Das Kind. Adolf von Wilbrandt

Das Kind - Adolf von Wilbrandt


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der heute vor Lebenslust strahlte – er gehörte zu den Leichtbewegten, »himmelhoch jauchzend, zum Tode betrübt —« setzte sich auf einen der Spieltische. »Glücklicher Vater – o ja! – Aber das Buch hab’ ich noch immer nicht.«

      »Schlechte Erziehung,« sagte Schilcher trocken, der sich in seine Lieblingsecke gesetzt hatte.

      »Natürlich,« antwortete Rutenberg nur. – »Ich such’s also selber!«

      Er trat an ein Büchergestell, aber mit einem vergnügt ratlosen Gesicht. »Gott mag wissen, wohin das Kind dieses Buch verkramt hat!« – Er zog ein paar Bücher aus ihren Reihen hervor, schüttelte den Kopf, steckte sie wieder hin. Ebenso heiter wie zuvor wandte er sich dann wieder zu Schilcher und strahlte ihn mit den blauen Augen an, ohne zu sprechen.

      »Was kuckst du so?« fragte der in seiner Ecke.

      Rutenberg lachte nur so vor Vergnügen – »Nimm ’ne Cigarre, Alter.«

      Schilcher schüttelte den Kopf. »Warum ich so kucke? – Ich bin sehr fidel, Schilcher. – Das heißt, es geht mir gut. Ich beneide mich.«

      »Habe nichts dagegen,« murmelte der kleine Herr.

      »Das Kind – — das Kind ist doch entzückend, Schilcher.«

      »Hat das Buch verkramt.«

      »Ist aber doch entzückend, Schilcher.«

      Das gute Nußknackergesicht konnte sich nicht länger enthalten, mitvergnügt zu lächeln. »Meinetwegen!« stieß er heraus.

      »Und auch gut erzogen« behauptete Rutenberg jetzt.

      »Zu weich,« sagte Schilcher.

      »In der richtigen Freiheit, Alter, und darum so gut geraten.«

      »Bringt dir aber das Buch nicht. »Der erste Ball!« warf Rutenberg ein.

      Schilcher mußte wieder lächeln. »Na ja, meinetwegen!«

      Rutenberg, in seiner jugendlichen, glücklichen Unruhe, nahm wieder einen Band, betrachtete ihn, steckte ihn wieder hin.

      »Dieses verflixte Buch,« sagte er mit einer Art von Genuß, »wird kein menschliches Auge jemals wiedersehn! – — Ja, was ich sagen wollte . . . Ich glaube wahrhaftig, Alter, ich war nie so glücklich. Hab’ heut’ nachmittag lange drüber nachgedacht, und mir ist so dankbar zu Mut. Was sich der Mensch wünschen kann, das hab’ ich – — nein, das zwar nicht: meine gute Frau ist fort. Aber es ist doch merkwürdig, was ich alles habe. Gute alte Freunde – eiserne Gesundheit – Freude an der Arbeit – ein schönes Vermögen, das ich mir selber geschaffen —«

      »Und es wächst ja noch,« bemerkte Schilcher.

      »Thät nicht nötig, Alter. Aber meine brave Fabrik, die läßt sich ja nicht lumpen, will mich durchaus zum richtigen Millionär machen . . . Und meine gute Vaterstadt wächst auch und gedeiht, eine unserer hübschesten alten Städte, nicht? Gute, heitere Leute, nicht verschopenhauert, nicht weltwehkrank, thun das Ihre und leben gern! – — Ja und dann dieses Kind. Ihr so merkwürdig ähnlich, beinahe wie eine Fortsetzung meiner guten Frau —.«

      »Hat aber auch viel von dir,« murmelte Schilcher. Rutenberg lächelte. »Das thut auch nichts, Alter! Mir deucht sogar, die Mischung ist gut! – Ein sehr liebes Kind, Schilcher.«

      »Mein einziges; aber ein Prachtstück, so frisch, so gut, so drollig, so zärtlich – und poetisch auch – — na, kurz, diese Gertrud!«

      Schilcher wollte nichts sagen, dieser redselige Rutenberg hatte ihn in eine Weichheit hineingeredet, die ihm beinahe unmännlich vorkam. Die großen strahlenden Augen schauten ihn aber gar so auffordernd an. »Freilich!« brummte er. »Was sagst du?«

      »Freilich!« sagte ich. – — – »ein Patenkind. – Gut, daß wir sie haben, Rutenberg.«

      »Ja, gut, daß wir sie haben. Wenn mir’s zuweilen leid that, Schilcher, daß sie immer älter wurde, dieses süße Göhr, dieser kleine zierliche, spaßige, verrückte Engel, unser Trudelchen —«

      Schilcher nickte, mit fast geschlossenen Augen. Er hatte ja nichts als die Trudel. Er hatte sie ja unsinnig lieb.

