Das Eulenhaus. Eugenie Marlitt

Das Eulenhaus - Eugenie Marlitt


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die Puppe krampfhaft fest an ihrer Brust.

      Sie schrie auf, als sie die Tante so plötzlich auf sich zukommen sah. »Ich wollte der Erdbeerdame Blümchen bringen und das datierte so lange, ach, so lange! Und Lenchen hat ihren neuen Hut verloren, Tante!« rief sie ihr entgegen und löste das linke Ärmchen von ihres Trägers Nacken, als wolle sie schleunigst wieder unter den Schutz der Pflegerin flüchten, aber er hielt sie fest.

      »Du bleibst jetzt bei mir, Kind!« gebot er. Sie duckte sich wie ein erschrockenes Vögelchen und sah scheu in das bärtige Antlitz dicht neben dem ihren. Der gebieterische Ton war ihr neu. »Das hast du zu verantworten, kleine Ausreißerin!« fuhr er zu dem Kinde fort, während sein Blick das tieferregte Gesicht, die tränenverschleierten Augen der schönen Hofdame ausdrucksvoll streifte. Sie stand nun vor ihnen und rang vergebens nach Atem und einem Wort des Dankes. »Und nun möchtest du mir auch noch schleunigst den Laufpaß geben und fragst nicht, ob die Arme da dich auch tragen können? Denn laufen kannst du ja absolut nicht mit deinen todmüden Beinchen! Nein, nein, lassen Sie!« wehrte er ab, als Klaudine in der Tat die Arme hob, ihm die Bürde abzunehmen. »Ist’s doch kaum, als sei mir eine Grasmücke auf den Arm geflogen! Komm, Kindchen, gib nur deinen Arm wieder her und sieh mich nicht so scheu an – hast dich ja vorhin auch nicht vor meinem Bart gefürchtet! Sieh, wie brav mein Fuchs mit mir geht und sich führen läßt! … Und da ist ja wohl auch der unglückliche Hut, um den du so bittere Tränen vergossen hast?«

      Die Kleine lachte glückselig auf, als Klaudine das Hütchen auf den Puppenkopf drückte und es wieder festband.

      Baron Lothar sah unverwandt auf die zwei schlanken Hände, die in nächster Nähe vor seinen Augen hantierten. Ein breiter schwärzlicher Streifen zog sich um Daumen und Zeigefinger der Rechten.

      »›Rußflecken beschimpfen nicht‹, sagt mein alter Heinemann«, stammelte sie, unter seinen Blicken errötend, und ließ schleunigst die Hände von der gebundenen Schleife sinken.

      »Nein, sie beschimpfen nicht. Aber daß sie in der Tat vorhanden sind! Wäre wirklich kein dienstbarer Geist im Eulenhaus zu finden, der Ihnen diese grobe Berührung ersparte?« Ein spöttisch ungläubiges Lächeln zuckte um seine Lippen. »Muß nicht eine Zeit kommen, wo Sie die Erinnerung an diese Flecken dennoch wie einen Makel empfinden werden?« Seine feurigen Augen wichen nicht von ihrem Gesicht.

      Sie sah ihn mit stolzer Entrüstung an. »Hat Ihnen das Hofgeflüster auch zugeraunt, daß ich unwahr sei und zur Komödie neige?« fragte sie bitter lächelnd zurück. »Soll ich Ihnen wirklich ausdrücklich die schmerzliche Tatsache bestätigen, daß mein Bruder, wenn auch als ehrlicher Mann – denn, Gott sei Dank, die Gläubiger sind befriedigt! – so doch bettelarm von Haus und Hof gegangen ist? – Wir können uns nicht mehr bedienen lassen, und daß dazu kein besonderer Aufwand von Entsagungen gehört, das weiß ich jetzt. Diese Flecken« – sie sah auf die geschwärzten Finger nieder – »lasse ich auch nur insofern als Makel gelten, als sie Zeugen meiner Ungeschicklichkeit sind. Aber auch das wird ja von Tag zu Tag besser.«

      Jetzt lächelte sie wieder mit ihrer sanften Heiterkeit, sah sie doch eine dunkle Glut in sein Gesicht steigen. Sie durfte ihn nicht noch strenger zurechtweisen, der ihren müden Liebling auf dem Arm trug.

      »Ich werde mich bald nicht mehr zu schämen brauchen, und gestern abend bei den verlachten Eierkuchen hätte ich getrost die strenge Beate zu Gaste laden dürfen —«

      »Ich bin überzeugt und leiste hiermit Abbitte!« unterbrach er sie und neigte in sarkastischer Unterwürfigkeit sein Haupt. »Sie scheinen nicht bloß das Aschenbrödel, Sie sind es in Wirklichkeit. Ein Mann kann sich freilich schwer in eine solche Situation hineindenken, aber einen pikanten Reiz mag es schon haben, augenblicklich in der grauen Puppenhülle zu verschwinden, um später mit strahlenden Flügeln in Sonnenhöhe aufzusteigen.«

      Sie preßte die Lippen aufeinander und schwieg, weil sie wußte, daß sie sich vor ihrer eigenen Stimme entsetzen würde, wenn sie auch nur mit einem einzigen Worte ein Thema berührte, das sie tief verschwiegen in der Brust trug, und welches er immer wieder hartnäckig, mit einer Art von Verbissenheit aufnahm.

