Soll und Haben. Gustav Freytag

Soll und Haben - Gustav Freytag


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er wieder auf, riß an der Klingel und ließ Ehrenthal zu sich fordern.

      Zufälligerweise war der Händler verreist. Unterdes sprachen in dem Freiherrn die freundlichen Stimmen, welche in der Menschenbrust mit klugen und gewählten Worten alles Bedenkliche in ein gutes Licht zu setzen wissen. Wie war die ganze Angst so töricht! Es gab viele hundert Leute am Oberlauf des Stromes, die mit Holz handelten, es war ja sehr unwahrscheinlich, daß gerade jener Betrüger der Mann Ehrenthals sein sollte. Und selbst in diesem Fall, wie groß war sein eigenes Unrecht bei dem ganzen Ereignis? Klein, sehr klein, für einen Geschäftsmann nicht zu erkennen. Ja selbst Ehrenthal, was konnte er dafür, wenn der Verkäufer das Geld zu einem Betrug angewandt hatte? Es war doch alles ehrlich und gesetzlich gekauft worden. – So sprach es fortwährend begütigend in dem Freiherrn, ach, und welche Mühe gab sich der Herr, all diese Stimmen recht deutlich zu hören.

      Als Ehrenthal endlich ankam und hastig zum Freiherrn eilte, trat ihm dieser mit einem Gesicht entgegen, das den Händler wirklich erschreckte. »Wie heißt der Mann, von dem Sie das Holz gekauft haben?« fragte der Herr heftig an der Tür.

      Ehrenthal stand betroffen, auch er hatte eine Zeitung gelesen und verstand, was in der Seele des Edelmanns vorging. Er nannte einen beliebigen Namen.

      »Und wie heißt der Ort, wo das Holz lag?« klang die zweite Frage etwas ruhiger. Herr Ehrenthal nannte einen beliebigen Ort.

      »Ist das die Wahrheit, was Sie mir sagen?« fragte der Freiherr tief aufatmend zum drittenmal.

      Da Herr Ehrenthal sah, daß er einen Kranken vor sich hatte, so behandelte er ihn mit der Milde, welche dem Arzt so gut ansteht. »Was sich der Herr Baron für Sorge machen!« sagte er kopfschüttelnd. »Ich glaube, der Mann, mit dem ich habe gemacht das Geschäft, hat seinen guten Vorteil dabei gehabt. Es sind große Eichenlieferungen ausgeschrieben, dabei sind für einen, der dort oben wohnt, hundert Prozent zu verdienen. Ich glaube, er wird sie haben verdient. Das Geschäft, welches ich mit ihm gemacht habe, ist gewesen gut und sicher, wie es kein Kaufmann von der Hand weisen wird. Und wenn er auch ein schlechter Mensch wäre, was haben Sie, gnädiger Herr, darum zu sorgen? Ich habe keinen Grund gehabt, Ihnen den Namen des Mannes und des Ortes zu verbergen, ich habe Ihnen doch beides damals nicht gesagt, weil nicht Sie gemacht haben das Geschäft, sondern ich. Ich bin gewesen Ihr Schuldner, und ich habe Ihnen zurückgezahlt das Geld mit einer Provision. Mit einer guten Provision, das ist wahr. Ich habe seit Jahren vieles bei Ihnen verdient, warum soll ich nicht zuerst Ihnen den Vorteil gönnen, den ich jedem andern auch gegeben hätte? Was machen Sie sich Sorgen, Herr Baron, um Dinge, die nicht sind!«

      »Das verstehen Sie nicht, Ehrenthal«, sagte der Gutsherr freundlicher. »Es ist mir lieb, daß die Sache so steht. Wäre der Betrüger jener Mann gewesen, mit dem Sie gehandelt haben, so hätte ich unser Verhältnis abgebrochen, ich hätte Ihnen nie verziehen, daß Sie mich wider meinen Willen zum Mitschuldigen eines Betrugs machten.«

      Ehrenthal wurde entlassen, und der Freiherr wurde von einer schweren Sorge befreit. Er beschloß, sich näher nach jenem beliebigen Namen und dem unbekannten Dorfe zu erkundigen. Er erkundigte sich aber nicht danach; durch die überstandene Angst war ihm die Erinnerung an das Geldgeschäft sehr peinlich geworden, und er mühte sich, gar nicht mehr daran zu denken.

      Er war ein zartfühlender, guter Herr, und Ehrenthal war derselben Meinung, denn als er die Treppe hinunterging, murmelte er vor sich hin: »Er ist gut, der Baron, er ist gut!«

      7

      Anton stand unter der gemeinsamen Oberhoheit der Herren Jordan und Pix und entdeckte bald, daß er die Ehre hatte, kleiner Vasall eines großen Staatskörpers zu sein. Was die unerfahrene Außenwelt höchst oberflächlich unter dem Namen Kommis zusammenfaßt, das waren für ihn, den Eingeweihten, sehr verschiedene, zum Teil Ehrfurcht gebietende Ämter und Würden. Der Buchhalter, Herr Liebold, thronte als geheimer Minister des Hauses an einem Fenster des zweiten Kontors in einsamer Majestät und geheimnisvoller Tätigkeit. Unaufhörlich schrieb er Zahlen in ein ungeheures Buch und sah nur selten von seinen Ziffern auf, wenn sich ein Sperling auf die Gitterstäbe des Fensters setzte oder wenn ein Sonnenstrahl die eine Fensterecke mit gelbem Glanze überzog. Herr Liebold wußte, daß der Sonnenstrahl nach den altertümlichen Gesetzen des Universums in keiner Jahreszeit weiter dringen durfte als bis zur Spitze des Fensterbretts, aber er konnte sich doch nicht enthalten, ihm plötzliche Überfälle auf das Hauptbuch zuzutrauen, und beobachtete ihn deshalb mit argwöhnischen Blicken.

