Die Kugel von Kandra . Морган Райс

Die Kugel von Kandra  - Морган Райс


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Esther unter Umständen nicht mehr in die Schule zurückkehren durfte. Es hatte ihm fast das Herz gebrochen, als er gehen musste, und er hätte es nie getan, wenn es nicht um Armandos Leben gegangen wäre. Was hatte also Esther dazu bewogen, ihm nachzureisen? Vielleicht eine Aufgabe? Eine Mission? War die Schule womöglich in Gefahr?

      „Es ist wirklich schön, dich zu sehen, aber warum bist du hier, Esther?“

      Esther lächelte. „Du hast mir doch ein zweites Date versprochen.“

      Erstaunt sah er sie an. „Du bist meinetwegen gekommen?“

      Sie war das Risiko eingegangen, für immer von der Schule ausgeschlossen zu werden und in einer falschen Zeitachse gefangen zu sein, nur um ihn zu sehen?

      Mit erröteten Wangen wandte sie den Blick ab. „Ich dachte, du brauchst vielleicht Hilfe.“

      Auch wenn er ihre Entscheidung nicht nachvollziehen konnte, war Oliver dankbar, dass sie gekommen war. Bedeutete das womöglich, dass sie ihn liebte? Ihm fiel kein anderer Grund ein, warum man ein solches Opfer für einen anderen Menschen bringen sollte.

      Ihm wurde warm ums Herz. Schnell wechselte er das Thema.

      „Wie war deine Reise? Ich hoffe du bist unversehrt“, sagte er.

      Esther rieb sich den Bauch. „Ehrlich gesagt ist mir ziemlich schlecht geworden. Und ich habe Kopfschmerzen. Aber sonst geht es mir gut.“

      Oliver dachte an sein Amulett. Er wollte es Esther zeigen und nahm es vom Hals. „Schau mal, Professor Amethyst hat mir das hier gegeben, bevor ich gegangen bin.“

      Esther ließ vorsichtig ihre Finge darüber gleiten. „Ein Portal-Detektor! Er wird heiß, wenn ein Wurmloch in der Nähe ist, oder?“ Sie lächelte. „Vielleicht bringt er uns eines Tages zurück zur Schule.“

      „Seit ich hier bin, ist es eisig kalt geblieben“, entgegnete Oliver betrübt.

      „Keine Sorge, wir haben jede Menge Zeit“, sagte sie und lächelte über ihren eigenen Witz.

      Oliver lachte.

      „Ich habe eine neue Mission“, sagte Oliver dann.

      Esther sah ihn aufgeregt an. „Wirklich? Was ist es?“

      Oliver zeigte ihr den Kompass. Esther bewunderte ihn staunend.

      „Der ist wunderschön. Was hat er zu bedeuten?“

      Oliver zeigte auf die hieroglyphenähnlichen Symbole. „Ich glaube, er bringt mich zu meinen richtigen Eltern. Schau dir das hier an.“ Er zeigte ihr das Symbol für die Frau und den Mann, die sich an den Händen hielten. „Es ist das einzige, das sich noch nicht verändert hat. Die anderen Symbole bewegen sich immer so, dass ich einen Anhaltspunkt bekomme, wohin ich als nächstes gehen muss.“

      „Oh Oliver! Das ist so aufregend! Was ist dein nächstes Ziel?“

      Er zeigte auf das Eichenblatt. „Boston.“

      „Warum gerade Boston?“

      „Ich bin nicht sicher, aber ich soll dort jemanden treffen, der mich vielleicht zu meinen Eltern führen kann“, erklärte Oliver und steckte den Kompass wieder in die Hosentasche.

      Esther nahm seine Hand. „Dann lass uns gehen.“

      „Du willst mitkommen?“

      „Ja“, sagte sie schüchtern. „Wenn du mich mitnimmst.“

      „Natürlich!“

      Oliver grinste. Auch wenn er nicht nachvollziehen konnte, wie Esther so gelassen hinnehmen konnte, dass sie vielleicht für immer in der falschen Zeit feststeckte, gab ihre Anwesenheit ihm doch neue Kraft. Alles erschien ihm plötzlich viel hoffnungsvoller und schicksalhafter. Mit Esther an seiner Seite war er noch stärker und seine Suche würde auch viel mehr Spaß machen.

      Sie gingen die Treppe hinunter und ließen die Campbell Junior High hinter sich. Seite an Seite gingen sie in Richtung Bahnhof. Esthers Hand fühlte sich warm und weich an. Sie beruhigte ihn.

