Held, Verräter, Tochter . Морган Райс
sie, dass sie sich in einem Graben befand und nicht lebendig begraben worden war.
Der Graben war kaum breit genug, um darin zu sitzen. Auf keinen Fall hätte sie sich voll ausgestreckt hineinlegen können. Ceres griff nach oben und riss an den Gitterstäben über ihr. Sie versuchte die Kraft in ihr zu wecken, um sie zu biegen oder zu brechen.
Doch nichts geschah.
Jetzt spürte Ceres, wie Panik sich in ihr breit machte. Sie versuchte es ein zweites Mal mit aller Vorsicht, denn sie erinnerte sich daran, wie ihre Mutter sie darauf hingewiesen hatte, dass Ceres bei dem Versuch die Stadt einzunehmen, ihre Kräfte ausgelaugt hatte.
Jetzt fühlte es sich genauso an und doch in vielerlei Hinsicht auch anders. Zuvor hatte es sich so angefühlt als ob die Kanäle, durch die ihre Kraft floss, abgebrannt worden waren bis sie so sehr schmerzten, dass sie sie nicht mehr benutzen konnte und Ceres ausgebrannt zurückließen.
Jetzt fühlte sie sich wie ein normaler Mensch, auch wenn das nichts im Vergleich zu dem war, wie sie sich noch vor einer kurzen Weile gefühlt hatte. Es bestand auch kein Zweifel, was ihr diesen Zustand eingebrockt hatte: Stephania und ihr Gift. Irgendwo, irgendwie hatte sie einen Weg gefunden, Ceres der Kräfte zu berauben, die das Blut der Uralten ihr verlieh.
Ceres konnte den Unterschied zwischen dem, was gerade geschehen war und früheren Situationen spüren. Sonst war es immer wie mit einer Verblendung: mit dem richtigen Mittel kam alles schnell und in vollem Umfang zurück. Doch jetzt fühlte es sich eher an, als hätten Krähen ihr die Augen ausgehakt.
Sie griff dennoch ein weiteres Mal nach den Gitterstäben, hoffend, dass sie sich irrte. Sie gab alles, legte ihre ganze Kraft in den Versuch, die Gitterstäbe zu biegen. Doch sie bewegten sich keinen Millimeter, auch als Ceres so sehr an dem Metall zerrte, dass ihre Handinnenflächen zu bluten begannen.
Sie schrie überrascht auf, als jemand Wasser zu ihr in die Grube goss, sodass sie sich an die Steinwand drückte und dennoch klatschnass wurde. Als Stephania über dem Gitter stehend in ihr Sichtfeld trat, versuchte Ceres sie herausfordernd und böse anzufunkeln, doch das kalte Wasser und fehlende Kraft vereitelten ihren Versuch.
„Das Gift hat also gewirkt“, sagte Stephania ohne weitere Einleitung. „Nun, das sollte es auch. Ich habe auch viel dafür bezahlt.“
Ceres sah, wie sie über ihren Bauch strich, doch Stephania fuhr fort, bevor Ceres fragen konnte, was sie damit meinte.
„Wie fühlt es sich an, wenn dir das einzige genommen wird, das dich auszeichnet?“ fragte Stephania.
Als hätte man mir die Flügel geraubt, sodass ich zu kriechen kaum fähig bin. Doch Ceres würde ihr diese Genugtuung nicht gönnen.
„Waren wir hier nicht schon einmal, Stephania?“ fragte sie stattdessen. „Du weißt doch, wie das ausgeht. Ich entkomme und du bekommst, was du verdienst.“
Stephania ließ daraufhin einen weiteren Wasserregen auf sie niederprasseln, und Ceres sprang an die Stäbe. Sie hörte Stephanias Lachen, und das machte Ceres nur noch wütender. Es war ihr egal, dass sie gerade nicht auf ihre Kräfte zählen konnte. Ihr blieb noch immer die Kampfherrenausbildung und das, was sie von dem Waldvolk gelernt hatte. Sie würde Stephania mit ihren bloßen Händen erwürgen, wenn es sein musste.
„Sieh dich nur an. Wie das Tier, das du nun einmal bist“, sagte Stephania.
Das genügte, um Ceres ein wenig auszubremsen, denn sie wollte Stephania nicht die Macht geben, aus ihr etwas zu machen, das sie wollte.
„Du hättest mich töten sollen, als du die Chance dazu hattest“, sagte Ceres.
„Das wollte ich auch erst“, antwortete Stephania, „doch die Umstände erfordern manchmal Anderes. Sieh dir nur an, wie die Sache zwischen dir und Thanos gelaufen ist. Oder zwischen mir und Thanos. Eigentlich bin ja immer noch ich diejenige, die mit ihm verheiratet ist, oder?“
Ceres musste ihre Hände gegen die Steinwand stemmen, um sich davon abzuhalten, abermals auf Stephania loszugehen.
