Die Welt auf Schienen. Fürst Artur
tatsächlich vollbracht.
3. Der Meister
Als alle diese bald fördernden, bald zurückhaltenden Begebnisse sich zutrugen, war schon längst der Mann am Leben, der mit gewaltiger Hand das Schaffen so vieler Geister zusammenfassen, das mit so vieler Mühe errichtete Gebäude endlich unter Dach bringen sollte.
Viele kleine und größere Sterne hatten bereits am Himmel der Schienenwelt geleuchtet. Aber erst mit Georg Stephenson geht die Sonne im Eisenbahnland auf.
Als die Großtat Stephensons wird zwar im allgemeinen der Bau einer bestimmten, hervorragend wirkungskräftigen Lokomotive bezeichnet. Aber diese Leistung umfaßt doch bei weitem nicht seine gesamte Wirksamkeit. Georg Stephenson war viel mehr als ein tüchtiger Lokomotivbauer – er ist der erste wirkliche Eisenbahningenieur.
Vor seinem geistigen Auge entstand zum erstenmal das Bild des Eisenbahnverkehrs in seiner Gesamtheit. Er sah zu einer Zeit, als alle anderen nur ein Herumstümpern auf den Schienen wahrnahmen, die Millionen rollender Räder auf dem Eisenpfad, die Rauchfahnen der Lokomotiven durch alle Länder ziehen, die rumpelnden Kutschen und Frachtwagen von einem neuen Verkehrsmittel endgültig abgelöst. Es ist das keine bloße Annahme; Stephenson selbst hat dieses treffende Vorausschauen selbst in einer Rede bestätigt, die er zu einer Zeit hielt, als noch nicht einmal der erste Fahrgast von einem Lokomotivzug über ein Gleis gezogen worden war.
Dieser große, umfassende Geist begnügte sich nicht mit dem Bau von Lokomotiven. Er beschäftigte sich auch mit der Ausbildung der Geleise, er erkannte die Notwendigkeit der ebenen Bahnstrecke und brachte die zögernden Zeitgenossen durch die Kraft seiner Persönlichkeit zum erstenmal dazu, mit gewaltigen Kosten einen großen, neigungslosen Schienenweg über Fluß und Moor hinweg, über Täler und durch Hügel hindurch anzulegen. Er bemühte sich, die physikalischen Gesetze, die im Eisenbahnbetrieb zur Anwendung kommen, zu durchforschen und ist so zum Begründer auch der Wissenschaft von der Eisenbahn geworden; durch ihn ist die Eisenbahnkunde für immer aus dem Urzustand herausgehoben worden, in dem sie nur von der rohen Erfahrung lernte.
Georg Stephenson wurde am 9. Juni 1781 zu Wylam bei Newcastle am Tyne in dem englischen Landesteil Northumberland geboren. Er wuchs inmitten dieser Kohlenkammer Nordenglands auf. Seine Umgebung bestand fast ausschließlich aus Arbeitern, die in den benachbarten Gruben beschäftigt waren. Der Vater Robert, genannt „der alte Bob“, war Heizer an der Pumpeinrichtung des Bergwerks zu Wylam. Er ist sein Leben lang über diese Stellung nicht hinausgekommen. Der kleine Georg hatte noch fünf Geschwister, und es fiel dem Vater äußerst schwer, nur den nackten Unterhalt für die vielköpfige Familie zu verdienen. Daher konnte er nicht daran denken, seine Kinder in die Schule zu schicken, und so kam es, daß der weltberühmte Erfinder noch als Jüngling weder lesen noch schreiben konnte.
Mit dem Verkehr kam der junge Stephenson schon früh in Berührung. Sein Geburtshaus, genannt das „Haus an der Landstraße“, lag an dem alten Postweg zwischen Newcastle und Hexham, der von Kutschen und Reitern lebhaft benutzt wurde. Auch die schon erwähnte Kohlenbahn, für die Trevithick eine Lokomotive gebaut hatte, führte in nächster Nähe vorüber. Als Georg mit acht Jahren als erste Aufgabe seines Lebens die Pflicht übernahm, die Herde einer Witwe zu hüten, war es seine Hauptaufgabe, die Kühe von dem Betreten der Geleise abzuhalten. Man zahlte ihm für diese Tätigkeit 18 Pfennig täglich.
Später verrichtete der Knabe als Kohlenausleser die niedersten Dienste auf der Wylamer Grube. Der Vater gesellte ihn sich dann als Hilfsheizer bei.
Wie Trevithick fühlte auch Stephenson sich schon in ganz jungen Jahren von den Maschinen lebhaft angezogen. Die Herstellung kleiner Modelle aus Lehm und Schilfrohr war sein liebstes Spiel, das Winken der eisernen Balanzier-Arme, das Zischen des Dampfs in den großen Maschinen lockte ihn unwiderstehlich zu bewundernder Betrachtung.
