Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Rudolf Virchow

Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre - Rudolf Virchow


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Zellen neben der stickstofflosen äusseren Substanz eine stickstoffhaltige innere Masse, und es lag daher nahe, zu schliessen, dass das eigentliche Wesen einer Pflanzenzelle darin beruhe, dass innerhalb einer stickstofflosen Membran ein von ihr differenter stickstoffhaltiger Inhalt vorhanden sei.

      Man wusste freilich schon seit längerer Zeit, dass noch andere Dinge sich im Innern der Zellen befinden. Insbesondere war es eine der am meisten folgenreichen Entdeckungen, als Rob. Brown den Kern (Nucleus) innerhalb der Pflanzenzelle entdeckte (Fig. 1, b u. c.). Unglücklicherweise legte man diesem Gebilde eine grössere Bedeutung für die Bildung, als für die Erhaltung der Zellen bei, weil in sehr vielen älteren Pflanzenzellen der Kern äusserst undeutlich wird, in vielen ganz verschwindet, während die Form der Zelle doch erhalten bleibt.

      Objecte zu gewinnen, welche das vollkommene Bild der Pflanzenzelle darbieten, ist nicht schwierig. Man nehme z. B. einen Kartoffelknollen und untersuche ihn da, wo er anfängt, einen neuen Schoss zu treiben, wo also die Wahrscheinlichkeit besteht, dass man junge Zellen finden wird, vorausgesetzt, dass Knospung überhaupt in der Bildung neuer Zellen besteht. Im Innern des Knollens sind alle Zellen mit Amylonkörnern vollgestopft; an dem jungen Schoss dagegen wird in dem Maasse, als er wächst, das Amylon aufgelöst und verbraucht, und die Zelle zeigt sich wieder in ihrer einfacheren Gestalt. Auf einem Querschnitte durch einen jungen Schössling nahe an seinem Austritte aus dem Knollen unterscheidet man etwa vier verschiedene Lagen: die Rindenschicht, dann eine Schicht grösserer Zellen, dann eine Schicht kleinerer Zellen, und zu innerst wieder eine Lage von grösseren. In dieser letzteren sieht man lauter regelmässige Gebilde; dicke Kapseln von sechseckiger Gestalt und im Innern derselben einen oder ein Paar Kerne (Fig. 1). Gegen die Rinde (Korkschicht) und ihre Matrix (Cambium) hin sind die Zellen viereckig und je weiter nach aussen, um so platter, aber auch in ihnen erkennt man bestimmt Kerne (Fig. 2, a.). Ueberall, wo die sogenannten Zellen zusammenstossen, ist zwischen ihnen eine Grenze zu erkennen; dann kommt die dicke Celluloseschicht, in welcher häufig feine Streifen (Ablagerungsschichten) zu bemerken sind, und im Innern der Höhle eine zusammengesetzte Masse, in welcher leicht ein Kern mit Kernkörperchen zu unterscheiden ist, und an der nach Anwendung von Reagentien auch der Primordialschlauch (Utriculus) als eine gefaltete, runzlige Haut zum Vorschein kommt. Es ist dies die vollendete, aber einfache Form der Pflanzenzelle. In den benachbarten Zellen liegen einzelne grössere, matt glänzende, geschichtete Körper: die Reste von Stärkemehl (Fig. 2, c.).

      Fig. 2. Aus der Rindenschicht eines Knollens von Solanum tuberosum nach Behandlung mit Jod und Schwefelsäure. a. Platte Rindenzellen, umgeben von der Kapsel (Zellhaut, Membran). b. Grössere, viereckige Zellen derselben Art aus dem Cambium; die geschrumpfte und gerunzelte eigentliche Zelle mit dem Primordialschlauch innerhalb der Kapsel. c. Zelle mit Amylonkörnern, welche innerhalb des Primordialschlauches liegen.

Mit solchen Erfahrungen kam man an die thierischen Gewebe, deren Uebereinstimmung mit den pflanzlichen Schwann nachzuweisen suchte. Die eben besprochene Deutung der gewöhnlichen pflanzlichen Zellenformen, wobei man jedoch den von Vielen geleugneten Primordialschlauch ganz unberücksichtigt zu lassen pflegte, diente als Ausgangspunkt. Dies ist aber, wie die Erfahrung gezeigt hat, in gewissem Sinne irrig gewesen. Man kann die pflanzliche Zelle in ihrer Totalität nicht mit jeder thierischen zusammenstellen. Wir kennen an thierischen Zellen keine solchen Unterschiede zwischen stickstoffhaltigen und stickstofflosen Schichten; in allen wesentlichen, die Zelle constituirenden Theilen kommen auch stickstoffhaltige Stoffe vor. Aber es giebt allerdings gewisse Formelemente im thierischen Leibe, welche an diese pflanzlichen Zellen unmittelbar erinnern; die am meisten charakteristischen unter ihnen sind die Zellen im Knorpel, der seiner ganzen Erscheinung nach von den übrigen Geweben des thierischen Leibes so sehr abweicht, und der schon durch seine Gefässlosigkeit eine ganz besondere Stellung einnimmt. Der Knorpel schliesst sich in jeder Beziehung am nächsten an die Gewebe der Pflanze an. An einer recht entwickelten Knorpelzelle erkennen wir eine verhältnissmässig dicke äussere Schicht, innerhalb welcher, wenn wir recht genau zusehen, wiederum eine zarte Haut, ein Inhalt und ein Kern zu finden sind. Hier haben wir also ein Gebilde, das der Pflanzenzelle durchaus entspricht.

