Die Welt auf Schienen. Fürst Artur
Grube von Killingworth stieg Stephenson bald zur Stellung eines Ingenieurs auf. Seiner ganzen Veranlagung nach begnügte er sich, sobald er auf die Verhältnisse Einfluß zu nehmen vermochte, nicht mit dem Vorhandenen. Er sah, daß es notwendig sei, die Verkehrsverhältnisse in dem Grubenbezirk zu verbessern. Hierfür schien ihm das beste Mittel, die Pferde, welche die Kohlenzüge mühsam schleppten, durch Lokomotiven zu ersetzen. Nun lagen damals die Zeitverhältnisse noch nicht so, daß man irgendwo Lokomotiven bestellen konnte. Überall wurden erst Versuche gemacht, und niemand genoß ein so großes Vertrauen, daß man ihm ein solches Erzeugnis gern in Auftrag gegeben hätte. So war Stephenson gezwungen, für die Kohlenförderung auf der Grube von Killingworth selbst eine Lokomotive herzustellen, die erste, die er geschaffen.
Der künftige Vater des Eisenbahnwesens war 33 Jahre alt, als er jetzt zum erstenmal mit dem Gegenstand in Berührung kam, dem seine Lebensarbeit gehören sollte.
Eine eigenartige Schwierigkeit, die nicht technischer Natur war, stellte sich ihm bei diesem Vorhaben entgegen. Die eigentlichen Schlosser und Mechaniker weigerten sich, nach seiner Anordnung zu arbeiten. Sie wollten nicht unter dem früheren Kuhhirten und Schuhflicker stehen. So mußte er die Maschine durch Huf- und Grobschmiede zusammenbauen lassen, und es ist deshalb um so erstaunlicher, daß ihm überhaupt ein Dampfwagen gelang, der zu fahren vermochte. Das hierzu nötige Geld gab ihm Lord Ravensworth, der Hauptbesitzer der Grube.
Zu gleicher Zeit mit Hedley kehrte Stephenson in weiser Erkenntnis der Tatsachen zur glatten Schiene zurück, die nun zum Glück für die Entwicklung des Eisenbahnwesens nicht mehr verlassen wurde. Am 25. Juli 1814 machte die Lokomotive „Mylord“ ihre erste Fahrt. Sie wurde im folgenden Jahr von den Arbeitern, die damals von dem eben über die Franzosen bei Waterloo errungenen Sieg sehr begeistert waren, in „Blücher“ umgetauft.
Dieser „Mylord“ oder „Blücher“ war kein Meisterwerk. An dem recht minderwertig gearbeiteten Kessel waren sämtliche Ausrüstungsteile befestigt. Nirgends war eine Federung angebracht, so daß durch die heftigen Stöße beim Fahren leicht Brüche eintraten. Im Kessel wurden die heißen Feuergase sehr schlecht ausgenutzt, da nur ein einfaches Flammrohr vorhanden war, das von der Feuerung am Hinterende zum vorn angebrachten Schornstein hindurchging. Dies bedeutete einen Rückschritt, da schon vorher von vielen anderen Lokomotivbauern das rückkehrende Flammrohr angewendet worden war.
Die Maschine machte beim Fahren ein furchtbares Geräusch, so daß alle schreckerfüllt davonliefen, wenn das Ungeheuer herankam. Es stellte sich auch heraus, daß die Schnelligkeit der Lokomotive vor dem Kohlenzug nicht größer war als die von Pferden und daß sie auch keine Verringerung der Kosten brachte. Dabei erschien sie durch die angewendete Kesselspannung, die für die damalige Zeit hoch erschien, weit gefährlicher, denn Pferde können ja bekanntlich nicht zerbersten.
Stephenson erkannte, daß die schlechte Wirkung der Lokomotive in der Hauptsache dadurch entstand, daß die Heizfläche zu klein war, also nicht genügend Dampf erzeugt werden konnte. Um das Feuer lebhafter anzufachen, griff er nun eine Erfindung auf, die Trevithick bereits gemacht hatte. Er baute in seine Lokomotive ein Blasrohr ein. Der Lebensschilderer unseres Erfinders, Smiles, behauptet, daß hier die erste Anwendung des Blasrohrs unter voller Erkenntnis seiner Wirksamkeit vorläge. Trevithick habe sich noch zwei Jahre später eine besondere, außerhalb der Maschine liegende Vorrichtung patentieren lassen, um das Feuer seiner Lokomotive anzublasen. Wenn dies richtig ist, käme Stephenson also auch das Verdienst zu, das Blasrohr in den Lokomotivbau endgültig eingeführt zu haben. Wahrscheinlich gebührt die Ehre, diese Erfindung unter voller Erkenntnis ihrer Wirkung gemacht zu haben, aber doch Trevithick.
Die Wirkung des zugefügten Bauteils war sogleich sehr bedeutend. Dadurch, daß der mit großer Heftigkeit aus den Zylindern strömende Abdampf durch den engen Schornstein strich, riß er so viel Frischluft durch die Kesselfeuerung, daß diese sehr viel lebhafter brannte als vorher. Die Dampferzeugung war viel stärker, und die Kraft der Maschine verdoppelte sich.