„Ich hätte dir den Hals durchgeschnitten, wenn ich nicht die Kriegshörner gehört hätte“, sagte Stephania. „Und dann ist mir aufgegangen, dass es nicht schwer sein würde, das Schloss zurückzugewinnen. Und das habe ich dann auch getan.“
Ceres schüttelte den Kopf. Sie konnte es nicht glauben.
„Ich habe das Schloss befreit.“
Sie hatte mehr als nur das getan. Sie hatte es mit Rebellen gefüllt. Sie hatte diejenigen eingesperrt, die dem Reich weiter die Treue geschworen hatten. Den anderen hatte sie durchaus eine zweite Chance gegeben, sie hatte…
„Ah, du fängst an, es zu verstehen, oder?“ fragte Stephania. „All die Menschen, die so schnell waren, dir für ihre Freiheit zu danken, haben sich mir genauso schnell wieder angeschlossen. Ich muss sie im Auge behalten.“
„Da solltest du Einiges im Auge behalten“, zischte Ceres zurück. „Glaubst du etwa, dass die Kämpfer der Rebellion dich hier rumsitzen lassen und zusehen, wie du Königin spielst? Oder etwa die Kampfherren?“
„Ah“, sagte Stephania mit einer überzogen gespielten Verlegenheit, die Ceres fürchten ließ, was als Nächstes kommen würde. „Ich fürchte, dass ich im Bezug auf die Kampfherren schlechte Neuigkeiten für dich habe. Wie sich herausgestellt hat, sterben auch die besten Kämpfer, wenn man einen Pfeil in ihr Herz jagt.“
Sie sagte das so beiläufig, so spöttisch, doch wenn es auch nur zur Hälfte der Wahrheit entsprach, dann brach es Ceres das Herz. Sie hatte neben den Kampfherren gekämpft. Sie hatte mit ihnen zusammen trainiert. Sie waren ihre Freunde und Verbündeten gewesen.
„Du genießt es, grausam zu sein“, sagte Ceres.
Doch überraschenderweise schüttelte Stephania ihren Kopf.
„Lass mich raten. Du denkst, dass ich kaum besser bin als dieser Idiot Lucious? Ein Mann, der keine Freude empfinden konnte, außer ein anderer schrie vor Schmerzen? Du glaubst, dass ich so bin?“
Es schien eine zutreffende Beschreibung zu sein, soweit Ceres das beurteilen konnte. Vor allem angesichts all dessen, was wahrscheinlich gleich geschehen würde.
„Nicht?“ fragte Ceres. „Oh, Verzeihung, wie konnte ich nur denken, dass du mich zum Sterben in eine Steingrube gesperrt hast.“
„Um dich zu foltern eigentlich“, sagte Stephania. „Nur für dich. Du verdienst genau das nach allem, was du versucht hast, mir wegzunehmen. Thanos gehörte mir.“
Vielleicht glaubte sie das wirklich. Vielleicht dachte sie wirklich, dass es normal sei, seine Rivalen in Beziehungen und Leben einfach zu ermorden.
„Und alles andere?“ fragte Ceres. „Wirst du jetzt versuchen, mich zu überzeugen, dass du eigentlich eine nette Person bist, Stephania? Ich glaube das Schiff ist in dem Moment abgefahren, in dem du mich auf die Gefangeneninsel geschickt hast.“
Vielleicht hätte sie sich nicht derart über sie lustig machen sollen, denn Stephania hob einen dritten Eimer mit Wasser empor. Sie schien einen Moment lang nachzudenken, zuckte mit den Schultern und ergoss seinen eiskalten Inhalt über Ceres.
„Von Nettigkeit war hier keine Rede, du dumme Bäuerin“, raunte sie der bibbernden Ceres zu. „Wir leben in einer Welt, in der dir ohne zu fragen alles genommen wird. Vor allem wenn du eine Frau bist. Gauner wie Lucious gibt es überall. Es gibt immer welche, die nehmen und nehmen.“
„Deshalb haben wir gekämpft“, sagte Ceres. „Wir haben die Menschen befreit! Wir beschützen sie.“
Sie hörte Stephania lachen.
„Du glaubst wirklich, dass dieser Leichtsinn funktioniert, oder?“ fragte Stephania. „Du glaubst an das Gute im Menschen und dass alles gut wird, wenn man ihnen nur eine Chance gibt.“
Sie sagte das, als wäre es etwas, über das man sich lustig machte und nicht eine gute Lebensphilosophie.
„Das Leben ist nicht so“, fuhr Stephania fort. „Das Leben ist wie ein Kriegszustand, in dem jedes Mittel recht ist, sich durchzuschlagen. Man gibt niemandem Macht