Aphorismen zur Lebensweisheit. Артур Шопенгауэр
Lage sich durch philantropische Bestrebungen um die Menschheit verdient machen. Wer hingegen nichts von dem allen, auch nur einigermaßen, oder versuchsweise, leistet, ja, nicht einmal durch gründliche Erlernung irgendeiner Wissenschaft sich wenigstens die Möglichkeit eröffnet, dieselbe zu fördern, – ein solcher ist, bei angeerbtem Vermögen, ein bloßer Tagedieb und verächtlich. Auch wird er nicht glücklich sein: denn die Exemtion von der Not liefert ihn dem anderen Pol des menschlichen Elends, der Langenweile, in die Hände, die ihn so martert, daß er viel glücklicher wäre, wenn die Not ihm Beschäftigung gegeben hätte. Eben diese Langeweile aber wird ihn leicht zu Extravaganzen verleiten, welche ihn um jenen Vorzug bringen, dessen er nicht würdig war. Wirklich befinden Unzählige sich bloß deshalb in Mangel, weil, als sie Geld hatten, sie es ausgaben, um nur sich augenblickliche Linderung der sie drückenden Langenweile zu verschaffen.
Ganz anders nun aber verhält es sich, wenn der Zweck ist, es im Staatsdienste hoch zu bringen, wo demnach Gunst, Freunde, Verbindungen erworben werden müssen, um durch sie, von Stufe zu Stufe, Beförderung, vielleicht gar bis zu den höchsten Posten, zu erlangen: hier nämlich ist es im Grunde wohl besser, ohne alles Vermögen in die Welt gestoßen zu sein. Besonders wird es dem, welcher nicht adelig, hingegen mit einigem Talent ausgestattet ist, zum wahren Vorteil und zur Empfehlung gereichen, wenn er ein ganz armer Teufel ist. Denn was jeder, schon in der bloßen Unterhaltung, wie viel mehr im Dienste, am meisten sucht und liebt, ist die Inferiorität des anderen. Nun aber ist allein ein armer Teufel von seiner gänzlichen, tiefen, entschiedenen und allseitigen Inferiorität und seiner völligen Unbedeutsamkeit und Wertlosigkeit in dem Grade überzeugt und durchdrungen, wie es hier erfordert wird. Nur er demnach verbeugt sich oft und anhaltend genug, und nur seine Bücklinge erreichen volle 90°: nur er läßt alles über sich ergehn und lächelt dazu; nur er erkennt die gänzliche Wertlosigkeit der Verdienste; nur er preist öffentlich, mit lauter Stimme, oder auch in großem Druck, die literarischen Stümpereien der über ihn Gestellten, oder sonst Einflußreichen, als Meisterwerke; nur er versteht zu betteln: folglich kann nur er, bei Zeiten, also in der Jugend, sogar ein Epopte jener verborgenen Wahrheit werden, die Goethe uns enthüllt hat in den Worten:
»Über's Niederträchtige
Niemand sich beklage:
Denn es ist das Mächtige,
Was man dir auch sage.«
Hingegen der, welcher von Hause aus zu leben hat, wird sich meistens ungebärdig stellen: er ist gewohnt tête levée zu gehn, hat alle jene Künste nicht gelernt, trotzt dazu vielleicht noch auf etwanige Talente, deren Unzulänglichkeit vielmehr, dem médiocre et rampant gegenüber, er begreifen sollte; er ist am Ende wohl gar imstande, die Inferiorität der über ihn Gestellten zu merken; und wenn es nun vollends zu den Indignitäten kommt, da wird er stätisch oder kopfscheu. Damit poussirt man sich nicht in der Welt: vielmehr kann es mit ihm zuletzt dahin kommen, daß er mit dem frechen Voltaire sagt: nous n'avons que deux jours à vivre: ce n'est pas la peine de les passer à ramper sous des coquins méprisables: – leider ist, beiläufig gesagt, dieses coquin méprisable ein Prädikat, zu dem es in der Welt verteufelt viele Subjekte gibt. Man sieht also, daß das Juvenalische mehr von der Laufbahn der Virtuositäten als von der der Weltleute gültig ist.
Haud facile emergunt, quorum virtutibus obstat
Res angusta domi,
Zu dem, was einer hat, habe ich Frau und Kinder nicht gerechnet; da er von diesen vielmehr gehabt wird. Eher ließen sich Freunde dazu zählen: doch muß auch hier der Besitzende im gleichen Maße der Besitz des andern sein.
