Die Welt auf Schienen. Fürst Artur
als die Durchfahrten durch Tunnels sind die Begegnungen der mit voller Geschwindigkeit auf offener Bahn aneinander vorüberfliegenden Züge. Die fast planetarische Schnelligkeit ihres Laufs, die erschreckende Nähe, ja anscheinende Identität der eisernen Bahnen, in denen sich diese Meteore zu bewegen scheinen, führen die Möglichkeit eines Zusammenstoßes mit allen seinen entsetzlichen Konsequenzen in erschreckender Weise vor Augen. Diese Furcht dauert aber nur einen Augenblick. Erblicken des entgegenkommenden Zugs, aneinander vorbeifliegen und wieder fern voneinander sein, ist nur Sache eines Moments.“
In Deutschland erschien bereits im Jahre 1832 ein Buch mit dem Titel „Das größte Wunderwerk unserer Zeit oder die Eisenbahn für Dampfwagen zwischen Liverpool und Manchester in England“. Der Titel dieses bei Friedrich Campe in Nürnberg gedruckten und mit prächtigen Kupferstichen gezierten Werks zeigt deutlich das Verständnis, das man auch bei uns dem Begebnis in England entgegenbrachte. Die hier wiedergegebenen Abbildungen von der Manchester-Liverpool-Bahn sind zu einem großen Teil diesem Buch entnommen.
Der Erfolg der Bahnstrecke überstieg rasch alle Erwartungen. Wenn auch der Güterverkehr nicht sofort mit voller Stärke einsetzte, so machte sich doch alsbald ein Sinken der Steinkohlenpreise in jener Gegend bemerkbar. Eine Hebung der gesamten Gewerbtätigkeit schloß sich daran. Der Gewinn, den die Bahn selbst abwarf, ging über die gehegten nicht geringen Erwartungen schon bald um 20 000 Pfund Sterling jährlich hinaus.
Für Ländereien, die in der Nähe der Bahn lagen, wurden sogleich weit höhere Preise gezahlt als bisher, was ja einer später in allen Teilen der Erde bemerkbaren Einwirkung der Eisenbahnen entspricht. Die stolzen Lords, die sich so feindselig gegenüber dem neuen Verkehrsmittel verhalten hatten, bedauerten nun lebhaft, daß der Schienenweg fern ab von ihren Besitztümern lag. Lord Derby und Lord Sefton bemühten sich nicht viel später lebhaft darum, eine zweite Eisenbahnverbindung zwischen Manchester und Liverpool zustande zu bringen aber nur unter der Bedingung, daß die Geleise diesmal durch ihre Güter geführt würden. Eisenbahnvermessungsbeamte sind fortab nirgends mehr mit Steinen beworfen worden.
Ganz besonders lebhaft aber war der Zustrom von Fahrgästen zu der Eisenbahn. Jedermann wunderte sich, wo denn plötzlich die zahllosen Fahrlustigen herkamen. Die Erklärung ist recht einfach: das großartige, bequeme Verkehrsmittel hatte den Verkehr hervorgerufen. Zwar gab es immer noch genug Menschen, die sich vor dem rasselnden und feuerspeienden Ungeheuer auf den Schienen fürchteten, doch ihre Zahl wurde rasch geringer. Zwei Ingenieure aus Edinburgh, Greinger und Buchanan, welche die neue Eisenbahn besichtigten, konnten sich, nach Smiles, gar nicht genug darüber wundern, daß man hier angenehmer und bequemer fahre als auf der Landstraße. Voll Erstaunen sagten sie in ihrem Bericht: „Selbst als die Geschwindigkeit volle 40 Kilometer in der Stunde erreicht hatte, konnten wir sehen, wie die Reisenden, unter denen sich viele Damen befanden, mit größter Kaltblütigkeit sich unterhielten.“
Der außerordentliche Erfolg der „Rakete“ genügte Stephenson noch nicht. Sein lebhaft strebender Geist dachte an kein Ausruhen. Kraftvoll und rastlos widmete er sich der weiteren Ausbildung der Lokomotive in seiner immer mehr aufblühenden Fabrik zu Newcastle. Jede Maschine, die das Werk verließ, trug eine neue Verbesserung, so daß der Lokomotivbetrieb immer sicherer und zuverlässiger wurde.
Dieses und der geldliche Erfolg der Manchester-Liverpool-Bahn bewirkten, daß sich nun in England allenthalben Aktiengesellschaften zur Errichtung und zum Betrieb von Eisenbahnen bildeten. Jede von ihnen suchte Stephenson als Mitarbeiter zu gewinnen. Es brach ein wahres Eisenbahnfieber in dem Inselreich aus. Jede größere Stadt wollte die Wohltaten des Schienenwegs sich zunutze machen. Manchester, das ja allen um einen wichtigen Schritt voraus war, wurde alsbald der Mittelpunkt eines ganzen Schienennetzes.
Als die Hauptstadt London daran ging, ihre erste Bahn zu bauen, die nach Birmingham lief, wurden Georg und Robert Stephenson auch hierhin als leitende Ingenieure berufen. Es war für sie eine ehrenvolle Aufgabe, die aber auch viele neue Schwierigkeiten brachte. War doch für diese Strecke der Bau einer ganzen Reihe von Tunneln notwendig. Dabei kamen den Stephensons ihre Erfahrungen auf den Steinkohlengruben in Northumberland lebhaft zustatten.
