Soll und Haben. Gustav Freytag

Soll und Haben - Gustav Freytag


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Landschaft standen an der Spitze ausgedehnter Aktienunternehmungen, welche auf einer Verbindung moderner Industrie und des alten Ackerbaues beruhten. Es war nichts Neues und Auffallendes in den Worten des Händlers, und doch schlugen sie als zündender Blitz in die Seele des Freiherrn. Sie kamen im rechten Augenblick. Herr Ehrenthal bemerkte die Wirkung, welche er hervorgebracht hatte, und schloß mit der Gemütlichkeit, welche seine Lieblingsstimmung war: »Wo habe ich das Recht, einem Herrn, wie Sie sind, einen Rat zu geben? Aber jeder Gutsbesitzer muß sagen dasselbe, daß ein solches Geschäft mit Pfandbriefen in unserer Zeit die solideste Art ist, wie ein vornehmer Herr kann sorgen für seine Kinder. Wenn einst das Gras wachsen wird über dem Grabe des alten Ehrenthal, dann werden Sie an mich denken und bei sich sagen: Der alte Ehrenthal war nur ein einfacher Mann, aber er hat mir geraten, was gut war und ein Segen für die Familie.«

      Der Freiherr sah immer noch vor sich hin. Was er lange in sich herumgetragen hatte, das war auf einmal zum festen Entschluß geworden. Dem Händler sagte er mit einer Leichtigkeit, die ihm nicht vom Herzen kam: »Ich will mir’s überlegen.« Ehrenthal war damit zufrieden und bat um die Erlaubnis, sich den Damen empfehlen zu dürfen, was er als Mann von Welt und Gemüt selten unterließ.

      Es war schade, daß der Freiherr nicht das Gesicht des Geschäftsmannes sah, als dieser in seinen Wagen stieg und mechanisch die Bourbonrose ins Knopfloch steckte, welche ihm Lenore beim Abschiede mit schalkhafter Artigkeit überreicht hatte. Auch Herr Ehrenthal machte ein lustiges Gesicht, aber nicht aus Freude über die volle Rose. Er ließ den Kutscher langsam durch die Feldmark fahren und sah wohlgefällig auf die Ackerstücke, welche mit reifender Frucht zu beiden Seiten des Weges lagen. In langem Zuge kamen die Heuwagen des Gutes ihm entgegen. Sooft er stillhielt, um einen Riesenwagen vorbeizulassen, berupften seine Pferde das Heu, und sein Kutscher drehte sich um und rief schnalzend: »Schönes Futter!«

      »Ein schönes Gut«, sagte dann Ehrenthal in tiefem Nachdenken.

      Unterdes saß die Baronin in einer Gartenlaube und blätterte in den neuen Journalen, welche der Buchhändler aus der nächsten Kreisstadt zugeschickt hatte. Sie betrachtete prüfend die Modekupfer und genoß die kleinen Nippes der Tagesliteratur: Geschichten von Menschen, welche auf außerordentliche Weise reich geworden, und von andern, welche auf schauderhafte Weise ermordet sind, Tigerjagden aus Ostindien, ausgegrabene Mosaikböden, rührende Schilderungen von der Treue eines Hundes, hoffnungsreiche Betrachtungen über die Unsterblichkeit der Seele, und was sonst das flüchtige Auge eleganter Damen zu fesseln vermag. Die schöne Gemahlin des Freiherrn schaukelte während des Lesens die gestickte Fußbank, ihre Seele war nur halb in den Blättern, sie sah oft über den Rasenplatz nach ihrer Tochter, welche, wieder mit dem Pony beschäftigt, diesem aus Blumen und Zeitungspapier eine groteske Halskrause und eine gehörnte Mütze zurechtmachte, was der Pony vergebens dadurch zu vereiteln suchte, daß er so viel Blüten und Zeitungspapier wegfraß, als er mit dem Maul erreichen konnte. Als die junge Dame, stolz auf ihr Werk, den Kopf nach der Laube wandte und das Auge der Mutter auf sich gerichtet sah, überließ sie das Pferd dem herzueilenden Bedienten und flog wie eine Libelle zu den Füßen der Mutter. Sie setzte sich auf die Fußbank, zog die Journale auf das Knie der Baronin und fing an, sich possenhaft mit den Herren und Damen der Modekupfer zu unterhalten. Da die Gesichter dieser Ideale, wie bekannt, den Vorzug haben, allen Menschen ähnlich zu sehen, von denen sie sich durch einzelne charakteristische Eigenheiten, durch merkwürdig kleine Lippen und zuweilen durch ein auf der Stirn oder den Wangen sitzendes Auge unterscheiden, so wurde der jungen Dame nicht schwer, zahlreiche Ähnlichkeiten mit Bekannten des Hauses aufzufinden und die Bilder danach zu behandeln. Die Mutter lächelte über die kindischen Scherze der Tochter und sagte endlich, ihre Gedanken laut fortsetzend: »Lenore, du wirst jetzt ein großes Mädchen und bist noch so sehr Kind. Wir haben dich aufwachsen lassen bei dem Unterricht der Bonne und des Kandidaten; es wird Zeit, daran zu denken, daß du etwas Ordentliches lernst, mein armes Kind.«

      »Ich dachte, das Lernen sollte jetzt aufhören«, antwortete Lenore schmollend.

