Welt- und Lebenanschauungen; hervorgegangen aus Religion, Philosophie und Naturerkenntnis. Max Bernhard Weinstein

Welt- und Lebenanschauungen; hervorgegangen aus Religion, Philosophie und Naturerkenntnis - Max Bernhard Weinstein


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bezeichneten Zwiegespräch des Epos Mahâbharâta, das man schon mit der Ilias verglichen hat, das aber gedanklich so viel höher steht als diese, als sie im ganzen künstlerisch von ihm übertroffen wird, will der Pandu-Held Ardschuna nicht gegen seine Verwandten, die Kuruiden, kämpfen. Er sagt zur Begründung (Übersetzung von R. Boxberger):

      Wie sollten wir, die Wissenden, nicht scheuen diese Freveltat,

      Da auf Geschlechtesuntergang ein zahllos Heer von Übeln naht?

      Stirbt ein Geschlecht, so höret alsbald auf der Manenopfer Pflicht,

      Und ruhlos wird der ganze Stamm, wenn Ahnenkultus ihm gebricht …

      Dann gehen Stammesmörder samt dem ganzen Stamm zur Unterwelt,

      Denn aus dem Himmel stürzt der Ahn, sobald das Manenopfer fehlt.

      Der Ahn darf also nur so lange im Himmel bleiben, als er Opfer empfängt, sobald dieses aufhört, muß er in die Unterwelt. Auch die Gottheit Krischna (Wischnu), die eben mit Ardschuna das Zwiegespräch hält und die so außerordentlich hohe Ideen vertritt, lehrt:

      Zu Göttern geht, wer sie verehrt; zu Ahnen, wer diese ehret, ein;

      Zu Larven, wer die Larven ehrt; zu mir, wer mich verehrt allein.

      Und er stellt auch fest, daß der Mensch nach dem Tode mit dem vereint wird, woran er im Sterben denkt. Völlig wildenmäßig mutet es an, wenn in dem Atharvaveda zu dem Toten gesagt wird: „Kehre nicht zurück auf den Götterpfaden, dort bleibe, wache bei den Vätern“, und namentlich, wenn den Toten die Fessel angelegt wird: „Die Kudifessel, die man den Toten anlegt, die Hemmerin der Füße“ (S. 42). Selbst der große Sanskritkenner Max Müller gibt das Naturmenschliche in den Anschauungen der Indier zu, aber doch nur in den allerursprünglichsten. Indem er jedoch den Gang dieser Anschauungen an einem Gott, an Agni, dem Feuergott, darlegt, sagt er: „Sie werden sehen, daß wir im Veda diesen Gott des Feuers beobachten können lange bevor er überhaupt ein Gott ist, und auf der anderen Seite werden wir seine weitere Entwicklung bis dahin zu verfolgen imstande sein, wo er nicht bloß ein Gott des Feuers, sondern ein höchster Gott, ein Gott über allen anderen Göttern, Schöpfer und Lenker der Welt ist.“ Dann erzählt er, wie Agni in den Veden oft menschlich und tierisch aufgefaßt wird. Dêva wird er zunächst, rein physikalisch, der „Glänzende“, genannt, bis dieser Name höhere und höhere Bedeutung gewinnt und Gottheit überhaupt bezeichnet. Dabei bleibt das Bewußtsein von der eigentlichen Natur des Agni: „Du, o Agni, wirst geboren, zu erstrahlen wünschend, du wirst geboren aus den Himmeln, du aus den Wassern, du aus dem Steine, du aus dem Holze, du aus den Kräutern, du, o König der Menschen, der reine“, heißt es in einem Lied des Rigveda. Daraus aber ergibt sich, daß für Max Müller Agni auch in der ursprünglichsten Auffassung nicht ein Fetisch im Sinne des Naturmenschen ist. Aus solchen Rigvedaversen an Agni, wie: „Du bist dem Menschen immer Vater und Mutter“, „Agni halte ich für meinen Vater, ich halte ihn für meinen Verwandten, meinen Bruder und meinen beständigen Freund“, könnte Agni als Ahn in Anspruch genommen werden, aber dem stehen unzählige andere Verse unmittelbar entgegen. Alles was von Agni gesagt wird, er lecke mit Zungen, er esse mit scharfen Kinnbacken, er zerkaue und strecke nieder die Wälder, er tue den Bäumen Gewalt an, er mache die Pflanzen zu seiner Speise, er schere das Haar der Erde, er springe aus dem Holz hervor usf., klingt theromorph und anthropomorph, kann aber kaum anders denn als sehr prägnante dichterische Ausdrucksweise angesehen werden (s. jedoch S. 33 f.). Wenn es dann an einer anderen Stelle des Rigveda heißt: „Agni, unser Priester, wird beim Opfer herumgeführt, ein Roß seiend“, so könnte man freilich wie bei Swantewit an einen Tierfetisch als Vertreter Agnis denken. Max Müller lehnt es aber ab und hält auch dieses für bildliche Ausdrucksweise, und nach allem, was sonst der Rigveda von Agni sagt, wohl mit Recht. Agni ist freilich kein ursprünglicher Gott, der Urgott der Indier scheint Indra zu sein, der später von seiner Höhe herabsank, immerhin aber stets Bedeutung hatte, während er bei den Eraniern sich nur noch als Geist findet. Der gleiche Forscher führt als weiteres Beispiel die Stürme (Marut) an, von denen auch im Rigveda ganz persönlich gesprochen wird. Sie schütteln Himmel und Erde, gleich dem Saum eines Gewandes, sie erscheinen glänzend auf ihren Wagen mit Speeren, Dolchen, Ringen, Äxten und Peitschen, die sie in der Luft klatschen lassen, sie schießen Pfeile und schleudern Steine, sie haben goldene Kopfbinden rings um den Kopf, sie werden auch als Musikanten Sänger, Pfeifer und Tänzer, mitunter auch als Vögel und als wilde Eber mit Hauern dargestellt. Man kann nicht irdischer und dramatischer sprechen, und weniger fetischmäßig. Wie es sich mit dem Soma als Gottheit, als Opfer und als berauschendes Getränk verhält, ist nicht ganz klar, so wenig wie bei dem entsprechenden Haoma der Eranier. Ursprünglich als höchst bedeutungsvoll, ja Unsterblichkeit verleihend, dargestellt, gepriesen und empfohlen, wurde es später verpönt und verboten, wahrscheinlich infolge zu großer Anwendung als berauschendes Getränk. Einen Fetisch werden wir in der betreffenden Pflanze, die also von Soma bewohnt gewesen sein sollte, kaum sehen können.

