Soll und Haben. Gustav Freytag
bei dem abzuschließenden Geschäftsvertrag bis jetzt keine günstige war, suchte er sie dadurch zu verbessern, daß er tiefer auf die Sache einging und entgegenwarf: »Ich kann vielleicht leisten einen Dienst morgen früh, wo Markttag ist, weil ich kenne die meisten Kutscher von den Herren, welche hereinkommen mit Raps.«
»Was Raps! Was tue ich mit Raps? Was will er reden vom Geschäft?« schleuderte ihm Hirsch Ehrenthal noch grimmiger entgegen.
Aber unerschüttert fuhr Veitel fort, sich herauszustreichen wie ein seidenes Halstuch: »Ich bin auch sonst bekannt in der Stadt, ich kenne die Makler und die kleinen Leut’ und kann dem Herrn helfen bei jedem Geschäft, das er machen will im Haus und außer dem Haus.« Und um seinen Selbstverkauf dem Abschluß näherzubringen, fügte er mit resignierter Miene hinzu: »Ich bin nicht so stolz, daß ich will wohnen in dem Hause bei Herrn Hirsch Ehrenthal; wenn der Herr Ehrenthal für mich nicht hat ein Bett in seinem Hause, so will ich mir suchen mein Lager in der Nähe bei einem Wirt.«
Herr Ehrenthal wurde durch die Anspruchslosigkeit so weit gerührt, daß er den Burschen noch einmal von oben bis unten ansah und mit mehr Herablassung fragte: »Sind deine Papiere in Ordnung, daß du mich in keine Unannehmlichkeiten bringst mit der Polizei?«
Veitel beruhigte ihn über diesen wichtigen Punkt; eine uralte große Brieftasche flog plötzlich auf geheimnisvolle Weise aus den Falten seiner schlottrigen Jacke; aus ihr suchte er seine Legitimation heraus.
Herr Ehrenthal faßte das Papier mit einem geschickt angenommenen Widerwillen gegen dessen gelbliche Farbe und sah es genau durch, Unterschrift, Siegel und alles, indem er es sogar gegen das Licht hielt. Veitel wartete gespannt, ob er das Dokument behalten würde; wenn er es in der Hand behielt, so war das Geschäft zum Abschluß reif.
Als Herr Ehrenthal das Dokument nachlässig in der Hand wiegte, versuchte Itzig, mit unterwürfiger Vertraulichkeit zu lächeln. »Wenn ich dich in meinen Dienst nehme«, sprach der Hausherr, »so wirst du machen alles in meinem Hause, was ich dir werde auftragen oder Madame Ehrenthal oder mein Sohn Bernhard Ehrenthal; du wirst putzen die Stiefel am Morgen und die Schuhe meiner Frau, du wirst holen in die Küche, was dir die Köchin sagen wird, in meinem Geschäft wirst du machen alle Gänge, die ich habe zu machen, und wirst ausrichten alle Bestellungen.«
»Ich will, Herr Ehrenthal«, sagte Veitel demütig, »ich will alles tun, daß Sie seien zufrieden mit mir.«
»Frühstück und Mittagessen wird dir geben die Köchin, am Abend von sieben Uhr kannst du sein dein eigener Herr.« – Veitel nahm mit derselben Bereitwilligkeit auch diese Bedingung an und bemerkte nur: »Kann ich nicht haben am Morgen ein bis zwei Stunden für mich?«
»Nein«, sprach Ehrenthal ungnädig, »ich kann es nicht leiden, wenn einer in meinen Diensten ist und macht Geschäfte für eigene Rechnung.«
Da Veitel beschlossen hatte, unter allen Umständen Geschäfte für eigene Rechnung zu machen, und Herr Ehrenthal das ebensogut wußte wie Veitel, so wurde auf diesen zarten Punkt nicht weiter eingegangen.
»Dafür sollst du erhalten alle Monat zwei Taler, und wenn ich mit deiner Hilfe ein Geschäft mache, erhältst du deinen Anteil davon.«
»Wie groß soll sein dieser Anteil?« rief Veitel schnell.
»Wie groß er soll sein?« fragte Herr Ehrenthal unwillig. »Was ich dir werde geben, wird sein groß genug.«
»Groß genug für den Herrn, aber nicht für mich«, antwortete Veitel dreist, denn er fühlte, daß bei diesem Hauptpunkt Entschlossenheit nötig sei.
»Das wird sich finden, wenn du wirst abgedient haben deine Probezeit. Vier Wochen dienst du auf Probe, nach der Zeit werde ich mit dir reden über deinen Verdienst.«
Das war alles, was Veitel billigerweise verlangen konnte, er hob sein Bündel von den Treppenstufen auf und sagte unterwürfig: »Ich bin’s zufrieden, wenn der Herr Ehrenthal mir noch will schenken eine alte Hose und Rock, daß ich ihm keine Schande mache vor den Leuten.«
»Keinen Rock und keine Hose«, antwortete der Herr entschieden.
