Celsissimus: Salzburger Roman. Arthur Achleitner
soll nicht länger mehr währen, vielleicht noch einige Tage, bis besser wird und trocken der Weg.“
„Und wohin?“
„Das weiß ich nicht zu sagen! Mich deucht, der Schwaher denkt an Chiemsee, doch hat der Kaufherr vielfach Gefreundschaft auch in Kärnten und hinab ins Welschland!“
„Ihr steht nicht mehr im Verkehr mit Wilhelm Alt?“
„Der Dickkopf nannt' eine Kupplerin mich, die ehrsame frumbe Bürgermeisterin, und verwies mir das Haus! Kann es größere Undankbarkeit wohl auf Erden geben!“
„Nein, gewiß nicht! Ein ‚undankbarer‘ Mensch, dieser Wilhelm Alt!“ sprach ironisch der Fürst und seine Augen lachten vergnügt dazu. auf Seelenheil und frumben Wandel! Ich will ja nur Salomens Glück und nebstbei bin auch ich geehrt,
[Transkriptionsanmerkung: Dieser Absatz scheint keinen Sinn zu machen, ist aber 1:1 aus dem Original übernommen]
„Als wenn ich kuppeln wollt', ich, die so viel hält wenn meine Nichte Fürstin ist!“
„Kein Zweifel, eine große Ehre sothane Liaison!“
Nun wollte Frau Alt auf den Stadtklatsch übergehen, doch Wolf Dietrichs Geduld war bereits erschöpft, es interessierte ihn nicht im geringsten, was die Sippen über ihn und seine Liebe zu Salome sagen, und die längere Anwesenheit der alten Schwätzerin ward dem Fürsten lästig. Er gab ein Glockenzeichen, verneigte sich etwas vor der in die Höhe fahrenden Dame und gab Befehl, die Frau Bürgermeisterin hinauszugeleiten.
Verdutzt, in einem Gefühle, aus dem Himmel in einen Sumpf gefallen zu sein, folgte Frau Alt dem höflichen und doch spöttischen Kämmerling, die Glückseligkeit der Fürstenaudienz war zu Ende, so gründlich vorbei, daß Frau Alt unten keine Sänfte mehr vorfand und geärgert durch das Schneewasser auf Salzburgs Katzenkopfpflaster heimtrippeln mußte.
„Sind doch das launische Leute, diese Fürsten!“ zischte die vergrämte Frau und hüpfte krötengleich über die Wasserlachen, bis sie tropfnaß in den Füßen endlich das Heim erreichte.
Unerträglich war Salome die einsame Haft im Elternhause geworden, das Mädchen litt schwer, die Isolierung verbitterte das Gemüt und bewirkte mählich, daß Salome im Drang nach Freiheit nur im Fürsten allein den Retter ihres Lebens zu erblicken begann und sich nach Wolf Dietrichs beglückend süßen Worten sehnte. Speise und Trank ward der Gefangenen wohl vom Hausmädchen, der blondzöpfigen Klara ins Gemach verbracht, doch war vom Vater der Magd unter schwerer Bedrohung jegliches Sprechen mit Salome verboten worden. Einige Tage hielt dieses Gebot stand, dann aber, von herzlichstem Mitleid erfaßt, vermochte Klara dem Flehen Salomens nicht mehr zu widerstehen, die Magd gab flüsternd Red' und Antwort auf die hastigen Fragen und erzählte, daß die Muhme beim Fürsten in Audienz empfangen worden und in der Stadt die Kunde von der Verlobung allgemein verbreitet sei.
Salome schrie auf vor Schreck und Wonne zugleich, dann aber bestürmte sie die Magd um weitere Nachrichten bezüglich der etwa bekannt gewordenen Pläne des hartherzigen Vaters.
Ängstlich wehrte Klara ab und bedeutete dem Fräulein durch eine Geste, daß ein lärmend Wort den Gebieter herbeiführen und Strafe bringen müßte. Das Eßgeschirr zusammenraffend, flüsterte die Magd: „Ein Wagen soll Euch morgen in früher Stund' nach Frauenchiemsee bringen, vom Hausknecht habe ich's erfahren!“
„Großer Gott, das schrecklichste steht mir bevor! Doch niemals werd' ich eine Nonne! Hilf mir zur Flucht, Klara, ich will dir's lohnen für dein ganzes Leben!“
„Still! Ich höre Schritte! Zum Abend will ich wiederkommen!“
Geräuschlos entfernte sich die Magd.
Eine Weile horchte und harrte Salome; doch als alles still, totenstill um sie blieb, begann sie mit dem Gedanken einer Flucht aus dem Elternhause sich vertraut zu machen. Mag kommen was immer wolle, das Leben als Gefangene im Elternhause, vom Vater verachtet, einer Aussätzigen gleich behandelt, ist ebenso schrecklich wie die Gewißheit, die Zukunft zwangsweise im Nonnenkloster verbringen zu müssen. Salome empfand ein Gefühl der Dankbarkeit für die Muhme und deren Vermittelung beim Fürsten, das Mädchen hofft auf ein Eingreifen, auf Rettung durch Wolf Dietrichs Hand, und einmal befreit, soll dem Fürsten zeitlebens inniger, hingebender Dank dargebracht werden.
