Das Eulenhaus. Eugenie Marlitt
Fülle und elastische Grazie wieder an, die man einst nymphenhaft genannt hatte! Nur zwei Monate hier in diesem kraftstrotzenden Waldodem, und alles war wieder gut!
Sie bewohnte die Zimmer des östlichen Flügels, an welche der nach dem Hofe gelegene Speisesaal stieß, und nur ein gemeinschaftliches Empfangszimmer trennte diese Gemächer von den westlich liegenden ihres Gemahls. Das letzte Zimmer der langen Flucht war sein Wohnzimmer, dessen eine Ecke in den Turmerker auslief.
Inmitten des Zimmers stand eine Treppenleiter. Der alte Friedrich, oder vielmehr der Kastellan Kern, wie er jetzt genannt wurde, hatte eine eben angekommene Ampel an die Decke gehangen und kletterte nun beim Eintreten der Herrschaften eiligst die Stufen herab.
Die Herzogin blieb unwillkürlich unter der Tür stehen.
»Ach, hier hat die arme schöne Spanierin gewohnt«, rief sie mit leise zitternder Stimme. »Und da ist sie wohl auch gestorben?« Sie heftete ihre großen, fieberisch glänzenden Augen ängstlich fragend auf das Gesicht des alten Mannes, der sich tief verbeugte.
Er schüttelte den Kopf. »Nein, Hoheit, hier nicht. Der gnädige Herr hatte ihr freilich das Zimmer malen lassen und es hat ein schweres Stück Geld gekostet, aber keine zwei Stunden hat sie es hier ausgehalten. Der Ökonomiehof ist zu nahe. Sie konnte keine Kuh brummen hören, und wenn ein Leiterwagen über das Pflaster rasselte und die Drescher in den Scheunen hantierten, da hielt sie sich die Ohren zu und lief durch alle Zimmer und Gänge, bis sie ein stilles Eckchen fand, wo sie sich hineindrücken konte wie ein junges, verscheuchtes Kätzchen. Ja, zur Gutsfrau paßte sie freilich nicht! Sie hat zuletzt im Gartenhause gewohnt, und wenn schön Wetter war, da wurde sie in seidenen Decken hinausgetragen und auf den Moosboden gelegt, da, wo die Waldbäume an den Garten stoßen. Ja, da war sie noch am liebsten in dem blassen Lande, wie sie unser gutes Thüringen nannte, und da ist sie auch an einem schönen Herbsttage eingeschlafen, ausgelöscht! Das Heimweh soll schuld gewesen sein.«
Die Herzogin trat tiefer in das Zimmer, und ihre Augen glitten über die Wandgemälde.
»Das Heimweh!« wiederholte sie mit leisem Kopfschütteln. »Sie hätte nicht mit dem deutschen Manne gehen sollen, denn sie hat ihn nicht geliebt. Ich würde in der fernsten Eiswüste nicht an Heimweh sterben, wenn ich bei dir wäre!« flüsterte sie innig und sah dem hohen Manne an ihrer Seite abermals unter das gesenkte Gesicht, während sie mit ihm in den Turmerker trat.
Er lächelte freundlich auf sie nieder. Sie sank auf einen der kleinen, lehnenlosen, mit violettem Samt bezogenen Sessel und sah entzückt über das sich draußen hinbreitende Landschaftsbild.
»Ein köstlicher Blick!« sagte sie und faltete die kleinen, wachsbleichen Hände im Schöße. »Die Gerolds haben sich besser auf die Wahl ihres Stammsitzes verstanden, als unser Haus, Adalbert«, sagte sie nach einem augenblicklichen Schweigen. »In all unseren Schlössern und Landhäusern haben wir nicht einen einzigen Ausblick wie diesen hier. Wer hat diesen Flügel bewohnt?« fragte sie den Kastellan, der eben geräuschlos die Treppenleiter zusammenschob, um sie hinauszutragen.
»Solange ich hier im Geroldshofe gewesen bin, immer nur die Damen, Hoheit«, berichtete, indem er die Leiter wieder behutsam hinstellte, der alte Mann. »Zuerst die selige Frau Landkammerrätin, bis sie ins Eulenhaus gezogen ist, und nachher die Frau Oberstin. Und zwei Zimmer weiter«, er zeigte nach der Tür, die in den Seitenflügel führte, »da hat auch unser gnädiges Fräulein ihr Stübchen gehabt.«
»Ach, die schöne Klaudine?« rief die Herzogin in halb fragendem Ton.
»Zu dienen, Hoheit, Fräulein Klaudine von Gerold. In der Stube ist sie auch geboren. Ich weiß noch, wie es uns im weißen Wickelkissen gezeigt wurde, das Engelchen.«
»Mamas Liebling, hörst du, Adalbert?« sagte die Herzogin lächelnd nach ihrem Gemahl hin, der an eines der Fenster getreten war und wie in Gedanken verloren in die Ferne blickte.
»Der Schwan, wie ihr poetischer Bruder sie in seinen Gedichten nennt, das merkwürdige Mädchen, das vom Hofe weg in die Armut gegangen ist, um ihrem Bruder eine Stütze zu sein. – Eulenhaus heißt ja wohl der Waldwinkel, in welchem Fräulein von Gerold jetzt lebt?« fragte sie den Kastellan.
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