Unter Palmen und Buchen. Erster Band.. Gerstäcker Friedrich
Frau an – ich will wissen, ob Sie im Haus keinem Mann begegnet sind?«
»Einem Mann?«
»Einem anständig gekleideten Herrn in einem grauen oder dunklen Rock, der hier oben bei mir war?«
»Ich habe Niemanden gesehen,« sagte das Mädchen erstaunt mit dem Kopf schüttelnd »und so lange ich hier oben bin, ist auch Niemand fortgegangen, denn ich habe die Thür gleich hinter mir zugeriegelt und die Kette vorgehangen.«
Die Frau nickte leise vor sich hin, Bertling aber, ärgerlich darüber, daß er eine verfehlte Zeugenaussage veranlaßt, rief:
»Nun, denn ist er vorher gegangen; die Rieke kann ihm auch eigentlich gar nicht begegnet sein, denn er muß doch eine ganze Weile früher die Stube verlassen haben. So viel bleibt sicher, in den Boden hinein ist er nicht verschwunden – gehen Sie nur wieder an Ihre Arbeit Rieke – es ist gut –.«
Die Rieke zog sich an das Heiligthum ihres Heerdes zurück, griff dort die Wassereimer auf und ging nach dem Brunnen hinunter, um frisches Wasser zu holen. Unten im Haus begegnet ihr des Schusters Frau und das Mädchen, mit dem eben bestandenen Examen noch im Kopf sagte zu dieser:
»Haben Sie denn vorhin einen Mann gesehen, Heßbergern, der von uns herunterkam, wie Sie aus dem Haus gingen?«
»Ich? – nein,« sagte die Frau – »was für einen Mann?«
»Ja ich weiß es auch nicht, er soll einen grauen Rock angehabt haben.«
»Und was ist mit dem?«
»Gott weiß es,« brummte die Rieke – »er muß auf einmal weggewesen sein und Niemand hat ihn fortgehen sehen, und jetzt glaub ich, ängstigt sich die Frau darüber und ist sogar ohnmächtig geworden. – Na Nichs für ungut« und damit schwenkte sie mit ihren Eimern zur Thür hinaus.
Der Justizrath ging indessen ein paar Mal im Zimmer auf und ab, aber er dachte dabei nicht an den vollkommen gleichgültigen Fremden, sondern der Zustand seiner Frau beunruhigte ihn immer ernsthafter. So reizbar und erregt war sie noch nie gewesen, und während er geglaubt, daß sie all die alten Phantasieen längst und für immer vergessen hätte, fühlte er jetzt daß sie dieselben grade im Gegentheil still bei sich getragen und darüber vielleicht die ganze Zeit gebrütet habe. Wie um Gottes Willen konnte er ihr das nur aus dem Kopf bringen!
»Es ist doch merkwürdig« sagte die Frau endlich nach längerer Pause, »daß zwei Personen denselben Gegenstand gesehen haben sollten.«
»Gegenstand – Thorheit!« brummte aber der Justiz-Rath. »Thu' mir den einzigen Gefallen, liebes Kind, und sprich nicht von Gegenständen, wo es sich um eine einfache vollkommen gleichgültige Persönlichkeit handelt. Gedulde Dich nur eine kurze Zeit, der Mensch kommt wahrscheinlich morgen früh wieder zu mir, und dann erlaubst Du mir wohl, daß ich ihn Dir vorstellen darf –«
»Und bist Du wirklich überzeugt, daß es ein Mensch war?«
»Aber Auguste –«
»Hast Du ihn berührt?«
»Ich? – hm ich kann mich nicht besinnen – es war auch keine Gelegenheit dazu da, denn einem fremden Menschen giebt man doch nicht gleich die Hand – aber er ist doch wie andere Sterbliche hereingekommen.«
»Hat er sich selber die Thür aufgemacht?«
Der Justizrath sann einen Augenblick nach – »Nein« sagte er dann, »das konnte er nicht, sie war ja verschlossen – aber er muß sie selber wieder aufgemacht haben, um hinaus zu kommen; das wirst Du mir doch zugeben.«
Auguste war aufgestanden, ging auf den Justizrath zu, legte ihren rechten Arm um seinen Nacken und ihr Haupt an seine Brust lehnend, sagte sie leise und bittend:
»Sei nur nicht böse, Theodor, sieh ich kann ja Nichts dafür; und ich – mir möchte das Herz selber darüber brechen, aber – ich fühle es deutlich in mir, es ist eine Ahnung aus jener Welt, gegen die wir nicht ankämpfen können, mag sich der Verstand auch dawider sträuben wie er will. – Wenn mir der graue Mann zum dritten Mal erscheint – so sterb ich.«
»Auguste, ich bitte Dich um Gottes Willen« rief jetzt der Mann in Todesangst, indem er sie fest an sich preßte – »gieb nicht solchen furchtbaren Gedanken Raum. Sieh Kind, man hat ja Beispiele, daß Menschen nur allein einer solchen fixen Idee erlegen sind, wenn sie sich erst einmal in ihrem Geiste festgesetzt hatte. Erst war Trübsinn, dann Schwermuth die Folge und im Körper nahm Schwäche zu, je mehr jene Idee im Hirn seine verderblichen Wurzeln schlug.«
»Aber Du sprichst immer von einer Idee, Theodor,« sagte die Frau – »habe ich denn die Gestalt nicht zwei Mal deutlich gesehen, so deutlich, wie ich Dich selber hier vor mir sehe?«
»Das zweite Mal, ja, das gebe ich zu,« sagte der Mann in verzweifelter Resignation, und jetzt nur bemüht diese Phantasie durch Vernunftgründe zu bannen – »denn das unglückselige Menschenkind, das gerade in der Zeit zu mir kommen mußte – und ich wollte, Gott verzeih mir die Sünde, er hätte sonst was gethan – saß wirklich da. Aber das erste Mal, liebes gutes Herz mußt Du mir doch zugeben, daß es nur das Spiegelbild einer Deiner Träume gewesen sein kann.«
Die Frau antwortete nicht, schüttelte aber nur leise und kaum merklich mit dem Kopf.