»Dann geben Sie mir Hose und Rock in vier Wochen, wenn meine Probezeit zu Ende ist.« Diese Forderung war nach dem Kurs der Trödlerbörse gleich einem Geschenk von drei bis vier Talern, und Ehrenthal fand die Forderung mit Recht hoch; er warf noch einen prüfenden Blick auf den Burschen, auf die Demut seiner Stellung und die ungewöhnliche Frechheit seiner Augen, er schloß, daß der Mensch brauchbar sein werde, und fühlte sich bewogen, Großmut zu zeigen. »So mag es sein«, schloß er, »in vier Wochen. Dein Nachtquartier kannst du nehmen bei Löbel Pinkus an der Ecke, damit ich weiß, wo du bist zu finden.« Darauf öffnete Herr Ehrenthal die Entreetür und rief hinein: »Frau, Bernhard, Rosalie, kommt heraus.« Zwei Stubentüren und die Küchentür öffneten sich, und die Familie des Hausherrn wurde sichtbar, dahinter die zerknitterte Köchin.
Madame Ehrenthal war eine volle Frau in schwarzer Seide, mit starken Augenbrauen und rabenschwarzen Hängelocken; sie machte noch große Ansprüche zu gefallen und gefiel auch. Wenigstens versicherten ihr das mit mehr oder weniger Anstand junge Herren vom Adel, welche zuweilen in den Morgenstunden Herrn Ehrenthal besuchten, um mit ihm Geschäfte zu machen; und obgleich diese Versicherungen um so wärmer zu sein pflegten, je kühler Ehrenthal sich gegen das abzuschließende Geschäft verhielt, so galt doch, die Wahrheit zu sagen, Madame Ehrenthal auch bei solchen Leuten, welche keine Solawechsel zu prolongieren wünschten, für eine sehr stattliche Dame. Ihre Tochter aber war in der Tat eine Schönheit, eine große edle Gestalt mit glänzenden Augen, dem reinsten Teint und einer nur sehr wenig gebogenen Nase. Wie aber kam der Sohn in diese Familie? Er war fast klein, mit einem bleichen, faltigen Gesicht und gebückter Haltung; daß er noch ein Jüngling war, sah man nur an seinem Munde und dem hellen Blick; auch war er nachlässiger gekleidet, als einem Sohn des Herrn Ehrenthal geziemte, und in dem braunen Haar hingen noch jetzt am Abend einige Federn. Die Familie und Veitel sahen einander stumm an, während Herr Ehrenthal mit Selbstgefühl bemerkte: »Dies ist der Veitel Itzig, ich habe ihn genommen in unsern Dienst.« Der vornehme Stolz der Mutter, der mißfällige Blick der Tochter und das zerstreute Auge des Sohnes wurden von dem armen Bocher ebenso gewandt aufgefangen wie die bunten Strahlen eines Prismas von einem beobachtenden Naturforscher; er beschloß auf der Stelle, gegen die Mutter sehr, sehr unterwürfig zu sein, sich in die Tochter zu verlieben und Bernhards Stiefel schlecht zu putzen und in dessen Rocktaschen beim Ausbürsten nachzusehen, ob nicht ein Geldstück durch Nachlässigkeit des Besitzers in den Falten sitzengeblieben.
Nach dieser Vorstellung erklärte Herr Ehrenthal, Veitel könne gehen und solle am nächsten Morgen um sechs Uhr im Hause sein. Die Entreetür schloß sich hinter dem Burschen, auch er stand auf der Treppe, ins Geschäft aufgenommen, ein angehender Kaufmann. Er lächelte vergnügt, als er die Treppe hinunterging, offenbar war er mit seinem Handel zufrieden. Hatte er sich doch gemessen mit dem großen Herrn im Geschäft und hatte einen Vorteil davongetragen. Denn da er sich auf jede Bedingung auch ohne Garderobenzulage engagiert haben würde, so betrachtete er den alten Rock und Hose, zahlbar in vier Wochen, mit Recht als eine angenehme Übervorteilung seines neuen Prinzipals. Die Überlegung: ›Es wird nur ein Sommerrock‹, flog wie ein düsterer Schatten über seine Seele; ›aber die Hose wird sein von seinem Bernhard, welcher trägt Tuchhosen auch heut am heißen Sommertage.‹ So trug er beruhigt sein Bündel um die Ecke zu Löbel Pinkus.
Löbel Pinkus war Hausbesitzer und hielt zu ebener Erde einen kleinen Branntweinladen, welcher zahlreiche Kunden hatte. Doch war ersichtlich, daß weder die starke wie fettig glänzende Figur des ehrsamen Pinkus selbst noch die dicke Halskette seiner Frau ihre solide Pracht aus dem Branntweingeschäft allein herleiteten, und die Nachbarn zerbrachen sich manchmal den Kopf darüber, wie Frau Pinkus es durchsetzen könne, immer die teuersten Gänse zu braten, ja zuweilen sogar Truthühner. Indes, da ihr Gemahl ein Mann von Charakter war, in allen seinen Reden grob und entschieden, da er Branntwein verkaufte, was immer für ein Zeichen volkstümlicher Gesinnung gelten wird, und da er außerdem Geld gegen ungewöhnliche Prozente auszuleihen wußte, so war er unter den kleinen Handwerkern in der Nachbarschaft doch sehr respektiert und gefürchtet. Sein Leumund war gut. Die Straßenpolizei trank im Vorbeigehen gern in seinem Laden einen Likör, für den er das Geld zu nehmen stets verweigerte, er zahlte seine Abgaben pünktlich und galt für einen