Aus meinem Leben. Zweiter Teil. Bebel August

Aus meinem Leben.  Zweiter Teil - Bebel August


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‚Staatsanzeiger‘ wünscht monatlich einen Bericht über die Bewegungen des Geldmarktes (und natürlich auch des Warenmarktes, soweit beide nicht zu trennen). Ich wurde gefragt, ob ich nicht jemanden empfehlen könnte, und erwiderte, niemand würde das besser machen als Sie. Ich bin infolgedessen ersucht worden, mich an Sie zu wenden.“

      Klassisch ist der Schluß der Bucherschen Einladung, die Marx in jener Erklärung ebenfalls abdruckt:

      „Der Fortschritt (er meinte die liberale oder Fortschrittsbourgeoisie) wird sich noch oft häuten, ehe er stirbt; wer also während seines Lebens noch innerhalb des Staates wirken will, der muß sich ralliieren um die Regierung.“

      Das war also der Grund, der Bucher Bismarck in die Arme trieb und der ihn veranlaßte, bei anderen das gleiche zu versuchen.

      Nach einer Erklärung, die Liebknecht am 24. März in der „Rheinischen Zeitung“ veröffentlichte, habe Schweitzer nach dem Tode Lassalles Marx zum Präsidenten des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins vorgeschlagen. Marx habe abgelehnt, sich mit einer Bewegung zu identifizieren, deren Taktik er für grundverkehrt hielt, auch habe er keine Neigung gehabt, unter den obwaltenden politischen Zuständen nach Deutschland überzusiedeln. Schweitzer habe sich verpflichtet, daß das neue Blatt die Lassallesche Taktik nicht befolgen, jedes Kokettieren mit der Reaktion vermeiden sollte, unter dieser Bedingung, und nur unter dieser, habe er sich zur Mitarbeiterschaft bereit erklärt, vorausgesetzt, daß auch Marx und Engels sich beteiligen würden. Beide hätten sich schließlich nur mit dem größten Widerstreben dazu verstanden, und nur auf seine wiederholte Versicherung, daß er an die Loyalität Schweitzers – von dem er sehr schlimme Dinge gehört – glaube.

      Die Politik des „Sozialdemokrat“ trug rasch die gewünschten Früchte. Bereits Anfang Februar 1865 hielt ein Mitglied des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins, Peter Rex, in Köln eine Rede, worin er sagte: ihm sei die jetzige Regierung lieber als ein Fortschrittsministerium. Der „Sozialdemokrat“ druckte ohne ein Wort der Kritik diese Aeußerungen ab. Am 12. März erklärte der Rheinisch-Westfälische Arbeitertag zu Barmen sich mit der Haltung des „Sozialdemokrat“ einverstanden, auch sei es durchaus zu billigen, die Vorschläge der preußischen Regierung, die bei verschiedenen Gelegenheiten die Verbesserung der Lage der arbeitenden Klassen durch die Gesetzgebung versprochen habe, abzuwarten, bevor man über dieselbe aburteile, indem es keineswegs unmöglich sei, daß dieselbe das Dreiklassenwahlgesetz aufhebe und statt desselben das allgemeine, gleiche, direkte und geheime Wahlrecht, wie es das von Lassalle, dem Begründer der deutschen Arbeiterpartei, vorgezeichnete nächste Ziel der jetzigen deutschen Arbeiterbewegung sei, einführe.

      Form und Inhalt dieser Resolution sprachen dafür, daß Schweitzer sie verfaßt hatte, auch empfahl der „Sozialdemokrat“, überall dieselbe zur Abstimmung zu bringen, ein Akt, der einem Vertrauensvotum für die preußische Regierung gleichkam.

      Bereits begann aber auch die Opposition im Verein sich bemerkbar zu machen. In seiner Nr. 38 polemisierte der „Sozialdemokrat“ gegen die offenen Feinde und falschen Freunde, die Zwietracht in die Partei zu säen suchten. Und da die Opposition auch begann, gegen die diktatorischen Organisationsbestimmungen im Vereinsstatut zu polemisieren, so mußte die Organisation als das ureigenste Werk Lassalles mit einer Art Glorienschein umgeben werden. Der Lassallekultus wurde von jetzt ab systematisch gefördert und jeder als eine Art Schänder des Heiligsten gebrandmarkt, der andere Ansichten zu hegen wagte. Es waren namentlich die Worte im Lassalleschen Testament: „Dem Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein empfehle ich, den Frankfurter Bevollmächtigten, Bernhard Becker, zu meinem Nachfolger zu wählen. Er soll an der Organisation festhalten; sie wird den Arbeiterstand zum Siege führen“, die das Schibolet wurden, das den echten von dem falschen Lassalleaner unterschied. Und Schweitzer unterstützte diese allmählich ans Idiotenhafte grenzenden Anschauungen, die schließlich eine Art religiöser Glaubenssätze wurden. Kam es doch im Laufe der Jahre dahin, daß das Thema „Christus und Lassalle“ das Thema für die Tagesordnung zahlreicher Volksversammlungen wurde. F.W. Fritzsche erhielt sogar 1868 in Berlin eine Anklage wegen eines Vortrags über dieses Thema, in dem der Staatsanwalt eine Gotteslästerung erblickte. Fritzsche wurde nur freigesprochen, weil ihm der Dolus nicht nachgewiesen werden konnte.