Durch mancherlei Hilfsleistungen, mit denen er den Wärtern beigesprungen war, gelang es ihm denn auch, mit 17 Jahren von dem niedrigen Kesseldienst fortzukommen und zum Maschinenburschen aufzusteigen. Als solcher hatte er die Pflicht, die Maschinen zu beaufsichtigen und rasch einen Ingenieur herbeizurufen, wenn etwas daran nicht in Ordnung war. Der junge Bursche nahm sofort jede Gelegenheit wahr, die Maschinen genau kennenzulernen, er überlegte sich, was notwendig wäre, um sie in regelmäßigem Lauf zu erhalten. Bald konnte er selbst beispringen, wenn irgend etwas auszubessern war, so daß man ihm erlaubte, solche Arbeiten auszuführen, ohne daß einer der leitenden Männer zugegen war.
Seine Hauptbeschäftigung aber war, am Schacht zu Water-Row den großen Aufzug zu bewachen und zu bedienen. Da die Kohlengefäße nur in größeren Abständen hinauf- und hinabgingen, so hatte Stephenson hier viele längere Ruhepausen. Er benutzte sie, um den Arbeitern die Schuhe auszuflicken und fertigte fleißig auch mancherlei Näharbeit an. Das Geld, das er auf diese Weise verdiente, setzte ihn in den Stand, eine Abendschule zu besuchen, wo er sich nun notdürftig die ersten Kenntnisse im Lesen und Schreiben verschaffte. Wie stolz war er, als er mit 19 Jahren seinen Namen schreiben konnte. Er kaufte jetzt ein paar Bücher und begann, sich ein wenig Bildung anzueignen.
Trotz seiner ärmlichen Verhältnisse, und weil er damals wohl glaubte, daß es ihm niemals sehr viel besser gehen würde, ging Stephenson bereits 1802 an die Gründung eines Hausstands. Er heiratete ein Dienstmädchen aus einem benachbarten Bauerndorf, Fanny Henderson mit Namen. Im folgenden Jahr wurde dem Paar ein Sohn geboren, der einer der größten Ingenieure Englands werden sollte. Robert Stephenson hat an dem großen Eisenbahnwerk seines Vaters mitgeschafft, es fortgesetzt und hat neben vielen anderen sehr bedeutenden Leistungen die für die damalige Zeit großartigsten und kühnsten Brückenbauten geschaffen.
Der Vater tat alles, um seinen Sohn Robert vor den Kümmernissen zu bewahren, die er selbst infolge seiner mangelnden Schulbildung hatte durchmachen müssen. Schon nach zweijähriger Ehe starb ihm die Gattin, und er zog nun nach Killingworth, wo er als einfacher Maschinenwärter Dienste nahm. Aber hier sollte endlich ein wenig Helligkeit in sein trübes Dasein kommen.
Auf der Grube war eine sehr große Pumpmaschine aufgestellt worden, die aber, als sie fertig war, die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllte. Es war unmöglich, sie in regelmäßigen Gang zu bringen. Zahlreiche Ingenieure hatten sich vergeblich darum bemüht. Da erbot der einfache Maschinenwärter Stephenson sich dazu, die Pumpe herzurichten. Man vertraute ihm das Werk an, weil man der Meinung war, daß an der Maschine doch nichts mehr zu verderben sei. Aber siehe da, schon nach vier Tagen lief die Pumpe wirklich, und da sie dauernd in Betrieb blieb, war den Grubenbesitzern eine große, bereits verloren gegebene Summe erhalten geblieben. Kein Wunder, daß sie den Retter in der Not reich belohnten und ihn zum Maschinenmeister aufsteigen ließen.
Stephenson erhielt nun häufig Aufträge zur Instandsetzung von Pumpwerken, und so war er bald in der Lage, seinen Sohn Robert fortab auf eine höhere Schule zu schicken. Rasch hatte dieser den Bezirk erreicht, bis zu dem das Wissen seines Vaters reichte. Es ist rührend, sich vorzustellen, wie nun Vater und Sohn allabendlich zusammensaßen, um gemeinschaftlich zu lernen und in gleicher Weise sich fortzubilden. Robert hat später die Universität in Edinburgh besucht, während der Vater immer sein eigener Lehrer geblieben ist.
Jene Rettungsarbeit an der widerspenstigen Pumpe ist als ein Wendepunkt im Leben des späteren großen Eisenbahnbauers zu bezeichnen. Der Vorgang ist zugleich ein treffender Beweis für die innere Unwahrheit der so häufig aufgestellten Behauptung, daß der Mensch, um etwas zu leisten, nicht nur Begabung, sondern auch Glück nötig habe. Dem ist nicht so. Das Glück hilft nicht der genialen Begabung, sondern diese zwingt das Glück herbei. Gewiß war es ein „Zufall“, daß die Ingenieure in Killingworth die große Pumpe nicht in Ordnung zu bringen vermochten. Aber wer vermöchte im Ernst zu bezweifeln, daß die reichen in Stephenson schlummernden Kräfte ihm auch bei vielen anderen Gelegenheiten die Möglichkeit gegeben hätten, sein Können zu offenbaren. Ein anderer jedoch als ein so Hochbegabter hätte jenen „Zufall“ nicht zu nutzen vermocht, für ihn wäre er gar kein Glücksfall gewesen, weil er nicht verstanden hätte, das rasch vorüberrollende Glück am Rockzipfel zu fassen. Es gilt nun einmal für alle solche Fälle das tiefe Wort des Mephistopheles:
Wie sich Verdienst und Glück verketten,
Das fällt den Toren niemals ein;
Wenn