Italienische Reise — Band 2. Johann Wolfgang von Goethe

Italienische Reise — Band 2 - Johann Wolfgang von Goethe


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fuhren wir weiter, und als wir Capua drei Meilen hinter uns gelassen hatten, es war schon eine Stunde in der Nacht, zerbrachen wir das Hinterrad unsres Wagens. Das hielt uns einige Stunden auf, um ein andres an die Stelle zu nehmen. Da aber dieses geschehen war und wir abermals einige Meilen zurückgelegt hatten, brach die Achse. Hierüber wurden wir sehr verdrießlich; wir waren so nah bei Neapel und konnten doch unsre Freunde nicht sprechen. Endlich langten wir einige Stunden nach Mitternacht daselbst an, wo wir noch so viele Menschen auf der Straße fanden, als man in einer andern Stadt kaum um Mittag findet.

      Hier hab' ich nun alle unsre Freunde gesund und wohl angetroffen, die sich alle freuten, dasselbe von Ihnen zu hören. Ich wohne bei Herrn Hackert im Hause; vorgestern war ich mit Ritter Hamilton zu Pausilipo auf seinem Lusthause. Da kann man denn freilich nichts Herrlicheres auf Gottes Erdboden schauen. Nach Tische schwammen ein Dutzend Jungen in dem Meere, das war schön anzusehen. Die vielen Gruppen und Stellungen, welche sie in ihren Spielen machten! Er bezahlt sie dafür, damit er jeden Nachmittag diese Lust habe. Hamilton gefällt mir außerordentlich wohl; ich sprach vieles mit ihm, sowohl hier im Haus, als auch da wir auf dem Meer spazierenfuhren. Es freute mich außerordentlich, so viel von ihm zu erfahren, und hoffe noch viel Gutes von diesem Manne. Schreiben Sie mir doch die Namen Ihrer übrigen hiesigen Freunde, damit ich auch sie kennen lernen und grüßen kann. Bald sollen Sie mehreres von hier vernehmen. Grüßen Sie alle Freunde, besonders Angelika und Reiffenstein.

      N. S. Ich finde es in Neapel sehr viel heißer als in Rom, nur mit dem Unterschied, daß die Luft gesünder ist und auch beständig etwas frischer Wind weht, aber die Sonne hat viel mehr Kraft; die ersten Tage war es mir fast unerträglich. Ich habe bloß von Eis — und Schneewasser gelebt.

Später, ohne Datum

      Gestern hätt' ich Sie in Neapel gewünscht: einen solchen Lärmen, eine solche Volksmenge, die nur da war, um Eßwaren einzukaufen, hab' ich in meinem Leben nicht gesehen; aber auch so viele dieser Eßwaren sieht man nie wieder beisammen. Von allen Sorten war die große Straße Toledo fast bedeckt. Hier bekommt man erst eine Idee von einem Volk, das in einer so glücklichen Gegend wohnt, wo die Jahreszeit täglich Früchte wachsen läßt. Denken Sie sich, daß heute 500 000 Menschen im Schmausen begriffen sind und das auf Neapolitaner Art. Gestern und heute war ich an einer Tafel, wo gefressen ist worden, daß ich erstaunt bin; ein sündiger überfluß war da. Kniep saß auch dabei und übernahm sich so, von allen den leckern Speisen zu essen, daß ich fürchtete, er platze; aber ihn rührte es nicht, und er erzählte dabei immer von dem Appetit, den er auf dem Schiff und in Sizilien gehabt habe, indessen Sie für Ihr gutes Geld, teils aus übelbefinden, teils aus Vorsatz, gefastet und so gut als gehungert.

      Heute ist schon alles aufgefressen worden, was gestern verkauft wurde, und man sagt, morgen sei die Straße wieder so voll, als sie gestern war. Toledo scheint ein Theater, wo man den überfluß zeigen will. Die Butiken sind alle ausgeziert mit Eßwaren, die sogar über die Straße in Girlanden hinüberhängen, die Würstchen zum Teil vergoldet und mit roten Bändern gebunden; die welschen Hahnen haben alle eine rote Fahne im Hintern stecken, deren sind gestern dreißigtausend verkauft worden, dazu rechne man die, welche die Leute im Hause fett machen. Die Zahl der Esel mit Kapaunen beladen sowie der andern mit kleinen Pomeranzen belastet, die großen auf dem Pflaster aufgeschütteten Haufen solcher Goldfrüchte erschreckten einen. Aber am schönsten möchten doch die Butiken sein, wo grüne Sachen verkauft werden, und die, wo Rosinentrauben, Feigen und Melonen ausgesetzt sind: alles so zierlich zur Schau geordnet, daß es Auge und Herz erfreut. Neapel ist ein Ort, wo Gott häufig seinen Segen gibt für alle Sinne.

Später, ohne Datum

      Hier haben Sie eine Zeichnung von den Türken, die hier gefangen liegen. Der "Herkules", wie es erst hieß, hat sie nicht genommen, sondern ein Schiff, welches die Korallenfischer begleitete. Die Türken sahen dieses christliche Fahrzeug und machten sich dran, um es wegzunehmen, aber sie fanden sich betrogen; denn die Christen waren stärker, und so wurden sie überwältigt und gefangen hierher geführt. Es waren dreißig Mann auf dem christlichen Schiffe, vierundzwanzig auf dem türkischen; sechs Türken blieben im Gefechte, einer ist verwundet. Von den Christen ist kein einziger geblieben, die Madonna hat sie beschützt.

