Reise eines Erdbewohners in den Mars. Geiger Carl Ignaz
und von der Art zu überreden, wie wir hieher gekommen waren. Waren sie erstaunt über einen fremden bewohnten Planeten: so waren sie es itzt nicht weniger über unsere Erfindungskraft, unsern Muth und unsere Wißbegierde, die uns zu diesem tiefgedachten, gefahrvollen Unternehmen veranlassen konnten.
Der Vornehmste darunter führte uns in sein Haus, und bat uns hier zu verziehen: indeß er mit den übrigen hinging, dem Hochgewaltigen von dem, was er gehört hatte, Bericht zu geben.
Er kam lange darnach wieder, und sagte uns, daß der Hochgewaltige morgen nach dem Aufstehen uns zu sprechen verlange. Hierauf war er so gefällig, und erbot sich, uns das Merkwürdigste des Ortes zu zeigen. Wir nahmen das Anerbieten mit Dank an, und er führte uns in den Tempel.
Es war ein weites, längliches Rondel; rings umher waren Opferaltäre. Wir fragten, wem hier geopfert würde?
Der Priester. Dem Herrn der Heerschaaren, dem Wesen aller Wesen, dem Schöpfer des Himmels und der Welt.
Wir. Was opfern Sie ihm?
Priester. Ihn selbst!
Wir stutzten. „Sie müssen wissen – sprach der Mann, mit Stolz und Feuer – daß wir, die Priester dieses Gottes – die Gewalt besitzen, unsern Gott, wann es uns beliebt, vom Himmel herab zu bannen.“ Wir erschraken!
Ich. Aber wie opfern Sie ihn dann?
Er. Wir essen ihn Wir sahen uns an, und wußten nicht, ob wir über die Raserei lachen, oder über die Vermessenheit zürnen sollten. Ist dieß möglich? riefen wir alle voll Erstaunen: also ist Ihr Gott ein körperliches Wesen?
Er. Er war es ehemals, als er auf unsere Welt kam, und wird es auf unser Gebot wieder, so oft wir ihn opfern.
Ich. Folglich ist er auch sichtbar? und wie zeigt er sich denn?
Er. Er ist weder sichtbar, noch zeigt er sich.
Ich. Und doch essen Sie ihn? und doch ist er in dem Augenblick ein körperliches Wesen? Erlauben Sie uns, zu fragen: wie sich dieß vereinbaren läßt, und woher Sie wissen, daß Sie etwas essen, das nicht sichtbarlich ist, und sich keinem Ihrer Sinne zeigt?
Er, mit einem feierlichen Anstande. Meine Herren! dieß sind heilige Geheimnisse unserer Religion, woran ein Mensch nicht zweifeln darf, wenn er nicht die Rache seines Gottes über sein Haupt laden will. Die Religion befiehlt, zu glauben – und dieß ist der zureichende Grund, gegen den die Vernunft sich zu empören nicht wagen darf.
Ich. Verrichten Sie dieß Opfer öfter im Jahre? und welche sind diese Feste?
Er. Jeder von uns an jedem Orte, so weit unsere heil. Religion reicht, verrichtet es gewöhnlich alle Tage einmal.
Ich, ganz erstaunt. Jeder alle Tage einmal! Ihr Gott muß also sein körperliches Wesen jeden Augenblick mehr als tausendmal vervielfältigen, um beständig Ihrem Gebote gehorsam, an mehr als tausend Orten, zu gleicher Zeit hernieder zu kommen? Wie ist dieß möglich?
Er. Dieß ist eben das große Wunder, das unbegreifliche Geheimniß unserer heil. Religion.
Ich. Man muß wenigstens gestehen, daß ihr Gott ausserordentlich gefällig und herablassend ist – Aber Sie sagten auch vorhin, daß er ehemals auf Ihrer Welt körperlich herum gewandelt sei. Hat ihn jemand unter Ihnen gekannt?
Er. Bewahre! Es sind seither schon mehr als fünfhundert Jahre1 verflossen: so alt wird bei uns niemand.
Ich. Woher wissen Sie’s dann also?
Er. Verschiedene seiner Freunde, die mit ihm zu gleicher Zeit lebten, haben uns die Zeugnisse davon in einem großen Buche hinterlassen, worin sie seine Thaten und Reden hienieden aufzeichneten, und wovon das geringste zu bezweiflen, Sünde wäre – in einem Buche, dessen Ansehn und Glaubwürdigkeit göttlich, d. h. untrüglich ist, und welches wir, in zweifelhaften Fällen, auszulegen alleine Macht von Gott haben.
