Italienische Reise — Band 2. Johann Wolfgang von Goethe

Italienische Reise — Band 2 - Johann Wolfgang von Goethe


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worden, was ich nur gewünscht habe. Ich habe ein schönes Quartier, gute Hausleute. Tischbein geht nach Neapel, und ich beziehe sein Studium, einen großen kühlen Saal. Wenn ihr mein gedenkt, so denkt an mich als an einen Glücklichen; ich will oft schreiben, und so sind und bleiben wir zusammen.

      Auch neue Gedanken und Einfälle hab' ich genug, ich finde meine erste Jugend bis auf Kleinigkeiten wieder, indem ich mir selbst überlassen bin, und dann trägt mich die Höhe und Würde der Gegenstände wieder so hoch und weit, als meine letzte Existenz nur reicht. Mein Auge bildet sich unglaublich, und meine Hand soll nicht ganz zurückbleiben. Es ist nur ein Rom in der Welt, und ich befinde mich hier wie der Fisch im Wasser und schwimme oben wie eine Stückkugel im Quecksilber, die in jedem andern Fluidum untergeht. Nichts trübt die Atmosphäre meiner Gedanken, als daß ich mein Glück nicht mit meinen Geliebten teilen kann. Der Himmel ist jetzt herrlich heiter, so daß Rom nur morgens und abends einigen Nebel hat. Auf den Gebirgen aber, Albano, Castello, Frascati, wo ich vergangene Woche drei Tage zubrachte, ist eine immer heitre reine Luft. Da ist eine Natur zu studieren.

      Blick vom Pincio in Rom. Zeichnung von Goethe

      Bemerkung

      Indem ich nun meine Mitteilungen den damaligen Zuständen, Eindrücken und Gefühlen gemäß einrichten möchte und daher aus eigenen Briefen, welche freilich mehr als irgendeine spätere Erzählung das Eigentümliche des Augenblicks darstellen, die allgemein interessanten Stellen auszuziehen anfange, so find' ich auch Freundesbriefe mir unter der Hand, welche hiezu noch vorzüglicher dienen möchten. Deshalb ich denn solche briefliche Dokumente hie und da einzuschalten mich entschließe und hier sogleich damit beginne, von dem aus Rom scheidenden, in Neapel anlangenden Tischbein die lebhaftesten Erzählungen einzuführen. Sie gewähren den Vorteil, den Leser sogleich in jene Gegenden und in die unmittelbarsten Verhältnisse der Personen zu versetzen, besonders auch den Charakter des Künstlers aufzuklären, der so lange bedeutend gewirkt, und, wenn er auch mitunter gar wunderlich erscheinen mochte, doch immer so in seinem Bestreben als in seinem Leisten ein dankbares Erinnern verdient.

      Tischbein an Goethe

Neapel, den 10. Juli 1787

      Unsere Reise von Rom bis Capua war sehr glücklich und angenehm. In Albano kam Hackert zu uns; in Velletri speisten wir bei Kardinal Borgia und besahen dessen Museum, zu meinem besondern Vergnügen, weil ich manches bemerkte, das ich im ersten Mal übergangen hatte. Um drei Uhr nachmittags reisten wir wieder ab, durch die pontinischen Sümpfe, die mir dieses Mal auch viel besser gefielen als im Winter, weil die grünen Bäume und Hecken diesen großen Ebenen eine anmutige Verschiedenheit geben. Wir fanden uns kurz vor der Abenddämmerung in Mitte der Sümpfe, wo die Post wechselt. Während der Zeit aber, als die Postillons alle Beredsamkeit anwendeten, uns Geld abzunötigen, fand ein mutiger Schimmelhengst Gelegenheit, sich loszureißen und fortzurennen; das gab ein Schauspiel, welches uns viel Vergnügen machte. Es war ein schneeweißes schönes Pferd von prächtiger Gestalt; er zerriß die Zügel, womit er angebunden war, hackte mit den Vorderfüßen nach dem, der ihn aufhalten wollte, schlug hinten aus und machte ein solches Geschrei mit Wiehern, daß alles aus Furcht beiseitetrat. Nun sprang er übern Graben und galoppierte über das Feld, beständig schnaubend und wiehernd. Schweif und Mähnen flatterten hoch in die Luft auf, und seine Gestalt in freier Bewegung war so schön, daß alles ausrief: "O che bellezze! che bellezze!" Dann lief er nah an einem andern Graben hin und wider und suchte eine schmale Stelle, um überzuspringen und zu den Fohlen und Stuten zu kommen, deren viele hundert jenseits weideten. Endlich gelang es ihm, hinüberzuspringen, und nun setzte er unter die Stuten, die ruhig graseten. Die erschraken vor seiner Wildheit und seinem Geschrei, liefen in langer Reihe und flohen über das flache Feld vor ihm hin; er aber immer hintendrein, indem er aufzuspringen versuchte.

      Endlich trieb er eine Stute abseits; die eilte nun auf ein ander Feld zu einer andern zahlreichen Versammlung von Stuten. Auch diese, von Schrecken ergriffen, schlugen hinüber zu dem ersten Haufen. Nun war das Feld schwarz von Pferden, wo der weiße Hengst immer drunter herumsprang, alles in Schrecken und Wildheit. Die Herde lief in langen Reihen auf dem Felde hin und her, es sauste die Luft und donnerte die Erde, wo die Kraft der schweren Pferde überhinflog. Wir sahen lange mit Vergnügen zu, wie der Trupp von so vielen Hunderten auf dem Feld herumgaloppierte, bald in einem Klump, bald geteilt, jetzt zerstreut einzeln umherlaufend, bald in langen Reihen über den Boden hinrennend.

