Die Welt auf Schienen. Fürst Artur

Die Welt auf Schienen - Fürst Artur


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Rad lief, je nach der Stellung der Weiche, gegen die Seitenfläche der einen oder der anderen Zwangsschiene und wurde so entweder auf das gerade oder auf das abzweigende Gleis hinübergedrückt – ein Vorgang, den man sich bei unseren heutigen Schnellzügen nicht ohne Beängstigung vorstellen kann.

      Dasjenige Bahnmaß, welches den größten Einfluß auf die Gestaltung der feststehenden und beweglichen Eisenbahnbauten ausübt, ist die Spurweite, das heißt der Abstand der Schienen eines Gleises, gemessen von Innenkante zu Innenkante des Kopfs. Von ihr sind die Ausmaße des Unterbaus und die zulässigen Krümmungen ebenso abhängig, wie die Breiten der Wagen und Lokomotiven. Um so eigenartiger ist es, daß die heute vorherrschende sogenannte Regelspur ohne rechte Überlegung mehr zufällig entstanden ist. Man kann dem blinden Schicksal, das hier obwaltete, kein Loblied singen. Wenn es denkbar wäre, die Spurweite der Bahnen heute noch zu ändern, so würde man zum mindesten für die Hauptbahnen einen breiteren Schienenabstand wählen. Insbesondere die Lokomotivbauer werden durch den geringen Raum, der ihnen in der Breite zur Verfügung steht, fortwährend in ihren Entwürfen behindert. Es fällt ihnen immer schwerer, neue Bauteile auf der Lokomotive unterzubringen.

      Nachdem im achtzehnten Jahrhundert bei den mit Pferden betriebenen Kohlenbahnen Spurweiten von einem halben Meter und weniger üblich gewesen, wurde für die im Jahre 1800 eröffnete Merthyr-Tydvil-Bahn in England eine Spur von 5 Fuß = 1,524 Meter gewählt; dieses Maß bedeutet hier den Abstand der Innenflächen, der an den Currschen Winkelschienen außen angeordneten Spurränder. Es wurde mit Rücksicht auf die Radabstände der in Nordengland damals gebräuchlichen Straßenfuhrwerke gewählt, denen die Möglichkeit gegeben werden sollte, die Bahn zu benutzen. Der Betrieb auf der Strecke mit dieser Spur muß sich wohl als recht günstig erwiesen haben, denn der gleiche Schienenabstand wurde beibehalten, als durch die Einführung der Jessopschen Pilzschiene Wagen mit Spurkranzrädern notwendig wurden, so daß ein Befahren der Geleise durch Straßenfuhrwerk nicht mehr möglich war. Stephenson wendete bei seinen ersten mit Lokomotiven befahrenen Bahnen die gleiche Spurweite an, deren Maß, das jetzt nicht mehr zwischen außen angeordneten Spurrändern, sondern zwischen Schieneninnenkanten anzulegen ist, 4 Fuß 6 Zoll = 1,372 Meter betrug. Als der Meister sich dann aber später beim Bau seiner Lokomotiven in der Fabrik zu Newcastle in dem Raum zur Unterbringung der Dampfzylinder sehr beengt sah, erweiterte er, nach Haarmann, die Spur der von ihm zu erbauenden Bahnen, so auch bereits bei der Strecke Stockton-Darlington, um 212 Zoll. Auf diese Weise entstand die heutige Regelspur von 4 Fuß 812 Zoll = 1,435 Meter. Ihre Ausbreitung von England über viele andere Länder, zu denen auch Deutschland gehörte, geschah dadurch, daß in der Anfangszeit des Eisenbahnbaus fast sämtliche Lokomotiven aus Newcastle bezogen wurden.

      Ganz ohne Kampf aber konnte sich die Regelspur doch nicht durchsetzen. Der berühmte Erbauer des ersten Tunnels unter der Themse, Isambart Kingdom Brunel, befürwortete im Jahre 1833 bei der Erbauung der Großen Westbahn dringend eine größere Spurweite, weil er hoffte, daß man auf dem breiteren Gleis mit den hierauf möglichen geräumigeren Lokomotivkesseln eine höhere Geschwindigkeit würde erreichen können. Stephenson sprach sich in einem Gutachten dagegen aus. Dennoch wurde die Große Westbahn mit einer Spur von 7 Fuß = 2,135 Meter angelegt.

      Diesem Beispiel folgten drei andere Bahnen in England und Irland. Und bald griff das böse Beispiel so weit um sich, daß, nach Launhardt, schließlich in Großbritannien 70 verschiedene Spurweiten vorhanden waren. Die Abmessungen bewegten sich zwischen der 59 Zentimeter breiten Spur der Bahn von Festiniog nach Port Madoc und der Spur von 2,135 Meter auf der Großen Westbahn. Es wurde schließlich notwendig, dem immer fühlbarer werdenden Übel durch die Gesetzgebung ein Ende zu machen. Der Spur-Ausschuß des Parlaments setzte fest, daß in England und Schottland keine Bahn mehr mit einer anderen als der Regelspur gebaut werden dürfe. Jede Gesellschaft, die eine andere Spurweite anwende, habe eine Strafe von 125 Mark für jedes Kilometer und für jeden Tag ihres Bestehens zu bezahlen. Ja, der Staat erhielt das Recht, solche Eisenbahnen einfach beseitigen zu lassen. Für die Insel Irland wurde die Spur von 1,6 Meter vorgeschrieben, wie sie dort noch heute besteht.