In trostloser Öde vergingen quälend langsam die Stunden, bis zum Abend Klara wieder erschien und vermeldete, daß Herr Alt ausgegangen sei, mutmaßlich, um für morgen das Fuhrwerk und Mannschaft zur Bedeckung zu bestellen.
Alle Spannkraft erwachte in Salome, sie beschwor Klara um Hilfe zur Flucht und versprach, die Magd sogleich mit sich zu nehmen in den Keutschachhof. Einmal dort, sei Herrin wie Dienerin sicher vor dem strafenden Arm des Vaters und Herrn, der Fürst werde beide zu schützen wissen.
Der Vorschlag leuchtete der abenteuerlichen Magd wohl ein, doch erklärte Klara, so rasch nicht ihre Habe, so klein sie auch sei, packen und fortschaffen zu können.
Salome bedeutete dem Hausmädchen, daß es unnötig sei, auch nur das Geringste von den Habseligkeiten mitzunehmen; es werde alles hundertfach und neu ersetzt, wie ja auch Salome nichts mitnehme, als was sie am Leibe trage.
„Könnt Ihr denn so viel Geld mitnehmen?“ fragte Klara.
Salome errötete und flüsterte: „Ich nehme nichts mit! Der gnädige Fürst wird für uns beide Sorge tragen! Nur fort ehe der Vater wiederkehrt!“
Nun war die Magd auch hierüber beruhigt; Klara schlich hinunter, gab ein Zeichen, und Salome folgte. Zwischen den Kisten im Hausflur sich hindurchwindend konnte man dem Eichenportale näher kommen. Doch dieses selbst erwies sich festverschlossen, die Flucht schien vereitelt und nach rückwärts giebt es keinen Ausweg.
Peitschenknall ertönte draußen in der Gasse, ein schweres Fuhrwerk dröhnte krachend und prasselnd vor dem Kaufhause, und alsbald ward es lebendig. Schnell huschten die Mädchen hinter die Kisten.
Komptoiristen und Knechte kamen mit Laternen herbei, schimpfend über die arg verspätete Ankunft des Gollinger Boten. Dieser entschuldigte sich mit dem schlechten Zustand der Straße und drang auf rasche Abladung, wasmaßen seine Roße schwitzen und in den Stall kommen müßten.
Bei trübem Laternenschein ward das Portal aufgeschlossen, und die schwere Last von Frachtgütern aus dem Süden wurde abgeladen. Aus Unachtsamkeit stieß einer der Knechte die Laterne um, das Licht verlöschte, es ward stockdunkel im Flur wie auf der Gasse.
Während die Knechte schimpften und nach Licht riefen, huschte Klara, der Salome auf dem Fuße folgte, durchs Portal und von der Dunkelheit geschützt flohen beide längs den Häusern die Gasse hinauf und verschwanden um die erste Ecke.
III
Ein linder Frühling war dem langen, hartnäckig um sein Recht kämpfenden Winter gefolgt, weiche, warme Lüste wehten, der Föhn hatte schneller als sonst den letzten Schnee von den Salzburger Bergen verjagt. In den Thälern grünte und sproß es aufs neue, die Auen prangten im frischen Lenzeskleid wie die Matten, und nur die Wogen der hochgehenden Salzach bezeugten durch ihr schlammfarbiges Wasser, daß es tief drinnen im Hochgebirge nicht ohne Sturm und Regen Frühling geworden.
Im schmalen Salzachthal, das eingeengt ist durch die Prallwände des gigantischen Tennengebirges und westwärts von dem Felsgewirr des Hagengebirges, erhebt sich ein Steinhügel, auf welchem eine alte Veste thront, Hohenwerfen genannt, eine Zwingburg der salzburgischen Landesherren, im 11. Jahrhundert trutzfest erbaut, und neuerlich bewehrt von Wolf Dietrich im Anfang seiner Regierung, auf daß sie dem Fürsten zum Schutz diene gleich Hohensalzburg in etwaigen Kriegsfällen.
Die linde Frühlingszeit hatte den jungen Landesherrn verlockt mit ihrem balsamischen Odem, der ihn so sehr an die weichen Lüfte Italiens gemahnte. Wolf Dietrich war, seinem lebhaften Temperament folgend, urplötzlich nach Werfen ausgebrochen, und so saß er nun im bequemen Hausgewand, das aber durch reiche Pelzverbrämung immer noch an fürstlichen Prunk gemahnte, in einer Art Loggia, die auf sein Geheiß in einem Wehrturm der obersten Burgmauer eingebaut worden war, und ließ zeitweilig den Blick schweifen hinüber in das Felsgewirr der wuchtigen Mauer des Tennengebirges und dann wieder hinab