      Man hat daher auch lange Zeit hindurch, wenn man den Knorpel schilderte, das ganze eben beschriebene Gebilde (Fig. 3, ad.) ein Knorpelkörperchen genannt. Indem man dasselbe aber den Zellen anderer thierischer Theile coordinirte, stiess man auf Schwierigkeiten, welche die Kenntniss des wahren Sachverhältnisses ungemein störten. Das Knorpelkörperchen ist nehmlich nicht als Ganzes eine Zelle, sondern die äussere Schicht, die von mir sogenannte Capsel2, ist das Produkt einer späteren Entwickelung (Absonderung, Ausscheidung). Im jungen oder wenig entwickelten Knorpel ist sie sehr dünn, während auch die Zelle kleiner zu sein pflegt. Gehen wir noch weiter in der Entwickelung zurück, so treffen wir auch im Knorpel nichts als eine einfache Zelle, welche jene äussere Absonderungsschicht noch nicht besitzt, dasselbe Gebilde, welches auch sonst in thierischen Geweben vorkommt.

      Fig. 3. Knorpelzellen, wie sie am Ossificationsrande wachsender Knorpel vorkommen, ganz den Pflanzenzellen analog (vgl. die Erklärung zu Fig. 1). ac. entwickeltere, d. jüngere Form.

      Die Vergleichung zwischen thierischen und pflanzlichen Zellen, die wir allerdings machen müssen, ist demnach insofern zu beschränken, als in den meisten thierischen Geweben keine Formelemente gefunden werden, die als Aequivalente der Pflanzenzelle in der alten Bedeutung dieses Wortes betrachtet werden können. Insbesondere entspricht die Cellulose-Membran der Pflanzenzelle nicht der thierischen Zellhaut. Aber bei einer anderen Deutung der Pflanzenzelle trifft die Vergleichung allerdings zu, nur muss man sofort davon abgehen, dass die thierische Zellhaut als stickstoffhaltig eine typische Verschiedenheit von der pflanzlichen als stickstoffloser darbiete. Vielmehr treffen wir in beiden Fällen eine stickstoffhaltige Bildung von im Grossen übereinstimmender Zusammensetzung. Wenn auch die sogenannte Membran (Capsel) der Pflanzenzelle in der Capsel der Knorpelzellen ein Analogon findet, so entspricht doch vielmehr die gewöhnliche Membran der Thierzelle dem Primordialschlauch der (inneren) Pflanzenzelle, wie ich schon 1847 hervorgehoben habe3. Erst wenn man diesen Standpunkt festhält, wenn man von der Zelle Alles ablöst, was durch eine spätere Entwickelung äusserlich hinzugekommen ist, so gewinnt man das einfache, gleichartige, scheinbar monotone Gebilde, welches sich in allen lebendigen Organismen wiederholt. Aber gerade diese Constanz ist das beste Kriterium dafür, das wir in ihm das wirklich Elementare haben, dasjenige Gebilde, welches alles Lebendige charakterisirt, ohne dessen Präexistenz keine neuen lebendigen Formen entstehen und an welches Fortgang und Erhaltung des Lebens gebunden sind. Erst seitdem der Begriff der Zelle diese strenge Form bekommen hat, und ich bilde mir etwas darauf ein, trotz des Vorwurfes der Pedanterie stets daran festgehalten zu haben, erst seit dieser Zeit kann man sagen, dass eine einfache Form gewonnen ist, die wir überall wieder aufsuchen können, und die, wenn auch in Grösse, Gestalt und Ausstattung verschieden, doch in ihren wesentlichen Bestandtheilen immer gleichartig angelegt ist.

      Es liegt auf der Hand, dass der Ausdruck „Zelle“, welcher von den Cellulose-Capseln der Pflanzenzellen hergenommen ist, ein beträchtliches Stück seiner wirklichen Bedeutung verloren hat, seitdem er auf die mit zarten Primordialschläuchen oder Membranen umkleideten Körper übertragen ist, welche die neue Wissenschaft im Auge hat. Denn hier handelt es sich nicht sowohl um hohle Bläschen, bei denen die Membran gewissermassen die Hauptsache ist, sondern um, wenn auch weiche, so doch solide Körper, deren äussere Begrenzungsschicht eine grössere Dichtigkeit besitzt, als das Innere, ja bei denen es fraglich ist, ob überhaupt diese Begrenzungsschicht ein notwendiges Zubehör ist. Bevor wir jedoch diese Frage erörtern, wird es zweckmässig sein, die anderen Bestandtheile der Zelle zu betrachten.

      Fig. 4. a.


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