      Seltsamerweise durfte aber die Große Westbahn ihre breitere Spur noch beibehalten. Sie sah sich zwar schließlich genötigt, eine dritte Schiene zur Ermöglichung des Durchgangsverkehrs einzulegen, beseitigte jedoch die letzte Breitspurstrecke erst im Jahre 1892.

      In Amerika versuchte man gleichfalls hier und da die Breitspur. Sie hatte dort jedoch keinen großen Erfolg. Überall wurde der breitere Schienenabstand bald wieder zur Regelspur umgebaut. Im Jahre 1871 brachte eine kanadische Bahn das echt amerikanische Kunststück fertig, ihre 547 Kilometer lange Strecke durch ein Arbeiterheer von 2720 Mann an einem einzigen Tag umzulegen.

      Deutschland blieb von dem Kampf der Spurweiten glücklicherweise fast völlig verschont. Die badischen Bahnen, die Anfang der dreißiger Jahre ein Spurmaß von 1,8 Meter hatten, fügten sich bald dem üblichen ein.

      Breitspur haben heute in Europa nur die Bahnen in Rußland (1,524 Meter) und in Spanien und Portugal (1,676 Meter).

      Bei der Entwicklung des Eisenbahngleises ist von den Ingenieuren kühne und rasche Arbeit geleistet worden. Mit Fleiß und Ausdauer wurde immer von neuem versucht, die vorhandenen Fehler zu beseitigen, jeder neue Gedanke ward erprobt und, wenn er irgend brauchbar war, ausgestaltet. Trotz alledem ist die eigentümliche Tatsache zu beobachten, daß der an sich so einfache technische Gegenstand, den das Eisenbahngleis darstellt, noch heute, nach mehr als neun Jahrzehnten der Entwicklung, von der Vollkommenheit sehr weit entfernt ist. Eigentlich probt und bastelt man an den verschiedenen Bauarten heute noch geradeso herum wie zu Stephensons Lebzeiten.

      Das Gleis ist ja eigentlich nichts anderes als eine Brücke mit sehr engen Jochen. Während aber bei den großen, weit gespannten Brücken über Flüsse oder Täler vollkommen zufriedenstellende Festigkeitsergebnisse erreicht sind, ist das bei der Gleisbrücke nicht der Fall. Der Grund liegt darin, daß die Kräfte, durch welche die Brückenpfeiler beansprucht werden, der Berechnung verhältnismäßig leicht zugänglich sind. Das Gleis aber liegt nicht fest auf seiner Unterlage, sondern in nachgiebiger Bettung; die Joche erhalten an den Schienenstößen fortwährend furchtbare Schläge, deren Kraft man nicht kennt, so daß hier immer wieder nur die nackte Erfahrung maßgeblich ist. Die Hoffnung, zu einer endgültigen Form des Eisenbahngleises zu gelangen, ist auch heute noch sehr gering. Das hat aber nicht den ungeheuren Fortschritt gehindert, den das Stellen der Fahrzeuge auf die eiserne Bahn der Menschheit gebracht hat.

      6. Eisenbahnfrühling in Deutschland

      Unser Vaterland war in seiner Gestaltung nach den Freiheitskriegen nicht dazu geeignet, eine so neue und großartige Einrichtung, wie Stephenson sie geschaffen hatte, rasch aufzunehmen und bei sich zu entwickeln. Ein Großgewerbe gab es damals in deutschen Landen überhaupt noch nicht; der Ackerbau war vorherrschend.

      Niemals hatte die Kleinstaaterei in üppigerer Blüte gestanden. Jedes der kleinen und kleinsten Ländchen schloß sich gegen das andere ab, wollte sich großtun, wollte ein Mittelpunkt sein. Gegen alle Vernunft und selbst gegen den eigenen Nutzen wurde in jedem Ländle ein Verkehrsschwerpunkt hochgezüchtet, der eigentlich gar keiner war, und durch diese künstliche Stauung konnte ein natürliches Fließen der Verkehrsgegenstände überhaupt nicht eintreten.

      Zu dieser Mißgestalt des wirtschaftlichen Lebens gesellten sich die kümmerlichen politischen Zustände. Es war die Zeit des schärfsten Rückschritts in Deutschland. Der Geist Metternichs und der Heiligen Allianz erdrückte jede freiheitliche Regung. Die Regierungen waren ängstlich darum besorgt, das Selbstherrschertum gegen das immer dringendere Begehren des Volks nach Mitwirkung bei der Lenkung des Staats zu schützen, und sie wandten sich voller Scheu von jeder frischen Neuerung ab, weil der damals herrschende Geist nur in dumpfen Stuben zu gedeihen vermochte.

      Der Eisenbahngedanke aber bedarf, um sich entwickeln zu können, eines weiten Wirkungsfelds, einer großen, geschlossenen Wirtschaftsgemeinschaft und zukunftsfreudiger Seelen. So ist es denn kein Wunder, daß die Anlage der ersten Schienenwege in Deutschland ohne rechten Plan erfolgte und daß die einzelnen Glieder vorerst gar keinen Zusammenhang miteinander hatten. Ganz ließ sich trotz der redlichen Bemühungen aller rückschrittlich Gesinnten die große neue Erfindung nicht fernhalten. Denn auch in dem damaligen Deutschland lebten Männer, die im Innersten ihres Herzens


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