      Obwohl es ein kühler Oktobertag war, war ihm überhaupt nicht kalt. Ihre Nähe hielt ihn warm, so sehr freute er sich, sie zu sehen. Aber gleichzeitig befürchtete er, dass sie nur eine Fata Morgana war, die jeden Moment verschwinden könnte. Während sie nebeneinander hergingen, sah er sie immer wieder an, nur um sicherzustellen, dass sie wirklich echt war. Jedes Mal schenkte sie ihm ihr süßes, schüchternes Lächeln, und ihm wurde aufs Neue ganz warm ums Herz.

      Sie erreichten den Bahnhof und gingen zum Bahnsteig. Oliver hatte noch nie zuvor ein Zugticket gekauft. Der Fahrkartenautomat sah irgendwie einschüchternd aus. Aber dann dachte er daran, wie er eine Bombe entschärft hatte. Ganz sicher konnte er herausfinden, wie man diesen Automaten bediente.

      Bald hatte er zwei Tickets nach Cambridge, Boston, gekauft. Er entschied sich vorerst nur für eine einfache Fahrt, da er keine Ahnung hatte, ob er jemals nach New Jersey zurückkehren würde. Der Gedanke beunruhigte ihn etwas.

      Der Zug nach Cambridge würde über vier Stunden dauern. Nachdem sie eine Weile gewartet hatten, beobachteten sie, wie er auf den Gleis einfuhr. Dann stiegen sie ein und suchten sich einen ruhigen Platz, an dem sie es sich für die lange Reise gemütlich machten.

      „Wie geht es den anderen?“, fragte Oliver. „Ralph, Hazel, Walter und Simon?“

      Esther lächelte. „Es geht ihnen gut. Aber sie vermissen dich. Vor allem Walter. Er hätte dich zu gerne wieder bei Switchit dabei.“

      Oliver lächelte. Er vermisste seine Freunde auch.

      „Und die Schule ist sicher? Keine Angriffe mehr?“, fragte er zögerlich.

      Die Erinnerung an Lucas und seine Armee von bösartigen Sehern bereitete ihm Gänsehaut. Auch wenn er vorerst in dieser Zeitachse gefangen war, hatte Oliver das Gefühl, dass er den bösen alten Mann nicht zum letzten Mal gesehen hatte.

      „Nein, keine Angriffe mehr von Fledermäusen mit leuchtenden Augen“, entgegnete Esther.

      Oliver dachte an diesen schrecklichen Moment während ihres ersten Dates. Sie waren durch die Gärten spaziert und Esther hatte ihm von ihrem Leben, ihrer Familie und ihrer Kindheit in New Jersey in den 70er Jahren erzählt, als der Angriff sie überraschte.

      Erst jetzt fiel ihm auf, dass sie ihr Gespräch nie zu Ende geführt hatten. Es hatte sich keine Gelegenheit mehr gegeben, über ihr Leben vor der Schule zu reden und sie besser kennen zu lernen.

      „Wir kommen aus derselben Gegend, oder?“, fragte er.

      Sie schien überrascht, dass er sich daran erinnerte und sie gerade jetzt darauf ansprach. „Ja, aber wir waren um die dreißig Jahre auseinander.“

      „Findest du es nicht komisch, durch die vertrauten Straßen zu gehen, aber alles ist anders, weil so viel Zeit vergangen ist?“

      „Seit ich auf die Schule für Seher gehe, finde ich gar nichts mehr komisch“, entgegnete sie. „Ich habe eher Angst davor, mir selbst zu begegnen. Stell dir das mal vor! Ob die Dimension dann zusammenbricht?“

      Oliver überlegte. Ihm fiel ein, dass Lucas als alter Mann in die Vergangenheit gereist war, um seinem jüngeren Ich in seine Machenschaften hineinzuziehen. „Ich glaube, es passiert nichts. Zumindest so lange du nicht merkst, dass du es bist. Ergibt das Sinn?“

      „Ich glaube, ich will es lieber nicht riskieren“, sagte sie daraufhin.

      Oliver beobachtete, wie ihr Gesichtsausdruck ernst wurde. Etwas beschäftigte sie.

      „Wärst du nicht neugierig, deine Familie oder dich selbst zu treffen?“, fragte er.

      Schnell schüttelte sie den Kopf. „Ich habe sieben Geschwister, Oliver. Wir haben uns immer nur gestritten und ich war immer der Außenseiter.


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