Der Zauberberg. Volume 2. Томас Манн

Der Zauberberg. Volume 2 - Томас Манн


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sagte er mit schleppendem Akzent:

      "Man höre den Voltairianer, den Rationalisten. Er lobt die Natur, weil sie uns auch bei fertilster Gelegenheit nicht mit my-stischen Dämpfen verwirrt, sondern klassische Trockenheit wahrt. Wie hieß doch die Feuchtigkeit auf lateinisch?"

      "Der Humor", rief Settembrini über die linke Schulter, "der Humor in der Naturbetrachtung unseres Professors besteht dar-in, daß er, wie die heilige Katharina von Siena, an die Wunden Christi denkt, wenn er rote Primeln sieht."

      Naphta erwiderte:

      "Das wäre eher witzig als humoristisch. Aber es hieße im-merhin Geist in die Natur tragen. Sie hat es nötig."

      "Die Natur", sagte Settembrini mit gesenkter Stimme und nicht mehr völlig über die Schulter hinweg, sondern nur noch an ihr hinunter, "hat Ihren Geist durchaus nicht nötig. Sie ist selber Geist."

      "Sie langweilen sich nicht mit Ihrem Monismus?"

      "Ah, Sie geben also zu, daß es Vergnügungssucht ist, wenn Sie die Welt feindlich entzweien, Gott und Natur auseinanderreißen!"

      "Es interessiert mich, daß Sie Vergnügungssucht nennen, was ich im Sinne habe, wenn ich Passion und Geist sage."

      "Zu denken, daß Sie, der große Worte für so frivole Bedürfnisse setzt, mich manchmal einen Redner nennen!"

      "Sie bleiben dabei, daß Geist Frivolität bedeutet. Aber er kann nichts dafür, daß er von Hause aus dualistisch ist. Der Dualismus, die Antithese, das ist das bewegende, das leidenschaftliche, das dialektische, das geistreiche Prinzip. Die Welt feindlich gespalten sehen, das ist Geist. Aller Monismus ist langweilig. Solet Aristoteles quaerere pugnam."

      "Aristoteles? Aristoteles hat die Wirklichkeit der allgemeinen Ideen in die Individuen verlegt. Das ist Pantheismus."

      "Falsch. Geben Sie den Individuen substantiellen Charakter, denken Sie das Wesen der Dinge aus dem Allgemeinen fort in die Einzelerscheinung, wie Thomas und Bonaventura es als Ari-stoteliker taten, so haben Sie die Welt aus jeder Einheit mit der höchsten Idee gelöst, sie ist außergöttlich und Gott transzen-dent. Das ist klassisches Mittelalter, mein Herr."

      "Klassisches Mittelalter ist eine köstliche Wortverbindung!"

      "Ich bitte um Entschuldigung, aber ich lasse den Begriff des Klassischen statthaben, wo er am Platze ist, das heißt, wo immer eine Idee auf ihren Gipfel kommt. Die Antike war nicht immer klassisch. Ich stelle eine Abneigung gegen die … Freizügigkeit der Kategorien bei Ihnen fest, gegen das Absolute. Sie wollen auch nicht den absoluten Geist. Sie wollen, der Geist, das sei der demokratische Fortschritt."

      "Ich hoffe uns einig in der Überzeugung, daß der Geist, so absolut er sei, niemals den Anwalt der Reaktion wird machen können."

      "Er ist jedoch immer der Anwalt der Freiheit!"

      "Jedoch? Freiheit ist das Gesetz der Menschenliebe, nicht Nihilismus und Bosheit."

      "Wovor Sie offenbar Angst haben."

      Settembrini warf den Arm über den Kopf Das Geplänkel brach ab. Joachim blickte verwundert von einem zum andern, während Hans Castorp mit hochgezogenen Brauen auf seinen Weg niedersah. Naphta hatte scharf und apodiktisch gesprochen, wiewohl er es gewesen war, der die weitere Freiheit verfochten hatte. Besonders seine Art, mit "Falsch!" zu widersprechen, beim "Sch"-Laut die Lippen vorzuschieben und dann den Mund zu verkneifen, war unangenehm. Settembrini hatte ihm teils auf heitere Weise Widerpart gehalten, teils auch eine schö-ne Wärme in seine Worte gelegt, etwa dort, wo er zur Einigkeit in gewissen Grundgesinnungen gemahnt hatte. Jetzt, während Naphta schwieg, begann er, den Vettern die Existenz des ihnen Fremden zu erläutern, womit er dem Bedürfnis nach Aufklä-rung entgegenkam, das er nach seinem Wortwechsel mit Naphta bei ihnen voraussetzte. Dieser ließ es geschehen, ohne sich dar-um zu kümmern. Er sei Professor der alten Sprachen in den obersten Klassen des Fridericianums, erklärte Settembrini, in-dem er den Stand des Vorzustellenden nach italienischer Art möglichst pomphaft herausstrich. Sein Schicksal sei dem seinen, Settembrinis eigenem, gleich. Durch seinen Gesundheitszustand vor fünf Jahren heraufgeführt, habe er sich überzeugen müssen, daß er des Aufenthaltes für lange Frist bedürftig sei, habe sein Sanatorium verlassen und sich privat-ansässig gemacht, bei Luka-çek, dem Damenschneider. Des hervorragenden Latinisten, Zöglings einer Ordensschule, wie er sich etwas unbestimmt ausdrückte, habe sich klugerweise die höhere Lehranstalt des Ortes als eines Dozenten versichert, der ihr zur Zierde gerei-che … Kurz, Settembrini erhob den häßlichen Naphta nicht wenig, obgleich er doch eben noch etwas wie einen abstrakten Streit mit ihm gehabt, und obgleich dieser streitähnliche Wort-wechsel sich sogleich fortsetzen sollte.