Ich. Allen Respekt vor diesem Buche, das Freunde schrieben – und Priester auslegen – Aber wie kam dann Ihr Gott auf Ihre Welt?
Er. Er ward durch eine Jungfrau, gemeinen Standes, geboren, die versicherte: daß er nicht von einem Manne, sondern von der Kraft des Himmels in ihr gezeugt worden war, und daß ein Engel in der Abenddämmerung ihr es vorher verkündigt, worauf sie gleich empfangen habe; und zwar ohne Verletzung ihrer Jungferschaft: und eben so unverletzt gebar sie!
Ich. Sonderbar! also nicht durch den natürlichen Weg?
Er. Wie anders?
Vielleicht, dacht’ ich, ist hier das weibliche Geschlecht anders, als bei uns, beschaffen. Da ich aber meine Neugierde darüber nicht geradezu äußern wollte: so fragt’ ich durch Umwege.
Ich. Aber sagen Sie uns doch zur Güte, wie haben wir dies zu verstehen: durch Kraft des Himmels empfangen, und ohne Verletzung der Jungfrauschaft gebären?
Er, mit einer andächtigen Zuckung. Das ist eben wieder das heilige, unerforschliche Geheimniß, vor dem wir unsere schwache Vernunft tief beugen müssen.
Ich. Woher wußte man aber dann, daß alles, was diese gemeine Weibsperson sagte, so pünktlich wahr sei? War etwa die Erscheinung und die Verkündung des Engels von Zeugen gesehn und gehört – war die Jungfrauschaft nach der Geburt untersucht worden??
Er, hitzig mit rollendem Auge. Gott bewahre! was denken Sie? Aber der Herr mag Ihrer Unwissenheit vergeben: sonst würden Sie schwere Verantwortung über das schändliche Mißtrauen und über die Unehrerbietigkeit zu geben haben, die Sie gegen seine göttliche Mutter bezeigen.
Ich entschuldigte mich mit meiner unschuldigen Absicht und meiner Unwissenheit, und fuhr fort: Was machte dann Ihr Gott auf Ihrer Welt? und was bewog ihn, auf so sonderbare Weise sich einzustellen?
Er. Das Selenheil aller Menschen!
Ich. So verwundre ich mich, daß er nicht auch auf unsern Planeten kam: da wir doch auch Menschen sind. Aber ich bitte, mir dies etwas deutlicher zu machen.
Er, indem er die Augbraunen hoch aufzog, und einen frommen Blick daraus gen Himmel schoß. Gott war wegen der Sünde eines Menschen, des Stammvaters, gegen das ganze Geschlecht aller Nachkommen so sehr ergrimmt: daß er sie alle ewig zu verderben drohte.
Ich. Schröcklich! ist dann Ihr Gott nicht gerecht, nicht barmherzig?
Er. Wer zweifelt?
Ich. Und er konnte doch so rachgierig gegen eine ganze unschuldige Nachkommenschaft seyn, die für die Schwachheit ihres Stammvaters nicht das Geringste konnte?
Er, ernsthaft und mit verbissenem Zorne. Die Rathschlüsse Gottes, mein Herr! sind unerforschlich; und es kömmt uns kurzsichtigen Menschen nicht zu, darüber zu richten. – Kurz; der Sohn Gottes übernahm es daher —
Ich. Ihr habt also mehrere Götter?
Er. Keineswegs; sie sind eins.
Ich. Aber der Vater kann ja unmöglich der Sohn, und der Sohn unmöglich der Vater sein!
Er. Das sind wieder Geheimnisse unserer heil. Religion, die der schwache Menschenverstand nicht ergründet. Der Sohn Gottes, sag ich, übernahm es daher, den Vater zu versöhnen.
Ich. Das war schön von Eurem Sohne Gottes. Aber warum kam er deswegen auf Eure Welt? War dann der Vater, den er versöhnen wollte, nicht im Himmel?
Er. Wohl, da war er. Aber die Versöhnung mußte hienieden vollbracht werden, und zwar – so war es von Gott beschlossen – durch den grausamsten Tod seines Sohnes!
Wir alle voll Entsetzen. Wie? Was?
Er.
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Ein Jahr im Mars macht 3½ Jahre der Unsrigen.