Kapitel IV
Von dem, was einer vorstellt
Dieses, also unser Dasein in der Meinung anderer, wird, infolge einer besonderen Schwäche unserer Natur, durchgängig viel zu hoch angeschlagen; obgleich schon die leichteste Besinnung lehren könnte, daß es, an sich selbst, für unser Glück, unwesentlich ist. Es ist demnach kaum erklärlich, wie sehr jeder Mensch sich innerlich freut, so oft er Zeichen der günstigen Meinung anderer merkt und seiner Eitelkeit irgendwie geschmeichelt wird. So unausbleiblich wie die Katze spinnt, wenn man sie streichelt, malt süße Wonne sich auf das Gesicht des Menschen, den man lobt und zwar in dem Felde seiner Prätension, sei das Lob auch handgreiflich lügenhaft. Oft trösten ihn über reales Unglück oder über die Kargheit, mit der für ihn die beiden, bis hieher abgehandelten Hauptquellen unseres Glückes fließen, die Zeichen des fremden Beifalls: und, umgekehrt, ist es zum Erstaunen, wie sehr jede Verletzung seines Ehrgeizes, in irgend einem Sinne, Grad oder Verhältnis, jede Geringschätzung, Zurücksetzung, Nichtachtung ihn unfehlbar kränkt und oft tief schmerzt. Sofern auf dieser Eigenschaft das Gefühl der Ehre beruht, mag sie für das Wohlverhalten vieler, als Surrogat ihrer Moralität, von ersprießlichen Folgen sein; aber auf das eigene Glück des Menschen, zunächst auf die diesem so wesentliche Gemütsruhe und Unabhängigkeit, wirkt sie mehr störend und nachteilig als förderlich ein. Daher ist es, von unserm Gesichtspunkt aus, ratsam, ihr Schranken zu setzen und, mittels gehöriger Überlegung und richtiger Abschätzung des Wertes der Güter, jene große Empfindlichkeit gegen die fremde Meinung möglichst zu mäßigen, sowohl da, wo ihr geschmeichelt wird, als da, wo ihr wehe geschieht: denn beides hängt am selben Faden. Außerdem bleibt man der Sklave fremder Meinung und fremden Bedünkens:
Sic leve, sic parvum est, animum quod laudis avarum
Subruit ac reficit.
Demnach wird eine richtige Abschätzung des Wertes dessen, was man in und für sich selbst ist, gegen das, was man bloß in den Augen anderer ist, zu unserm Glücke viel beitragen. Zum ersteren gehört die ganze Ausfüllung der Zeit unsers eigenen Daseins, der innere Gehalt desselben, mithin alle die Güter, welche unter den Titeln »was einer ist« und »was einer hat« von uns in Betrachtung genommen worden sind. Denn der Ort, in welchem alles dieses seine Wirkungssphäre hat, ist das eigene Bewußtsein. Hingegen ist der Ort dessen, was wir für andere sind, das fremde Bewußtsein: es ist die Vorstellung, unter welcher wir darin erscheinen, nebst den Begriffen, die auf diese angewandt werden4. Dies nun ist etwas, das unmittelbar gar nicht für uns vorhanden ist, sondern bloß mittelbar, nämlich sofern das Betragen der andern gegen uns dadurch bestimmt wird. Und auch dieses selbst kommt eigentlich nur in Betracht, sofern es Einfluß hat auf irgend etwas, wodurch das, was wir in und für uns selbst sind, modifizirt werden kann. Außerdem ist ja, was in einem fremden Bewußtsein vorgeht, als solches, für uns gleichgültig, und auch wir werden allmählig gleichgültig dagegen werden, wenn wir von der Oberflächlichkeit und Futilität der Gedanken, von der Beschränktheit der Begriffe, von der Kleinlichkeit der Gesinnung, von der Verkehrtheit der Meinungen und von der Anzahl der Irrtümer in den allermeisten Köpfen eine hinlängliche Kenntnis erlangen, und dazu aus eigener Erfahrung lernen, mit welcher Geringschätzung gelegentlich von jedem geredet wird, sobald man ihn nicht zu fürchten hat oder glaubt, es komme ihm nicht zu Ohren; insbesondere aber nachdem wir einmal angehört haben, wie vom größten Manne ein halbes Dutzend Schafsköpfe mit Wegwerfung spricht. Wir werden dann einsehen, daß, wer auf die Meinung der Menschen einen großen Wert legt, ihnen zu viel Ehre erzeigt.
Jedenfalls ist der auf eine kümmerliche Ressource hingewiesen, der sein Glück nicht in den beiden, bereits abgehandelten Klassen von Gütern findet, sondern es in dieser dritten suchen muß, also nicht in dem, was er wirklich, sondern in dem, was er in der fremden Vorstellung ist. Denn überhaupt ist die Basis unseres Wesens und folglich auch unseres Glücks unsere animalische Natur. Daher ist, für unsere Wohlfahrt, Gesundheit das wesentlichste, nächst dieser aber die Mittel zu unserer Erhaltung, also ein sorgenfreies Auskommen. Ehre, Glanz, Rang, Ruhm, so viel Wert auch mancher darauf legen mag, können mit jenen wesentlichen Gütern nicht kompetiren, noch sie ersetzen: vielmehr würden sie, erforderlichen Falle, unbedenklich für jene hingegeben werden. Dieserwegen wird es zu unserm Glücke beitragen, wenn wir beizeiten die simple Einsicht erlangen, daß jeder zunächst und wirklich in seiner eigenen Haut lebt, nicht aber in der Meinung anderer, und daß demnach unser realer und persönlicher Zustand, wie er durch Gesundheit, Temperament, Fähigkeiten, Einkommen, Weib, Kind, Freunde, Wohnort usw. bestimmt wird, für unser Glück hundertmal wichtiger ist, als was
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