Soll und Haben. Gustav Freytag

Soll und Haben - Gustav Freytag


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der Entrüstung und weist schweigend nach der Tür. Der Händler geht und dreht an der Tür um.

      »Jetzt kommt’s«, sagt Fink. Darauf kehrt der Händler zurück und spricht mit mehr Haltung: »39½, wenn Sie es dafür wollen nehmen.«

      Nach einigem Zögern bemerkt Fink wie gelegentlich: »Es mag sein.« Worauf Schmeie Tinkeles ganz umgewandelt ist, sich als liebenswürdiger Freund der Handlung erweist und angelegentlich nach dem Befinden des Prinzipals erkundigt.

      Und wieder knarrte nach diesem Intermezzo die Tür, neue Käufer und Verkäufer kamen, die Menschen sprachen, und Federn knisterten, das Geld rollte unaufhörlich.

      Auch der Haushalt, dem Anton jetzt angehörte, erschien ihm sehr fremdartig und mächtig.

      Das Haus selbst war ein altes, unregelmäßiges Gebäude mit Seitenflügeln, kleinen Höfen und Hinterhäusern, voll von Mauern und kleinen Treppen, von geheimnisvollen Durchgängen, wo kein Mensch welche vermutete, von Korridoren, Nischen, tiefen Wandschränken und Glasverschlägen. Es war ein durchaus künstlicher Bau, an dem Jahrhunderte gearbeitet hatten, um ihn für späte Enkel so schwierig und unverständlich als irgend möglich zu machen. Und doch sah er im ganzen betrachtet behaglich aus und umfaßte mit seinen Mauern eine große Welt voll Menschen und Interessen. Der ganze Raum unter dem Gebäude und unter seinen Höfen war zu Kellern gewölbt und bis an die Gewölbgurte mit Waren gefüllt; das ganze Parterre gehörte der Handlung und enthielt außer den Kontorzimmern fast nichts als Warenräume. Darüber lagen im Vorderhause die Säle und Zimmer, in denen der Kaufherr selbst wohnte. Herr Schröter war nur kurze Zeit verheiratet gewesen, in einem Jahr hatte er Frau und Kind verloren; seit dem Tode seiner Eltern war eine Schwester alles, was er von Familie besaß.

      Streng hielt der Kaufmann auf den alten Brauch seiner Handlung. Alle Herren des Kontors, welche nicht verheiratet waren, wohnten in seinem Hause, gehörten seinem Haushalte an und aßen alle Mittage Punkt ein Uhr an dem Tisch des Prinzipals. Am Morgen nach Antons Eintritt hatte Herr Schröter nur wenige Worte mit ihm gewechselt und ihn darauf Herrn Jordan und dem Provinzialgeschäft übergeben. Jetzt, einige Minuten vor der Mittagsstunde, war Anton in die Zimmer des ersten Stocks bestellt, um der Dame des Hauses vorgestellt zu werden. Erwartungsvoll stieg er die Teppichstufen der breiten Treppe hinauf, der Bediente öffnete und führte ihn durch eine Reihe von Gemächern in das Empfangszimmer. Anton sah auf seinem Wege mit Erstaunen den ruhigen und soliden Glanz der Einrichtung, die großen Wandspiegel, schwere Stoffe, Gemälde, Blumentische, zahlreiche Vasen und Fruchtschalen von Stein und gemaltem Porzellan. Der Diener schlug eine Portiere zurück, und Anton machte auf dem glatten Parkettboden eine tiefe Verbeugung, als der Prinzipal ihn einer jungen Dame vorstellte und dazusetzte: »Meine Schwester Sabine.«

      Fräulein Sabine zeigte über dem eleganten Sommerkleide ein feines bleiches Gesicht, von rabenschwarzem Haar eingefaßt. Sie war nicht älter als Anton, aber sie hatte die Würde und Haltung einer Hausfrau. Sie nötigte, Platz zu nehmen, und fragte ihn teilnehmend, wie er sich eingerichtet habe und ob er noch irgend etwas vermisse.

      »Meine Schwester regiert uns alle«, sagte der Kaufmann mit einem freundlichen Blick auf die Dame, »machen Sie hier Ihre Bekenntnisse, wenn Sie irgendeinen wirtschaftlichen Wunsch haben; sie ist eine gute Fee, welche den Haushalt in Ordnung hält.«

      Anton sah zu der Fee auf und antwortete schüchtern: »Ich habe bis jetzt alles weit glänzender gefunden, als ich von Hause aus gewöhnt bin.«

      »Ihr Leben wird Ihnen bei alledem mit der Zeit einförmig erscheinen«, fuhr der Kaufmann fort, »es ist eine strenge Regelmäßigkeit in unserm Hause. Sie haben viel Arbeit und wenig Zerstreuung zu erwarten; meine Zeit ist sehr in Anspruch genommen, auch nach dem Schluß des Kontors. Wenn Sie aber in irgendeiner Angelegenheit Rat oder Hilfe wünschen, so bitte ich, sich vor allem an mich zu wenden.«