      Mit der Ruhe in seiner Ecke kontrastierte die ewige Rührigkeit in der entgegengesetzten. Dort wartete in besonderem Verschlage der zweite Würdenträger, der Kassierer Purzel, umgeben von eisernen Geldkasten, schweren Geldschränken und einem großen Tisch mit einer Steinplatte. Auf dem Tische klangen die Taler, klirrte das goldene Blech der Dukaten, flatterte geräuschlos das graue Papiergeld vom Morgen bis zum Abend. Wer die Pünktlichkeit als allegorische Figur in Öl malen wollte, der mußte ohne Widerrede Herrn Purzel abmalen und durfte höchstens das antike Kostüm dadurch andeuten, daß er mit künstlerischer Lizenz Herrn Purzel die Strümpfe über die Stiefel und das weiße Oberhemd über den Kontorrock herüber malte. Alles hatte in der Seele des Herrn Purzel eine eisenfeste unveränderliche Stellung, unser Herrgott, die Firma, der große Geldkasten, der Wachsstock, das Petschaft. Jeden Morgen, wenn der Kassierer in seinen Verschlag getreten war, begann er seine Amtstätigkeit damit, daß er die Kreide ergriff und einen weißen Punkt auf den Tisch malte, um der Kreide selbst die Stelle zu bezeichnen, wo sie sich den Tag über aufzuhalten hatte. Er stand nicht allein in seiner wichtigen Amtstätigkeit. Ein alter Hausdiener war seine Ordonnanz, die als Ausläufer mit Geldsäcken und Papiergeld den Tag über nach allen Richtungen der Stadt trabte. Es ist wahr, daß die Ordonnanz an der Eigentümlichkeit litt, gegen Abend sehr feurig auszusehen und in einer persönlichen Abhängigkeit von starkem Getränk zu stehen. Aber diese starke Eigenschaft vermochte nicht ihre Treue und Besonnenheit zu erschüttern, ja sie schärfte die Erfindungskraft der Ordonnanz, denn nie hat eines Menschen Gewand so viele geheime Taschen mit Knöpfen und Schnallen gehabt als der Rock des Ausläufers, und nach jedem Glase, das er getrunken, steckte er die Banknoten in einen noch geheimeren Verschluß.

      In dem vorderen Kontor war Herr Jordan die erste Person, der Generalstatthalter seiner kaiserlichen Firma. Er war der Aristo der Korrespondenten, erster Kommis des Hauses, hatte die Prokura und wurde von dem Prinzipal zuweilen um seine Ansicht befragt. Er blieb für Anton, was er schon am ersten Tage gewesen war, ein treuer Ratgeber, ein Muster von Tätigkeit, der gesunde Menschenverstand in Person.

      Von den Korrespondenten des Kontors, welche unter Anführung des Herrn Jordan Briefe schrieben und Bücher führten, war für Anton neben Herrn Specht, dem Sanguiniker, am interessantesten Herr Baumann, der künftige Apostel der Heiden. Der Missionar war nicht nur ein Heiliger, sondern auch ein sehr guter Rechner. Er war untrüglich in allen Reduktionen von Maß und Gewicht, warf die Preise der Waren aus und besorgte die Kalkulation des Geschäftes. Er wußte mit Bestimmtheit anzugeben, nach welchem Münzfuß die Mohrenfürsten an der Goldküste rechneten und wie hoch der Kurs eines preußischen Talers auf den Sandwichinseln war. Herr Baumann war Antons Stubennachbar und fühlte sich durch die gute Art unseres Helden so angezogen, daß er ihm in kurzer Zeit seine Neigung zuwandte und in den Abendstunden zuweilen seinen Besuch gönnte. Den übrigen stand er fern und ertrug mit christlicher Geduld ihre Spöttereien über seine Pläne.

      Auch außerhalb des Hauses hatte die Firma noch einige Würdenträger. Da war Herr Birnbaum, der Zollkommis, welcher nur selten im Kontor sichtbar wurde und nur des Sonntags am Tische des Prinzipals erschien, ein exakter Mann, der draußen auf dem Packhof herrschte. Er hatte die Zollprokura für die Geschäfte nach dem Auslande, das gewichtige Recht, den Namen T. O. Schröter unter die Begleitscheine des Hauses zu setzen. Wenn einer von den Herren der Handlung den Namen eines Beamten verdiente, so war es dieser Herr, er trug auch seinen Rock stets zugeknöpft, wie seine Freunde, die Steueroffizianten. Ferner war da der Magazinier des Geschäftes, der die Kontrolle über die verschiedenen Magazine in der Stadt hatte, die Assekuranzen besorgte und auf dem Markte die großen Einkäufe in Landesprodukten machte. Herr Balbus war durchaus kein feiner Mann, er war von Haus aus sehr arm, und seine Schulbildung war mangelhaft, aber der Prinzipal behandelte ihn mit großer Achtung. Anton erfuhr, daß er seine Mutter und eine kranke Schwester durch sein Gehalt erhielt.

      Aber


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