Als man die ersten längeren Tunnel zu bauen begann, gab es wiederum vielerlei ängstliche Bedenken. Selbst bedeutende Ärzte meinten, der furchtbare Lärm, die von Rauch erfüllte Luft und der plötzliche Wechsel von hell und dunkel müßten die Gesundheit der Reisenden arg gefährden. Die Tatsachen haben dann bald auch diese Einwände widerlegt.
Als die Herstellung neuer Bahnlinien immer lebhafter betrieben wurde, begründete Stephenson in London eine Niederlassung, in der Rat erteilt und Pläne angefertigt wurden. Sehr viel große Eisenbahnbauten sind von hier aus entworfen und ausgeführt worden. Bis zum Jahre 1836 war in England die Bauerlaubnis für Eisenbahnen im Wert von 80 Millionen Pfund Sterling erteilt. 1856 waren 14 000 Kilometer in Betrieb.
Im Jahre 1835 berief König Leopold I. von Belgien den großen Eisenbahningenieur in sein Land, um ihn für die Erbauung von Bahnen in dem Königreich zu Rate zu ziehen. Zehn Jahre darauf reiste Stephenson nach Spanien, das ebenfalls mit dem Bau von Bahnen beginnen wollte. Von dort her kam er leidend zurück und hat sich nie wieder ganz erholt.
In den letzten Jahren seines Lebens zog sich Stephenson daher von allen Geschäften zurück und lebte ruhig auf seinem Besitztum Taptonhouse. Neben der Leitung seiner Kohlengruben und Kalkbrennereien widmete er sich hier ausschließlich dem Gartenbau. Insbesondere war die Zucht von Südfrüchten seine größte Leidenschaft. Er besaß riesige Treibhäuser, in denen er große Ananas und Ähnliches zog. Fast rührend ist es, den Überwältiger ungeheurer Hindernisse bei der Bemühung zu sehen, Gurken zu einem geraden Wuchs zu veranlassen. Wenn ihm das durch mancherlei Maßnahmen einmal gelang, so hatte er seine größte Freude daran.
Georg Stephenson starb, 67 Jahre alt, am 12. August 1848. Er wurde in der Dreifaltigkeitskirche zu Chesterfield beigesetzt. Das Donnern der Eisenbahnzüge durch viele Länder, dieses Tönen, das der Menschheit so viel Heil gebracht hat, war seine Grabmusik.
5. Geschichte des Gleises
Erst die Vereinigung von Lokomotive und eisernem Gleis ergibt die Eisenbahn. Keines der beiden vermag ohne das andere allzuviel Nutzen zu bringen. Das bloße Gleis ist nicht mehr als eine Vorrichtung zur Erleichterung des Fahrens ohne die Befähigung, Schnelligkeit zu verleihen. Die Lokomotive auf der Landstraße gleicht einem Schwimmvogel, der, auf das Land gesetzt, unbeholfene Bewegungen vollführt. Beide Bestandteile zusammengebracht aber verwandeln sich zu einem völlig neuen Ganzen mit großartigen Eigenschaften. Dies ist ein Vorgang, der jenem in der Chemie gleicht, wenn das giftige Chlor und das bei Berührung mit Feuchtigkeit brennende Natrium zum Kochsalz sich vereinigen, das für den Menschen unentbehrlich ist.
Gerade wie der Jüngling und das Mädchen, die später ein Paar werden sollen, heranwachsen, ohne einander zu kennen, so haben sich auch das Schienengleis und die Lokomotive getrennt voneinander entwickelt, sie, die doch schließlich, nach Stephensons bereits erwähntem Ausspruch „Mann und Weib“ geworden sind. Liebevoll wurden sie an verschiedenen Orten gehegt und gefördert, und erst als man glaubte, daß jedes von ihnen eine genügende Reife erlangt hätte, tat man sie zusammen. Aber auch hier gab es, wie das ja bei den Menschen gleichfalls manchmal vorkommen soll, einige Zeit nach der Hochzeit mancherlei Verdrießlichkeiten, was uns aus der Schilderung von Trevithicks Wirken bereits bekannt ist. Erst nach längerer Zeit, als beide gesetzter geworden waren, gewöhnten sich die Gatten aneinander; und als sie um die letzte Jahrhundertwende die eiserne Hochzeit begehen konnten, da vermochten sie auf ein gemeinschaftliches Lebenswerk von unerhörter Großartigkeit zurückzublicken.
Nachdem wir in den vorhergehenden Abschnitten die Entwicklung der Lokomotive bis zum Sieg der „Rakete“ beim Wettkampf zu Rainhill verfolgt haben, liegt es nun ob, den Werdegang des Gleises zu betrachten. Hierbei werden wir ein Stück weiter in das neunzehnte Jahrhundert vordringen müssen, da das Gleis um ein beträchtliches später seiner heutigen Form sich näherte als die Lokomotive.
Häufig wird angenommen, daß bereits die Griechen zur klassischen Zeit Geleise gekannt haben. Es ist aber unsicher, ob die Rillen, die sich tatsächlich auf den steinernen Wegen für die Opferfahrzeuge befunden haben, nicht unbeabsichtigt durch die schleifende Wirkung der Räder entstanden sind. Bestenfalls könnte es sich hier immer nur um eine vertiefte Spur handeln, die mit dem heutigen