      Settembrini ging nämlich jetzt dazu über, Herrn Naphta Er-läuterungen über die Vettern zu geben, 'wobei sich übrigens zeigte, daß er ihm schon früher von ihnen erzählt hatte. Dies sei also der junge Ingenieur mit den drei Wochen, bei dem Hofrat Behrens eine feuchte Stelle gefunden habe, sagte er, und dies hier jene Hoffnung der preußischen Heeresorganisation, Leut-nant Ziemßen. Und er sprach von Joachims Gemütsempörung und Reiseplänen, um hinzuzufügen, daß man dem Ingenieur zweifellos zu nahe treten würde, wenn man ihm nicht dieselbe Ungeduld zuschiebe, zur Arbeit zurückzukehren.

      Naphta verzog das Gesicht. Er sagte:

      "Die Herren haben da einen beredten Vormund. Ich hüte mich, zu bezweifeln, daß er Ihre Gedanken und Wünsche zu-treffend verdolmetscht. Arbeit, Arbeit – , ich bitte, gleich wird er mich einen Feind der Menschheit schelten, einen inimicus hu-manae naturae, wenn ich es wage, an Zeiten zu erinnern, wo er mit dieser Fanfare den gewohnten Effekt durchaus nicht erzielt hätte, nämlich an Zeiten, wo das Gegenteil seines Ideals in un-vergleichlich höheren Ehren stand. Bernhard von Clairvaux et-wa lehrte eine andere Stufenfolge der Vollkommenheit, als Herr Lodovico sie sich je hat träumen lassen. Wollen Sie wis-sen, welche? Sein unterster Stand befindet sich in der 'Mühle', der zweite auf dem 'Acker', der dritte und lobenswerteste aber – hören Sie nicht zu, Settembrini – , 'auf dem Ruhebett'. Die Mühle, das ist das Sinnbild des Weltlebens, – nicht schlecht ge-wählt. Der Acker bedeutet die Seele des weltlichen Menschen, darauf der Prediger und geistliche Lehrer wirkt. Diese Stufe ist schon würdiger. Auf dem Bette aber –"

      "Genug! Wir wissen!" rief Settembrini. "Meine Herren, jetzt wird er Ihnen Zweck und Gebrauch des Lotterbettes vor Augen führen!"

      "Ich wußte nicht, daß Sie prüde sind, Lodovico. Wenn man Sie den Mädchen zuzwinkern sieht … Wo bleibt die heidnische Unbefangenheit? Das Bett also ist der Ort der Beiwoh-nung des Minnenden mit dem Gemeinten und als Symbolum die beschauliche Abgeschiedenheit von Welt und Kreatur zum Zwecke der Beiwohnung mit Gott."

      "Puh! Andate, andate!" wehrte der Italiener fast weinend ab. Man lachte. Dann aber fuhr Settembrini mit Würde fort:

      "Ah, nein, ich bin Europäer, Okzidentale. Ihre Rangordnung da ist reiner Orient. Der Osten verabscheut die Tätigkeit. Lao-Tse lehrte, daß Nichtstun förderlicher sei, als jedes Ding zwi-schen Himmel und Erde. Wenn alle Menschen aufgehört haben würden, zu tun, werde vollkommene Ruhe und Glückseligkeit auf Erden herrschen. Da haben Sie Ihre Beiwohnung."

      "Was Sie nicht sagen. Und die abendländische Mystik? Und der Quietismus, der Fénélon zu den Seinen zählen darf, und der lehrte, daß jedes Handeln fehlerhaft sei, da tätig sein zu wollen, Gott beleidigen heiße, der allein handeln wolle? Ich zitiere die Propositionen von Molinos. Es scheint doch, daß die geistige Möglichkeit, das Heil in der Ruhe zu finden, allgemeine menschliche Verbreitung besitzt."

      Hier griff Hans Castorp ein. Mit dem Mut der Einfalt misch-te er sich ins Gespräch und äußerte ins Leere blickend:

      "Beschaulichkeit, Abgeschiedenheit. Es hat was für sich, es läßt sich hören. Wir leben ja ziemlich hochgradig abgeschieden, wir hier oben, das kann man sagen. Fünftausend Fuß hoch lie-gen wir auf unseren Stühlen, die auffallend bequem sind, und sehen auf die Welt und Kreatur hinunter und machen uns unse-re Gedanken. Wenn ich mir's überlege und soll die Wahrheit sagen, so hat das Bett, ich meine damit den Liegestuhl, verste-hen Sie wohl, mich in zehn Monaten mehr gefördert und mich auf mehr Gedanken gebracht, als die Mühle im Flachlande all die Jahre her, das ist nicht zu leugnen."

      Settembrini sah ihn mit traurig schimmernden schwarzen Augen an. "Ingenieur",


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