Eine weitere Verbesserung, die Stephenson anbrachte, sollte die starken Stöße auf den Kessel mildern. Er befestigte an dem Rahmen der Maschine vier senkrechte Stangen, die oben Kolben trugen. Sie tauchten in vier Zylinder ein, denen aus dem Kessel Dampf zugeführt wurde; dieser sollte als Stoßdämpfer dienen. Die Bauform war recht verfehlt. Ein Abbremsen der Stöße trat kaum ein, aber die Dampfpuffer sind doch weiter benutzt worden, bis die sehr viel besser wirkenden stählernen Blattfedern erfunden waren.
Trotz all dieser Maßnahmen konnte aber die grundsätzliche Feindschaft gegen die Lokomotive immer noch nicht besiegt werden. Die Wirksamkeit der Maschine war in der Hauptsache beschränkt durch die Minderwertigkeit der gußeisernen Geleise. Stephenson blieb dieser Zusammenhang nicht verborgen; er erklärte schon damals, Schiene und Rad gehörten zusammen „wie Mann und Weib“. Deshalb beschäftigte er sich lebhaft mit der Verbesserung der Geleise, schuf günstigere Schienenformen und erfand kräftigere Verbindungen der Schienenstücke miteinander. Die gußeisernen Räder seiner Lokomotive ersetzte er durch schmiedeiserne, wodurch die Räder zugleich leichter und dauerhafter wurden.
Sein gedanklich immer tieferes Eindringen in das Wesen des Dampfeisenbahnbetriebs veranlaßte Stephenson im Jahre 1818, gemeinschaftlich mit Wood Untersuchungen über den Zusammenhang von Reibung und Schwere vorzunehmen, der ja für den Lokomotivbetrieb auf glatten Schienen von höchster Wichtigkeit ist. Er bestimmte die Größe des Widerstands, den Wagen auf Schienen erfahren, erkannte hierbei den Wert der ebenen Gleisführung und die ungünstige Einwirkung, den jede stärkere Steigung sofort auf die Zugkraft der Lokomotive ausübt. Diese Untersuchungen sind grundlegend für den gesamten Eisenbahnbau geblieben. Fortab verfocht Stephenson mit zähester Beharrlichkeit den Grundsatz, daß für Eisenbahnbauten aufgewendetes Geld niemals besser angelegt werden könne, als wenn man es zur Herstellung ebener Geleise verwendete.
In jene Zeit fällt auch eine sehr wichtige Erfindung Stephensons, die mit dem Eisenbahnwesen nichts zu tun hat, aber die Sinnesart dieses in jeder Beziehung großen Manns deutlich erkennen läßt. Als er noch Bremser am Schachtaufzug war, geschah im Jahre 1806 in der Grube, die er zu bedienen hatte, ein schweres Unglück infolge der Entzündung schlagender Wetter durch die unzweckmäßigen Lampen der Arbeiter. Zehn Bergleute wurden hierbei getötet. Drei Jahre darauf ereignete sich ein neues Unglück aus gleichen Ursachen, das zwölf Opfer forderte, und im Jahre 1812 ließ eine Entzündung schlagender Wetter in einem benachbarten Bergwerk gar neunzig Männer und Knaben durch Ersticken und Verbrennen umkommen. Stephensons Herz, das immer für die Not der Menschheit warm geschlagen hat, wurde durch diese Begebnisse schwer bedrückt. Er nahm sich vor, für die Bergleute eine Lampe zu schaffen, die nicht wie die bisherigen eine offen brennende Flamme haben sollte. Ohne alle wissenschaftliche Kenntnisse kam er auf denselben Gedanken, den fast zu gleicher Zeit der berühmte Chemiker Humphrey Davy seiner Sicherheitslampe für Bergleute zugrunde legte.
Unter häufiger Einsetzung seines Lebens machte Stephenson viele Versuche in Bergwerken voll gefährlicher Gase, bis er wirklich eine Bauform für die Lampe gefunden hatte, die volle Sicherheit gegen Entzündung schlagender Wetter bot. Es erhob sich ein Streit zwischen ihm und Davy um das Erstrecht an der Erfindung. Der berühmte Gelehrte, der sich auch später gegenüber dem neu aufkommenden Ruhm Faradays recht wenig edel benommen hat, ging sehr scharf gegen Stephenson vor. Er behauptete, daß dieser ihm die Erfindung gestohlen habe. Tatsächlich muß der Ruhm, den Bergleuten die so außerordentlich wichtige Sicherheitslampe geschenkt zu haben, heute beiden Männern zugesprochen werden. Durch eine von den Bergwerkbesitzern in Northumberland veranstaltete Sammlung erhielt Stephenson damals 20 000 Mark ausgezahlt.
In langsamem, geduldigem Ausbau wurden indessen die zu Killingworth in immer größerer Zahl arbeitenden Lokomotiven weiter entwickelt. Es hieß, vielen Schwierigkeiten gegenüber das neue Zugmittel durchzusetzen, aber Stephenson war doch allmählich so weit gekommen, daß an einen Ersatz der Dampfwagen durch Pferde nicht mehr gedacht wurde. Die Lokomotiven hatten sich bewährt, seit Jahren zogen sie in regelmäßiger Arbeit die schwersten Lasten, und ihr Betrieb war auch schon billiger geworden als der mit lebenden Zugkräften.
Merkwürdigerweise fanden diese so überaus wichtigen Vorgänge, die sich in Killingworth vollzogen, an keiner anderen Stelle irgendeine Beachtung. Die Grube war sehr abgelegen, keine der an der Entwicklung des Verkehrslebens beteiligten Persönlichkeiten kam dorthin. In der gleichen Zeit,