Polly!. Stephen Goldin
von Gottes Plan? Braucht Gott meine achttausend Dollar so dringend? Ist es Gottes Plan, dass ich einen Strafzettel bekomme? Oder dass Barbara mich verlässt? Was macht Gottes Plan für mich? Wo ist diese Decke der Liebe überhaupt? Sie hat einige verdammt groÃe Mottenlöcher!â
Er schlug wütend auf den Knopf um das Radio abzudrehen. Die Feuchtigkeit auf seinem Gesicht war gleich viel Schweià wie Tränen, stach in seinen Augen und machte es schwieriger zu sehen, wo er hinfuhr. Wenn es etwas mehr Verkehr gegeben hätte, hätte er vielleicht Probleme bekommen, aber es war niemand in der Nähe, mit dem er zusammenstoÃen hätte können. Wenigstens gelang es ihm, das Auto auf der StraÃe zu halten.
Sogar die Stille war besser als solchem Mist zuzuhören. Selbst seinen eigenen Gedanken zuzuhören war besser. Obwohl die Gedanken verärgert waren, obwohl sie verwirrt waren, obwohl auch sie bedrückend und voller Verzweiflung waren. Wenigstens waren es seine Gedanken, nicht die eines heuchlerischen Betrügers.
Der Rest seiner Wasservorräte war schnell aufgebraucht, die Hälfte wanderte in seinen Mund, die andere Hälfte über seinen Kopf. Nichts davon schien zu helfen. Es war immer noch unerträglich heiÃ.
Zuerst dachte er, dass das Objekt vor ihm eine Fata Morgana sei. Aber es flimmerte nicht, und es wurde gröÃer, als sich sein Auto näherte, also war es definitiv echt.
Es war eine zweistöckige Villa aus glänzend weiÃem Stein mit Fensterreihen in jeder Etage, die die frühnachmittägliche Sonne reflektierten. Der Haupteingang wurde von einem Ãberbau beschattet, der von einer Reihe strahlend weiÃer Marmorsäulen getragen wurde, und vor dem Haus war ein rechteckiger Fleck grünen Rasens, der sich stark von der öden Wüste rundherum abhob.
Er war schon früher einmal auf dieser StraÃe gefahren und konnte sich nicht erinnern, dass er etwas wie das hier gesehen hatte. Das war allerdings vor ein paar Jahren gewesen, und alles Mögliche hatte in der Zwischenzeit passieren können.
Die Autobahn führte vor dem Haus entlang, aber etwa dreiÃig Meter entfernt. Das Land rundherum war völlig flach und entbehrte jeglicher interessanter Dinge abgesehen von ein wenig Gestrüpp und ein paar einsamen Kakteen hier und da. Selbst die Berge, die in Kalifornien immer gegenwärtig waren, waren nur ein blauer Schmutzfleck am entfernten Horizont.
Er war zu sehr von seinem eigenen Leid eingenommen, als dass er der Villa mehr als nur eine kurze neugierige Aufmerksamkeit widmen hätte können. Seine Depression war eine schwarze Wolke, die alle anderen Anliegen überschattete, also ignorierte er die Villa und fuhr weiter.
Oder zumindest wollte er das. Ohne Vorwarnung begann sein Motor plötzlich zu spucken und starb ab, und der alte Corolla rollte langsam aus und hielt beinahe direkt vor der Einfahrt zu der Villa. Wenigstens schaffte er es noch, den Wagen von der StraÃe zu lenken, sodass er keinen Unfall verursachen konnte, sollte hier noch ein anderes Auto vorbeifahren. Nicht, dass die Wahrscheinlichkeit dafür sehr groà gewesen wäre.
Die Tankanzeige zeigte, dass der Tank halb voll war. Er versuchte ein paar Mal wieder zu starten, aber erhielt nur ein trostloses, surrendes Geräusch als Antwort. âVerdammt!â, schrie er die unbeugsame Maschine an und schlug mit beiden Fäusten auf das Lenkrad. âVerdammt, verdammt, verdammt, verdammt! Wieso ich? Wieso jetzt? Ich wusste, ich hätte dieser Schrottkiste eine solche Reise nicht zumuten sollen.â
Er sah angewidert auf den Stapel Papiere von der Versicherungsfirma auf dem Beifahrersitz unter der Tüte mit den Kleidern, dann stieg er aus und warf wütend die Tür hinter sich zu. Er öffnete die Motorhaube um den Motor anzustarren. Es war ein zweckloses Unternehmen â er hatte keine Ahnung, wonach er suchen sollte, und schon gar nicht, wie er es reparieren könnte.