      Sie trat seitwärts, um ihm den Weg freizugeben, und er schritt weiter. Sie gingen an der Schattenseite, unter überhängenden Buchenzweigen hin. Man hörte eine Zeitlang nur die Schritte des kräftig ausschreitenden Mannes und das Hufeklappern des geduldig nebenher gehenden Pferdes, bis die kleine Elisabeth das drückende Schweigen mit einem Schmeichelnamen für den »guten, braven Fuchs« unterbrach.

      »Es hat auch nicht die geringste Ähnlichkeit mit seiner brünetten, spanischen Mutter, dies kleine deutsche Blondchen«, sagte Baron Lothar, während er in das reizende Kindergesicht sah. »Sie hat die Altensteiner Augen. Wir haben in Neuhaus das Bild unserer Urgroßmutter, die bekanntlich eine Altensteiner gewesen ist. Ein so wilder Junge ich auch war und so wenig Interesse die steifen Porträts an den Wänden für mich hatten, vor jenem schönen großen Ölbild bin ich doch stets stehen geblieben, wenn unsere Staatszimmer oben einmal ausnahmsweise zugänglich waren. ›Die Lilie des Tales‹ hat sie der damalige Herzog Ulrich genannt. Aber sie ist eine scheue Frau gewesen, die nie wieder zu Hofe gegangen ist, seit ihr Seine Hoheit einmal allzu feurig die Hand geküßt hat.«

      Wieder war es still und in das Knirschen des Steingerölls unter den Tritten der Dahinschreitenden mischte sich jetzt auch das Piepen und Zwitschern in einem Vogelnest über ihren Häuptern.

      »Kleine Vögelchen sind auf dem Baume, ich weiß es, Heinemann hebt mich immer hoch und läßt mich in das Nest sehen«, sagte die Kleine mit einem begehrlichen Blick nach oben.

      Er lachte. »Das ist zu hoch, kleiner Schelm, da hinauf können wir nicht! Aber sieh, wie die blauen Augen auch funkeln können! Ich glaube nicht, daß sich das sanfte Sternenlicht in den Augen meiner schönen Urgroßmutter je so verwandelt hat. Bei den Neuhäuser Gerolds ist der Frauenkopf mit dem aschblonden Lockenhaar nicht wieder aufgetaucht, keine der weiblichen Nachkommen hat das Gesicht geerbt, so viele Töchter auch in Neuhaus gefreit worden sind. Ich meinte deshalb immer, die Frau sei einzig in ihrer Art gewesen. Erst später, viel später überzeugte ich mich, daß jenes Gesicht Erbeigentümlichkeit der Altensteiner sei. Es war an unserem Hofe. Ich war mit dem Herzog auf der Jagd gewesen und wir kamen spät, gerade in dem Augenblick in den Salon der Herzogin-Mutter, als eine neue Hofdame an den Flügel trat, um ›Das Veilchen‹ von Mozart zu singen.« – Er bog sich vor, um ihr in das Gesicht zu sehen. – »Sie erinnern sich selbstverständlich des Abends nicht?«

      Sie schüttelte mit einem lebhaften Erröten den Kopf. »Nein. Ich habe ›Das Veilchen‹ so oft singen müssen, daß sich keine besondere Erinnerung für mich daran knüpft.«

      Er hatte für einen Augenblick den Schritt angehalten, aber nun ging es in beschleunigtem Tempo wieder vorwärts.

      Nicht lange mehr, da schimmerte das bunte Blumenfeld des Gartens durch das lichter werdende Unterholz, und das Gebell des Hundes klang herüber. Herrn von Gerold mochte doch nachträglich das plötzliche Erscheinen seiner Schwester in der Glockenstube und ihre hastige Frage nach dem Kinde nachdrücklicher zum Bewußtsein gekommen sein, er hatte wohl auch ihr ängstliches Rufen, gehört und sich schließlich selbst aufgemacht, zu suchen, denn er kam jetzt eilenden Schrittes daher, und zwischen den Eibenbäumen des Garteneinganges bog sich scheu ein mit Kompressen umwickelter Frauenkopf in der Nachthaube – Fräulein Lindenmeyer hatte sich in ihrer Herzensangst selbstvergessen bis an die äußerste Grenze des Grundstückes gewagt, jetzt freilich rannte sie beim Erblicken der hohen, fremden Männergestalt, mit fliegenden Röcken und das Schaltuch schleunigst über den Kopf geworfen, nach dem Hause zurück.

      Noch vor wenigen Tagen würde Herr von Gerold an dem Neuhäuser fremd und unberührt von irgend einem verwandtschaftlichen Gefühl vorübergegangen sein, gestern aber hatte Baron Lothar seiner Schwester einen ritterlichen Dienst geleistet und heute trug er ihm sein vermißtes Kind entgegen. Er eilte deshalb mit dem Ausdruck warmen Dankes auf ihn zu, und nach einigen erklärenden Worten von seiten Klaudines schüttelten sich die beiden Männer herzlich die Hände. Und Baron Lothar machte durchaus keine Anstalten, das Pferd wieder zu besteigen und seines Weges zu reiten, nachdem Herr von Gerold ihm die Kleine abgenommen. Er schritt im Gespräch zwischen den Geschwistern weiter und weiter bis zur Gartentür, und da nahm er Herrn von Gerolds Einladung, näher


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