      »Deine französische Aussprache ist noch schlecht, und dein Vater will, daß du dich im Zeichnen übst, du hast Anlage dazu.«

      »Ich zeichne nur Karikaturen«, rief Lenore, »die sind am leichtesten, man macht eine lange Nase oder kurze Beine, und das Kerlchen sieht lächerlich aus.«

      »Du sollst nicht Karikaturen zeichnen«, sprach die Mutter, »das verdirbt deinen Geschmack und macht dich spöttisch.« Lenore ließ das Köpfchen hängen. »Und wer war der junge Mann, mit dem du vorhin durch den Garten gingst?« fuhr die Mutter strafend fort. »Du hast ihm die Erdbeeren des Vaters gegeben.«

      »Schilt nur nicht immer, liebe Mutter«, rief die Tochter errötend. »Der Fremde war ein hübscher, artiger Junge, er geht nach der Hauptstadt; er hat weder Vater noch Mutter, das tat mir leid. Und so bescheiden war er! Sei mir nicht böse«, schmeichelte sie und flog an den Hals der Mutter, in deren Augen mehr Liebe als Zorn zu lesen war.

      Die Mutter küßte das Kind auf den Mund und sagte gütig: »Du bist mein gutes, wildes Mädchen, suche mir jetzt den Vater, sein Kaffee wird kalt.«

      Als der Freiherr in die Laube trat, noch voll von seiner Unterredung mit Ehrenthal, legte die Baronin ihre Hände in die seinen: »Oskar, ich habe Sorgen um Lenore!«

      »Ist sie krank?« fragte der Vater betroffen.

      »Sie ist gesund und von Herzen gut, aber sie ist kecker und ungebundener, als sich für ihre Jahre paßt.«

      »Sie ist auf dem Lande aufgewachsen und eine tüchtige Dirn geworden«, erwiderte der Freiherr beruhigend.

      »Es fehlt ihr aber an Form und an Zartgefühl im Umgange mit Fremden«, fuhr die Mutter fort. »Ich fürchte, sie ist in Gefahr, ein Original zu werden.«

      »Nun, das Unglück wäre nicht so groß«, sagte der Freiherr lachend.

      »Es gibt kein größeres für ein Mädchen aus unserm Kreise. Was in der Gesellschaft auffällt, wird auch lächerlich; ein kleiner Zug von bizarrem Wesen kann ihre ganze Zukunft verderben. Sie muß genötigt werden, mehr auf sich zu achten, und ich fürchte, hier auf dem Lande wird sie das nicht lernen.«

      »Wir sollen das Kind von uns tun, vielleicht auf Jahre, und unter fremden Menschen auf blühen lassen?« fragte der Freiherr unwillig.

      »Und doch muß es sein«, sagte die Baronin ernst, »und es kostet mich viel, dir das zu sagen. Sie ist unartig gegen Mädchen ihres Alters, rücksichtslos gegen Frauen und Männern gegenüber viel zu dreist. – Kannst du dir ein Mädchen von Lenorens Wesen am Hofe denken?« fragte die Baronin nach einer Pause.

      Der Gemahl konnte sich das nicht denken, vielleicht deshalb nicht, weil ein Fürstenhof überhaupt nicht der Ort ist, wo schnell aufgeschossene Fräulein die Schulbücher umhertragen und Katze und Maus spielen.

      »Sie wird sich ändern«, warf er endlich ein.

      »Sie wird sich nicht ändern«, entgegnete die Baronin sanft, die Hand auf seine Schulter legend, »solange der Liebling mit seinem Vater zu Pferde über Gräben setzt und ihn sogar auf dem Pirschgang begleitet.«

      »Ich kann mich nicht darein finden, beide Kinder zu entbehren«, sprach der Vater gutmütig. »Das wäre sehr hart für uns, am schwersten für dich, du strenge Hausfrau.«

      »Vielleicht!« sagte die Baronin leise, und ihre Augen wurden feucht. »Aber wir dürfen nicht an uns denken, nur an die Zukunft der Kinder.«

      Der Freiherr sah die Bewegung der geliebten Frau, er zog sie an sich und sprach entschlossen: »Höre, Elsbeth, wenn wir in früheren Jahren von dieser Zeit sprachen, da dachten wir uns Lenorens Erziehung anders. Wir wollten die Winter über selbst in der Stadt leben, unter deinen Augen sollte das Kind den letzten Unterricht erhalten und in die Gesellschaft treten. Du sollst dich nicht von ihr trennen. Wir ziehen schon in diesem Winter nach der Hauptstadt.«

      Überrascht erhob sich die Baronin. »Guter Oskar!« rief sie gerührt aus. »Aber – verzeih die Frage, würde ein solcher Aufenthalt nicht in anderer Hinsicht für dich ein großes Opfer sein?«

      »Nein«, sagte der Freiherr fröhlich, »ich habe Pläne, die auch für mich es wünschenswert machen, den Winter in der Stadt zuzubringen.«

      Er


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