      »Daß ich keinen Zauberstab hatte,« fuhr der poetisch werdende Rutenberg fort, »um das süße Ding damit anzurühren ›Bleib so wie du bist, kleines Spielzeug! kleiner Menschentraum!‹ dann dacht’ ich zum Trost an die Zeit, die nun da ist, Schilcher. Jungfrau Gertrud Rutenberg, siebzehn Jahre alt, ein großes, denkendes, reizend ernsthaftes Geschöpf —«

      »Das die Bücher verkramt,« warf Schilcher ein, gegen seine Weichheit kämpfend.

      »Unser Kamerad,« fuhr der Vater unbeirrt fort, »unser Mitmensch, unsre – unsre Antigone —«

      »Die nicht weiß, daß Jütland zu Dänemark gehört.«

      »Die aber ein richtiges deutsches Mädchen ist – eine feine Seele – eine gute, vornehme Seele – und dabei doch immer noch unser Kind! Unser langer, magerer, reizender Liebling, ja, ja, unser Liebling; denn du alter Heuchler, dem ich bis in den tiefsten Grund seines schwarzen, grimmigen, galligen Herzens sehe, du hast sie auch so lieb wie dich selbst! Ja, du, Oberappellationsrat Gottfried Schilcher!«

      »Lieber,« sagte Schilcher tonlos und stand dabei auf. – »Nun wollt ich aber eigentlich bei dir ’ne Postkarte schreiben.«

      3

      Die Thür zum Salon öffnete sich und hinter dem melden wollenden Brink ward ein hochgewachsener junger Mann sichtbar, der den untersetzten alten Diener überragte.

      »Mein lieber Brink,« sagte der auffallend hübsche Bariton des jungen Mannes, »Sie brauchen Arthur van Wyttenbach nicht anzumelden!«

      Er schob Brink mit einer leichten, eleganten Bewegung ein klein wenig beiseite, nur so viel, daß er an ihm vorbeischlüpfen konnte, und trat geschwind in das Bücherzimmer. Ein mattes, flüchtiges Lächeln ging über das noch sehr junge Gesicht, die schwarzgekleidete schlanke Gestalt machte eine etwas gesucht nachlässige, aber doch auch ehrerbietige Verbeugung. Darauf warf er das schöngekräuselte Haar zurück, das ihm in die niedrige Stirn fiel, und heftete die kleinen grauen Augen wohlwollend auf Schilcher und verbindlich auf den Hausherrn.

      »Entschuldigen die Herren gütigst,« sagte er mit der einschmeichelnden schönen Stimme, »wenn ich stören sollte —«

      »Bitte, Sie stören nicht,« fiel Rutenberg ihm ins Wort. Er wandte sich zu Schilcher. »Herr van Wyttenbach, ein junger – Freund unsres Hauses.«

      Schilcher, dem ein Anflug von Unbehagen über das faltige Gesicht ging, machte eine seiner trockenen Handbewegungen; »Herr van Wyttenbach ist mir bekannt.«

      »Jawohl, ich habe die Ehre,« warf der junge Mann leicht und doch verbindlich hin. »Wer wird den Herrn Oberappellationsrat nicht kennen!« Er verneigte sich nochmals ein wenig gegen den Hausherrn und sprach in fließender Rede fort: »Sie erwiesen mir soeben die Auszeichnung, Herr Rutenberg, mich einen Freund Ihres Hauses zu nennen. In dieser Eigenschaft, auf die ich stolz bin, hab’ ich mir die Freiheit genommen, an diesem festlichen Abend ein unbedeutendes Zeichen der Huldigung darzubringen und die liebenswürdige Königin des Festes damit zu begrüßen.«

      Er hob den großen, farbenprangenden Blumenstrauß ein wenig, den er in der rechten Hand hielt die andere hielt seinen schwarzen Hut.

      »Ich denke mir,« fuhr er dann fort, »Fräulein Gertrud wird noch beschäftigt sein, die letzte Hand – er lächelte – »an das große Kunstwerk zu legen, ihre Balltoilette zu vollenden, meine ich. In diesem Fall haben vielleicht Sie die Güte, ihr diesen schlichten Blumengruß zu Füßen zu legen.«

      »Mit Vergnügen,« entgegnete Rutenberg höflich. »Ich danke Ihnen. Nehmen Sie Platz, wenn’s gefällig ist.«

      »Ich wünsche durchaus nicht zu stören«, sagte Herr van Wyttenbach rasch, »Sie haben ja selber noch Toilette zu machen und so weiter, nur auf einen Augenblick!« Er setzte sich, Rutenberg auch. – »Der große Moment ist nun also gekommen,« fuhr der Jüngling fort. »Der erste Ball! In welcher freudigen


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