      Der Schiffer hat eine große Beute gemacht; er fand sehr viel Geld und Waren, Seidenzeug und Kaffee, auch einen reichen Schmuck, welcher einer jungen Mohrin gehörte.

      Es war merkwürdig, die vielen tausend Menschen zu sehen, welche Kahn an Kahn dahinfuhren, um die Gefangenen zu beschauen, besonders die Mohrin. Es fanden sich verschiedene Liebhaber, die sie kaufen wollten und viel Geld boten, aber der Kapitän will sie nicht weggeben.

      Ich fuhr alle Tage hin und fand einmal den Ritter Hamilton und Miß Hart, die sehr gerührt war und weinte. Da das die Mohrin sah, fing sie auch an zu weinen; die Miß wollte sie kaufen, der Kapitän aber hartnäckig sie nicht hergeben. Jetzo sind sie nicht mehr hier; die Zeichnung besagt das Weitere.

      Nachtrag

Päpstliche Teppiche

      Die große Aufopferung, zu der ich mich entschloß, eine von dem Gipfel des Bergs bis beinahe ans Meer herabströmende Lava hinter mir zu lassen, ward mir durch den erreichten Zweck reichlich vergolten, durch den Anblick der Teppiche, welche, am Fronleichnamstag aufgehängt, uns an Raffael, seine Schüler, seine Zeit auf das glänzendste erinnerten.

      In den Niederlanden hatte das Teppichwirken mit stehendem Zettel, Hautelisse genannt, sich schon auf den höchsten Grad erhoben. Es ist mir nicht bekannt geworden, wie sich nach und nach die Fertigung der Teppiche entwickelt und gesteigert hat. In dem zwölften Jahrhundert mag man noch die einzelnen Figuren durch Stickerei oder auf sonst eine Weise fertig gemacht und sodann durch besonders gearbeitete Zwischenstücke zusammengesetzt haben. Dergleichen finden wir noch über den Chorstühlen alter Domkirchen, und hat die Arbeit etwas ähnliches mit den bunten Fensterscheiben, welche auch zuerst aus ganz kleinen farbigen Glasstückchen ihre Bilder zusammengesetzt haben. Bei den Teppichen vertrat Nadel und Faden das Lot und die Zinnstäbchen. Alle frühen Anfänge der Kunst und Technik sind von dieser Art; wir haben kostbare chinesische Teppiche, auf gleiche Weise gefertigt, vor Augen gehabt.

      Wahrscheinlich durch orientalische Muster veranlaßt, hatte man in den handels — und prachtreichen Niederlanden zu Anfang des sechzehnten Jahrhunderts diese kunstreiche Technik schon aufs Höchste getrieben; dergleichen Arbeiten gingen schon wieder nach dem Orient zurück und waren gewiß auch in Rom bekannt, wahrscheinlich nach unvollkommenen, in byzantinischem Sinne gemodelten Mustern und Zeichnungen. Der große und in manchem, besonders auch ästhetischem Sinn freie Geist Leo X. mochte nun auch, was er auf Wänden abgebildet sah, gleichmäßig frei und groß in seiner Umgebung auf Teppichen erblicken, und auf seine Veranlassung fertigte Raffael die Kartone: glücklicherweise solche Gegenstände, welche Christi Bezug zu seinen Aposteln, sodann aber die Wirkungen solcher begabten Männer nach dem Heimgange des Meisters vorstellten.

      Am Fronleichnamstage nun lernte man erst die wahre Bestimmung der Teppiche kennen, hier machten sie Kolonnaden und offene Räume zu prächtigen Sälen und Wandelgängen, und zwar indem sie das Vermögen des begabtesten Mannes uns entschieden vor Augen stellen und uns das glücklichste Beispiel geben, wo Kunst und Handwerk in beiderseitiger Vollendung sich auf ihrem höchsten Punkte lebendig begegnen.

      Die Raffaelischen Kartone, wie sie bis jetzt in England verwahrt sind, bleiben noch immer die Bewunderung der Welt; einige rühren gewiß von dem Meister allein her, andere mögen nach seinen Zeichnungen, seiner Angabe, andere sogar erst nachdem er abgeschieden war, gefertigt sein. Alles bezeugte große übereintreffende Kunstbestimmung, und die Künstler aller Nationen strömten hier zusammen, um ihren Geist zu erheben und ihre Fähigkeiten zu steigern.

      Dies gibt uns Veranlassung, über die Tendenz der deutschen Künstler zu denken, welche Hochschätzung und Neigung gegen seine ersten Werke hinzog und wovon schon damals leise Spuren sich bemerken ließen.

      Mit einem talentreichen zarten Jüngling, der im Sanften, Anmutigen, Natürlichen verweilt, fühlt man sich in jeder Kunst näher verwandt, man wagt es zwar nicht, sich mit ihm zu vergleichen, doch im stillen mit ihm zu wetteifern, von sich zu hoffen, was er geleistet hat.

      Nicht


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