      Wie Schweitzer innerlich über dieses von ihm geförderte Treiben dachte, bedarf keiner Auseinandersetzung.

      In einem merkwürdigen Gegensatz zu den Bismarckartikeln veröffentlichte der „Sozialdemokrat“ in seiner Nr. 43 vom 5. April 1865 eine Schlußbetrachtung über die österreichischen Staatsverhältnisse, worin es hieß:

      „Die Deutsche Volkspartei ist, wie in allem, so auch in der deutschen Einheitssache radikal, das heißt sie will die ganze und ausnahmslose Verwirklichung der als gut und richtig erkannten Idee.

      Die Deutsche Volkspartei also will das ganze Deutschland zum freien Volksstaat vereinen.

      Das ganze Deutschland! sagen wir. Nicht ein Dorf, nicht ein Meierhof, nicht die kleinste Hütte im fernsten Winkel darf uns fehlen!

      Der kleindeutsche Gedanke eines ‚einigen Deutschland‘ ohne die deutsch-österreichischen Provinzen ist ein Hochverrat an der Nation und ihrer Zukunft. (Auch im Text gesperrt gedruckt.)

      Ein einiges Deutschland – bedingungslos, ausnahmslos!

      Das war eine der Doppelzüngigkeiten, womit Schweitzer bezweckte, die Opposition zum Schweigen zu bringen, die sich anläßlich der Bismarckartikel innerhalb und außerhalb des Vereins geltend machte. Er sah, daß er sich zu weit vorgewagt hatte. Ein solches Manöver wiederholte er regelmäßig, sobald er wegen seines Verhaltens öffentlich Angriffen ausgesetzt war. Alsdann warf er sich wieder auf die linke Seite und schrieb mit einem Radikalismus, der nichts zu wünschen übrig ließ. Er konnte so, aber auch anders.

      Und er nicht allein, auch der eine und der andere seiner Anhänger. In derselben Nummer des „Sozialdemokrat“, in der der oben zitierte Artikel über Oesterreich stand, veröffentlichte Tölcke einen spaltenlangen Bericht über eine Königsgeburtstagsfeier, welche die Mitglieder des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins in Iserlohn veranstaltet hatten und in der Tölcke ein Hoch auf den König von Preußen ausgebracht hatte. In diesem Toast führte Tölcke aus, der Wille, den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein vernichten zu wollen – wie das der Iserlohner Bürgermeister durch maßlos brutale Unterdrückungsmaßregeln versucht hatte – sei vergeblich.

      „Das gelingt nimmermehr, weil das preußische Ministerium den Bestrebungen des Vereins, mehr aus volkswirtschaftlichen als aus politischen Beweggründen, augenscheinlich die große Aufmerksamkeit schenkt – es gelingt endlich nimmermehr, weil Seine Majestät unser allverehrter König der Freund der Arbeiter ist.“

      Auf Tölckes Betreiben hatte man sogar den König durch eine telegraphische Depesche zum Geburtstag beglückwünscht, worauf folgende Antwort eingegangen war:

      „Dem Arbeiterverein Iserlohn. Seine Majestät dankt bestens für Ihre Glückwünsche. Im allerhöchsten Auftrag: Strubberg, Oberstleutnant und Flügeladjutant.“

      Die Verlesung dieser Depesche wurde, wie Tölcke weiter berichtete, mit einem gewaltigen Hoch auf Seine Majestät aufgenommen. Im Festsaal war ein Transparent angebracht: der preußische Adler stehend auf verschlungenen Eichen- und Lorbeerzweigen, und darüber die Inschrift: Heil dem Könige, dem Beschützer der Bedrängten!… Weithin schallten patriotische Lieder. Ein Kriegerverein konnte nicht patriotischer handeln.

      Schweitzer druckte den spaltenlangen Bericht Tölckes im „Sozialdemokrat“ ab, ohne ein Wort des Tadels oder der Unzufriedenheit hinzuzufügen. Tölcke handelte eben in den Intentionen Schweitzers. Das hinderte ihn aber nicht, im „Sozialdemokrat“ vom 20. September 1865 bei Besprechung einer Depesche Lord Russells, worin dieser den Gasteiner Vertrag zwischen Preußen und Oesterreich aufs schärfste verurteilte, zu sagen: Was geht uns der Gasteiner Vertrag an?… Es ist nur eine Angelegenheit der preußischen Regierung, deren Politik im offensten und entschiedensten Widerspruch zum Willen des Volkes in Preußen steht. Und gegen die „Kreuzzeitung“ gewendet, die dem Volke mit dem Ausland drohte, das sich in deutsche Angelegenheiten mischen werde, antwortete er: Nicht in Frankreich, in Deutschland sitzen die


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