      Nach dieser kurzen Audienz erhob er sich und führte Anton nach dem Speisezimmer. Auf dem Wege setzte er ihm die Stellung eines Lehrlings im Geschäft auseinander. Anton fand seine Kollegen bereits aufgestellt und in bescheidener Toilette das Mahl erwartend; Sabine trat ein und mit ihr eine ältliche Dame, eine entfernte Verwandte der Familie, welche dem Fräulein in der Wirtschaft half und sehr gutmütig aussah. Die Herren vom Kontor machten den Damen ihre Verbeugung, und Anton erhielt seinen Platz am Ende einer langen Tafel, zwischen den jüngsten seiner Kollegen. Ihm gerade gegenüber saß Sabine, neben dieser ihr Bruder, auf der andern Seite die Verwandte, neben dieser Herr Fink und dahinter alle übrigen genau nach Rang und Alter im Geschäft. Es war im ganzen ein stilles Diner, welches eingenommen wurde, Antons Nachbarn sprachen nur wenig und mit gedämpfter Stimme, das Gespräch wurde fast ausschließlich von dem Prinzipal geleitet. Nur der Jockei von gestern benahm sich mit größter Unbefangenheit, erzählte kleine lächerliche Geschichten, wußte andere Leute vortrefflich in Stimme und Haltung nachzuahmen und bewies seiner Nachbarin, der gutmütigen Tante, eine fast übertriebene Aufmerksamkeit. Kurz, Anton, dessen Herz bereits voller Pietät und Ehrfurcht war, sah mit einer Art von frommem Entsetzen, daß Fink den ganzen Tisch so behandelte, als wäre die Tafel nur seinetwegen gedeckt und als hätte der Kaufherr nur deshalb ein Geschäft, damit Fink, sein Volontär, leichtsinnige Scherze machen und alle Anwesenden dreist anreden könnte. Dabei glaubte er wahrzunehmen, daß der Kaufherr selbst den jungen Herrn mit Kälte behandelte, und ferner, daß Fink sich sehr wenig um dies zurückhaltende Wesen des Kaufherrn kümmerte. Der Diener im schwarzen Frack servierte mit größter Akkuratesse, und als sich die Herren vom Geschäft mit einer Verbeugung erhoben und ihre Stühle wegrückten, nahm Anton aus dem Speisesaal die Überzeugung mit hinaus, daß er noch nie so vornehm und feierlich sein Mittagsbrot verzehrt habe.

      ›Mit allen werde ich zurechtkommen, nur mit diesem Herrn Fink nicht‹, sagte sich Anton den Tag über, ›er ist zu dreist und zu stolz. Auch sitzen blieb er, als alle von unserm Geschäft aufstanden. Er paßt nicht hierher‹, entschied der neue Ankömmling mit einer Weisheit, in welcher mehr Instinkt als Erfahrung war. Seit der Zeit sah Anton mit einiger Scheu auf Herrn von Fink, er mußte aber oft nach ihm hinsehen und sich viel um ihn kümmern, denn das Wesen des Gentlemans imponierte ihm doch sehr; der edel geformte Kopf, ein schmales Gesicht mit feinen Zügen, die sichere Haltung und die kurze Entschlossenheit in Bewegungen und Worten. Anton getraute sich kaum, ihn anzureden, und Fink gab ihm keine Veranlassung dazu, denn er schien von der Anwesenheit des neuen Lehrlings nichts mehr zu wissen. Nur einmal, als Anton zufällig vor Fink die Treppe des Hinterhauses hinaufging, redete ihn dieser an: »Nun, Master Wohlfart, wie gefällt es Ihnen in diesem Hause?«

      Anton blieb stehen und sagte, wie sich für einen guten Jungen schickt: »Ausgezeichnet! Ich sehe und höre so viel Neues, daß ich noch gar nicht zu mir selbst kommen kann.«

      »Sie werden das alles gewohnt werden«, lachte Fink. »Wie an einem Tage geht es das ganze Jahr ohne Veränderung fort. Am Sonntage ein Gericht mehr und ein Glas Wein vor jedem Kuvert, und Sie werden guttun, dazu Ihren Leibrock anzuziehen. Sie sind jetzt als Rad eingefügt in die Maschine, und es wird von Ihnen erwartet, daß Sie das ganze Jahr regelmäßig abschnurren.«

      »Ich weiß, daß ich fleißig arbeiten muß, um das Vertrauen Herrn Schröters zu erwerben«, antwortete der kleine Philister, gereizt durch die rebellische Gesinnung des Volontärs.

      »Eine tugendhafte Bemerkung«, spottete dieser. »In wenigen Wochen werden Sie sehen, mein armer Junge, welch ein himmelweiter Unterschied ist zwischen dem Herrn des Geschäfts und den Leuten, welche seine Briefe schreiben und seine Kunden abfertigen. Kein Fürst auf Erden lebt so stolz und einsam unter seinen Vasallen wie dieser Kaffeebeherrscher in seinem Reiche. Lassen Sie sich übrigens durch meine Rede nicht stören«, fügte er mit etwas mehr Gutmütigkeit hinzu, »das ganze Haus wird Ihnen sagen, daß ich unzurechnungsfähig bin. Da Sie mir aber aussehen wie ein hoffnungsvoller Kontorist, so will ich Ihnen noch einen ehrlichen Rat geben. Kaufen Sie sich einen englischen Sprachlehrer und machen Sie, daß Sie fortkommen, bevor Sie hier einrosten. Alles, was Sie hier lernen, wird Sie noch nicht zu einem tüchtigen Menschen machen, wenn Sie anders das Zeug haben, überhaupt einer zu werden. Guten Abend!« Mit diesen Worten drehte Fink unserm Anton den Rücken und ließ diesen wieder ärgerlich über den hohen Ton, den der Jockei angenommen hatte, zurück.

      Wohl empfand unser Held nach einiger Zeit mitten in dem Rauschen des Geschäftslebens die ewige Gleichförmigkeit der Stunden


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