gestützt, an dem sie eben vorüber wollte, stehen; aber es war auch nur ein Moment. »Ah, da kommen meine Kinder,« sagte sie; »bitte, Herr Graf, wollen Sie nicht hinaus auf die Terrasse treten?«

      Sie ging langsam voran hinaus, und Rottack ließ ihr hier absichtlich Zeit, um sich vollständig zu sammeln, indem er vorher dem jungen Grafen George und dessen Schwester Paula vorgestellt wurde und sich freundlich mit ihnen unterhielt.

      Und Helene stand Paula gegenüber, die mit ihren treuen, kindlichen Augen fast scheu zu ihr aufsah. Oh wie gern hätte sie das liebe, holde Kind an sich gezogen, fest, fest in ihre Arme, und mit dem theuren, noch nie gebrauchten Schwesternamen genannt! Wie lieb und gut sie aussah, und wie traurig doch und ernst – war denn auch schon in dieses junge Herz die Sorge, der Kummer eingekehrt? Sie vermochte auch nicht, es hier bei der kalten üblichen Form zu lassen, und auf das junge, sich schüchtern vor der hohen, edlen Gestalt neigende Mädchen zugehend, schloß sie Paula halb in die Arme und küßte sie auf die Stirne.

      Und die Gräfin?

      Felix hatte mit den beiden Grafen Monford an der Terrasse gestanden, über das Land hinausgesehen und das Treiben in der unter ihnen liegenden Stadt beobachtet. Jetzt wandte er sich wieder der Gräfin zu und ertappte sie gerade, wie ihr Blick ernst und forschend, aber ohne das geringste Zeichen innerer Bewegung an Helenen hing. Kaum fühlte sie aber, daß des jungen Grafen Auge auf ihr haftete, als sie sich diesem zuwandte und, mit zu der Terrasse tretend, ihn in ihrer gewöhnlichen ruhigen Weise auf die einzelnen Schönheiten der Scenerie aufmerksam machte.

      Keine Spur von Befangenheit war dabei in ihr zu entdecken, kein Zeichen einer innern heftigen Bewegung, wie eine solche Entdeckung, als die eben gemachte, sie eigentlich doch hervorgerufen haben sollte. Sie war vornehm, wie immer, wenn auch gesprächiger, als sie sich bis jetzt gezeigt, und Graf


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