      Nach allem möchte ich glauben, daß zwar die Indier des Rigveda und der folgenden Zeiten die Seele und ihr Leben naturmenschlich aufgefaßt haben. Dafür spricht schon die angenommene Seelenwanderung, von der später die Rede sein wird. Daß sie selbst Götter naturmenschlich als mit menschlichen Bedürfnissen und Schwächen behaftet sich dachten. Daß aber der Fetischglaube sich nur in vereinzelten Erscheinungen, die für das Ganze bedeutungslos waren, geltend machte, selbst wo Tiere wie Stier, Schlange, Elefant und der berühmte Affe Hanumann in Betracht kommen. Im einfachen Volk und bei Einzelnen wird natürlich, wie ja auch bei den höchsten Kulturnationen, sehr viel Fetischismus vorhanden gewesen sein. Aber die Religionsanschauungen der Indier nehmen eine so merkwürdige Richtung, einerseits in das rein Abstrakte, andererseits in das rein Ethisch-Anthropopathische, daß so niedrige Ansichten wie die des Fetischismus nicht in ihnen als Wesentliches existiert haben können, trotz aller heiligen Tiere und verehrten Erscheinungen. Der Fetischismus stellt sich sonst überall mit einer gewissen Selbstverständlichkeit dar – er ist ja dem Naturmenschen in der Tat selbstverständlich —, die gegenständliche Ausdrucksweise der Indier ist aber meist so dunkel und verstiegen, daß wir uns zu Allegorien und Symbolen retten müssen, wenn wir nicht reinen Unsinn und absurdes Geschwätz bei einem doch so tief veranlagten, so hoch denkenden und so dichterisch empfindenden Volke annehmen wollen. Höchstens furchtbaren Dämonenglauben und ins äußerste gegen sich und gegen die Mitmenschen getriebene Konsequenz gewisser Götter- und Kultlehren müssen wir bei einzelnen Sekten zugestehen, und Leichtgläubigkeit gegenüber von Behauptungen anerkannter und nicht anerkannter Priester und Zauberer, und endlich einen verblüffenden, spitzfindigen, kleinlichen, das ganze Leben wie ein eisernes Gespinst durchziehenden Formalismus gegen die höheren Mächte, von denen selbst der so freie Buddha das Volk nicht hat lösen können. Solche Ausdrücke wie in dem Rigveda: „Indra hilft dem, der reichlich schenkt und opfert; eine heilige Handlung hat keine Wirkung, wenn die entsprechende Dakschina nicht gereicht wird“, und „Indra wendet sich ab von Dürftigkeit und Hunger“, dazu Verwünschungen von Werkfeindlichen und Nichtopfernden, sind freilich schlimm. Dieselbe Ansicht findet sich sogar in der Bhagavad-Gîtâ. Krischna sagt daselbst:

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