»Sieh, liebes Kind,« fuhr Bertling, der die Bewegung an seiner Schulter fühlte, fort: »Du wirst mir doch zugeben, daß ein Geist – wenn wir wirklich annehmen wollen, es gäbe derartige Wesen, denen verstattet sei auf der Erde herumzuwandern und Unheil anzustiften – körperlos sein muß, also nur ein Hauch, verdichtete Luft höchstens. Was aber keinen Körper hat, kann man ja doch nicht sehen, wenigstens nicht mit unseren Augen, die ja doch auch nur körperlich sind.«
»Ich antworte Dir darauf durch ein anderes Beispiel,« sagte die Frau, sich von seiner Schulter emporrichtend. »Wir wissen doch, daß die Sterne am Himmel stehen, aber trotzdem sieht sie das Menschenauge am Tag nicht, mag der Himmel so rein sein wie er will – aber man hat Vorrichtungen für das Auge, wodurch man sie doch erkennen kann, und warum sollte nicht das Auge einzelner Menschen so beschaffen sein, daß sie einzelne Dinge sehen können, die Anderen unsichtbar bleiben.«
»Aber die Sterne sind auch Körper, liebes Herz, und noch dazu ganz respectable.«
»Du weichst mir aus,« rief die Frau, »und ich leugne, daß unser Auge nur allein für Körper geschaffen ist. Der Schatten ist kein Körper und wir sehen ihn doch.«
»Aber nur, wenn er auf einem Körper liegt, doch nie allein und selbständig in der Luft.«
»Ich habe auch jene Gestalt nicht frei in der Luft gesehen,« sagte die Frau, die fest entschlossen schien, den einmal gefaßten Gedanken auch festzuhalten, »sondern vielleicht nur auf dem Hintergrund der Wand –«
»Du bringst mich noch zur Verzweiflung, Herz, mit Deinem Gespenst,« sagte Bertling, während ein tiefer Seufzer seine Brust hob – »wer Dir nur in aller Welt die tollen Gedanken in den Kopf gesetzt haben kann.«
»Und nennst Du eine feste, innige Ueberzeugung mit diesem Namen, Theodor?«
»Meine liebe Auguste,« flehte der Mann dringend, »mißverstehe mich nicht. Ich will Dir ja bei Gott nicht wehe thun, aber wie in aller Welt soll ich Dich nur überzeugen, daß – daß Du Dich wirklich und wahrhaftig geirrt und ein körperliches Wesen mit einem geistigen in eine ganz unglückselige Verbindung bringst? – Aber das hätte Alles nichts zu sagen, Herz, denn von diesem Irrthum hoff' ich Dich mit der Zeit zu überzeugen; nur Das beunruhigt mich, und noch dazu in der peinlichsten Weise, daß sich bei Dir eine – ich weiß gar nicht, wie ich es nennen soll – eine solche unglückselige Idee festgesetzt hat, die Du für eine Ahnung nahen Todes hältst. Wenn Du mich nur ein ganz klein wenig liebst, so bekämpfe diesen Gedanken mit allen Kräften, und von dem Uebrigen fürchte ich Nichts für Dich. Willst Du mir das versprechen?«
»Aber lieber Theodor,« fragte die Frau – »kann man denn eine Ueberzeugung noch bekämpfen?«
Der Mann seufzte recht aus voller Brust. Endlich sagte er:
»Dagegen läßt sich nicht streiten, und wir können nur hoffen, daß der liebe Gott noch Alles zum Besten wendet. Ich selber werde