      Endlich beraubte uns die Dunkelheit der einbrechenden Nacht dieses einzigen Schauspiels, und als der klarste Mond hinter den Bergen aufstieg, verlosch das Licht unsrer angezündeten Laternen. Doch da ich mich lange an seinem sanften Schein vergnügt hatte, konnte ich mich des Schlafs nicht mehr erwehren, und mit aller Furcht vor der ungesunden Luft schlief ich länger als eine Stunde und erwachte nicht eher, bis wir zu Terracina ankamen, wo wir die Pferde wechselten.

      Hier waren die Postillons sehr artig, wegen der Furcht, welche ihnen der Marchese Lucchesini eingejagt hatte; sie gaben uns die besten Pferde und Führer, weil der Weg zwischen den großen Klippen und dem Meer gefährlich ist. Hier sind schon manche Unglücke geschehen, besonders nachts, wo die Pferde leicht scheu werden. Während des Anspannens und indessen man den Paß an die letzte römische Wache vorzeigte, ging ich zwischen den hohen Felsen und dem Meer spazieren und erblickte den größten Effekt: der dunkle Fels vom Mond glänzend erleuchtet, der eine lebhaft flimmernde Säule in das blaue Meer warf und bis auf die am Ufer schwankenden Wellen heranflimmerte.

      Da oben auf der Zinne des Berges im dämmernden Blau lagen die Trümmer von Genserichs zerfallener Burg; sie machte mich an vergangene Zeiten denken, ich fühlte des unglücklichen Konradins Sehnsucht, sich zu retten, wie des Cicero und des Marius, die sich alle in dieser Gegend geängstigt hatten.

      Schön war es nun fernerhin an dem Berg, zwischen den großen herabgerollten Felsenklumpen am Saume des Meers im Mondenlicht herzufahren. Deutlich beleuchtet waren die Gruppen der Olivenbäume, Palmen und Pinien bei Fondi; aber die Vorzüge der Zitronenwälder vermißte man, sie stehen nur in ihrer ganzen Pracht, wenn die Sonne auf die goldglänzenden Früchte scheint. Nun ging es über den Berg, wo die vielen Oliven — und Johannisbrotbäume stehen, und es war schon Tag geworden, als wir bei den Ruinen der antiken Stadt, wo die vielen überbleibsel von Grabmälern sind, ankamen. Das größte darunter soll dem Cicero errichtet worden sein, eben an dem Ort, wo er ermordet worden. Es war schon einige Stunden Tag, als wir an den erfreulichen Meerbusen zu Mola di Gaeta ankamen. Die Fischer mit ihrer Beute kehrten schon wieder zurück, das machte den Strand sehr lebhaft. Einige trugen die Fische und Meerfrüchte in Körben weg, die andern bereiteten die Garne schon wieder auf einen künftigen Fang. Von da fuhren wir nach Garigliano, wo Cavaliere Venuti graben läßt. Hier verließ uns Hackert, denn er eilte nach Caserta, und wir gingen abwärts von der Straße herunter an das Meer, wo ein Frühstück für uns bereitet war, welches wohl für ein Mittagessen gelten konnte. Hier waren die ausgegrabenen Antiken aufgehoben, die aber jämmerlich zerschlagen sind. Unter andern schönen Sachen findet sich ein Bein von einer Statue, die dem Apoll von Belvedere nicht viel nachgeben mag. Es wär' ein Glück, wenn man das übrige dazu fände.

      Wir hatten uns aus Müdigkeit etwas schlafen gelegt, und da wir wieder erwachten, fanden wir uns in Gesellschaft einer angenehmen Familie, die in dieser Gegend wohnt und hierher gekommen war, um uns ein Mittagsmahl zu geben; welche Aufmerksamkeit wir freilich Herrn Hackert schuldig sein mochten, der sich aber schon entfernt hatte. Es stand also wieder aufs neue ein Tisch bereitet; ich aber konnte nicht essen noch sitzenbleiben, so gut auch die Gesellschaft war, sondern ging am Meer spazieren zwischen den Steinen, worunter sich sehr wunderliche befanden, besonders vieles durch Meerinsekten durchlöchert, deren einige aussahen wie ein Schwamm.

      Hier begegnete mir auch etwas recht Vergnügliches: ein Ziegenhirt trieb an den Strand des Meeres; die Ziegen kamen in das Wasser und kühlten sich ab. Nun kam auch der Schweinehirt dazu, und unter der Zeit, daß die beiden Herden sich in den Wellen erfrischten, setzten sich beide Hirten in den Schatten und machten Musik; der Schweinehirt auf einer Flöte, der Ziegenhirt auf dem Dudelsack. Endlich ritt ein erwachsener Knabe nackend heran und ging so tief in das Wasser, so tief, daß das Pferd mit ihm schwamm. Das sah nun gar schön aus, wenn der wohlgewachsene Junge so nah ans Ufer kam, daß man seine ganze Gestalt sah, und er sodann wieder in das tiefe Meer zurückkehrte, wo man nichts


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