Ungeduldig sah er auf seine Uhr. Zwölf Uhr fünfunddreiÃig. Die Temperatur war bestimmt schon über fünfunddreiÃig Grad und würde am Nachmittag noch auf die vierzig zugehen. Es regte sich kein Lüftchen. Er würde etwas unternehmen müssen, wenn er die Farm vor Einbruch der Nacht erreichen wollte.
Er griff in seine Hosentasche und zog sein Handy heraus. Das half ihm allerdings auch nichts â das Display zeigte keinen Empfang. Wer würde schlieÃlich schon einen Sendeturm hier drauÃen für Hasen und Präriewölfe aufstellen? Er warf das Handy so weit er konnte in die Wüste. âBin ich dich los!â, rief er ihm nach. âWas bringst du mir schon? Was bringt überhaupt irgendwas?â Er trat das Auto frustriert und zitterte von einem schwer unterdrückten Schluchzen. âWas bringt denn alles noch?â
Was er tun wollte war, zurück ins Auto zu steigen. Auf den Rücksitz. Und sich dort heulend in kleines Häufchen Elend zusammenrollen. Vielleicht sogar Daumen lutschen. Das ganze Universum sollte ihn einfach nur in Ruhe lassen. Das wäre wahrscheinlich noch besser als das, was es in letzter Zeit mit ihm getan hatte.
Er hob seinen Blick und sah das Haus wieder. Nun, zumindest konnte er fragen, ob er von dort aus telefonieren konnte, um die Pannenhilfe zu rufen. Natürlich, so wie ihm das Glück gewogen war, würde niemand zu Hause sein.
Er sah an sich selbst herunter. Obwohl er Wasser über sich gegossen hatte, waren seine Kleider schon wieder staubtrocken in der Wüstenhitze. Er fuhr mit den Fingern ein paar Mal durch sein Haar, als Ersatz für einen Kamm. Dann begann er, die Einfahrt hinauf zu marschieren und war froh, dass es nicht eine dunkle, stürmische Nacht war; dann hätte er vielleicht erwarten können, in das Versteck von Dracula oder Frank N. Furter oder sonst eines Bösewichts zu gehen.
Er war so sehr in die schwarze Wolke seiner Gedanken versunken, dass er schon mehr als die Hälfte der Einfahrt hinter sich gelassen hatte, ehe er den Schneemann sah, der auf dem Rasen neben dem Hauseingang stand. Es musste eine dieser Plastik-Weihnachtsdekorationen sein, überlegte er. Jemand hatte einen komischen Sinn für Humor, dass er ihn im Juli drauÃen stehen lieÃ. Entweder das, oder er war einfach zu faul ihn wegzuräumen.
Als er sich allerdings näherte, sah er immer wirklicher aus. Es war ein Standard-Schneemann aus drei Schneekugeln, wobei die unterste einen Meter Durchmesser hatte, die mittlere siebzig Zentimeter und die oberste vierzig Zentimeter. Seine Augen waren schwarze Pflaumen, seine Nase war eine süÃe Gewürzgurke und sein Mund war ein gepunkteter Strich aus Kirschen, der sich zu einem Lächeln bog. Er trug einen fröhlichen gelb-roten Schal dort, wo sein Hals wäre. Auf seinem Kopf, statt dem traditionellen Hut, hatte er eine Baseballkappe der Oakland As. Seine Arme waren unterproportional dünn, einfach ein paar blattlose Zweige, die in seinen Schultern steckten.
Er ging darauf zu und berührte ihn vorsichtig. Er war kalt. Er war aus Schnee. Und er stand drauÃen auf dem Rasen bei siebenunddreiÃig Grad Hitze unter der gleiÃenden Wüstensonne im Juli.
Langsam entfernte er sich von ihm, ohne ihn dabei aus den Augen zu lassen. Der Schneemann stand einfach nur da und zeigte keinerlei Absichten zu schmelzen.
SchlieÃlich, mit einem schnellen Kopfschütteln, versuchte er, ihn zu vergessen. Es gab zu viele andere Probleme, die wichtiger waren. Er stieg die vier Stufen zu der groÃen Eingangstür hinauf und drückte den Klingelknopf.
Ein paar Sekunden später öffnete sich die Tür und gewährte ihm einen Blick auf die hübscheste junge Frau, die er je getroffen hatte. Sie war klein â er war nur eins dreiundsiebzig und sie reichte kaum bis zu seiner Nase â aber das war dann auch schon das einzige Merkmal, das er an ihr als unterdurchschnittlich bezeichnet hätte. Ihr Körper war perfekt proportioniert, weder zu vollbusig, noch zu jungenhaft. Ihr dunkelbraunes Haar, im Kurzhaarschnitt, umrahmte ein perfektes Gesicht mit groÃen, leuchtend braunen Augen, einer kecken Nase und einem kleinen aber ausdrucksstarken Mund.
Sie trug einen schwarzen Satin-Hosenanzug.