Das Eulenhaus. Eugenie Marlitt

Das Eulenhaus - Eugenie Marlitt


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ganz betreten und erschrocken drein. »I, die werden doch nicht —?« meinte er mit stockendem Atem. »Na, weiß Gott, das wär’ doch Sünd’ und Schande! Der Neuhäuser da drüben, dem fürstliches Hab und Gut nur so in die Tasche gefallen ist, der müßte sich ja doch eher alle zehn Finger abbeißen, als daß er sich an dem bißchen Armut vergriffe! Freilich« – er zuckte die Achseln mit niedergeschlagener Miene – »wer kann’s wissen! So manche von den Herren können nie genug kriegen, das erlebt man alle Tage, und da kann’s immer sein, daß der Herr Baron die Hand hinhält und nicht ›nein‹ sagt, wenn’s zum Treffen kommt. O je« – er kratzte sich voll Ärger hinter dem Ohr – »da hätt’ ich auch eher an des Himmels Einsturz gedacht, als daß uns die von Neuhaus noch ein Querholz zwischen die Füße werfen könnten! Da heißt’s nun abwarten und zusehen, wie einem vielleicht die Butter vom Brote genommen wird.« Er seufzte und ging nach der Tür. »Aber ansehen müssen Sie sich die Geschichte doch einmal, gnädiges Fräulein! Ich gehe jetzt hinunter und räume die letzten paar Steine weg, die noch im Wege liegen – muß auch erst einmal probieren, ob über dem Kopfe alles in Ordnung ist, damit kein Unglück passiert – und nachher kann’s losgehen!«

      Bald darauf stieg Klaudine in seiner und ihres Bruders Begleitung in den Keller hinab.

      Es war ein schönes, kühles, trockenes Gewölbe, auf welches der Schein der Laterne in Heinemanns Hand fiel. – Ja, das waren noch Mauern aus jener Zeit, wo das Bauen kein großes Loch in den adligen Säckel riß, wo der Bauer im Frondienst das Baumaterial aus den Steinbrüchen und Kalkgruben herbeischleppen mußte – glatte, festgefügte, klafterdicke Mauern, die keine Spur von Erdfeuchtigkeit durchdringen ließen. Da war es freilich kein Wunder, daß die Wachsschätze der Nonnen noch so dalagen, wie sie die längst zerstäubten Hände aufgeschichtet hatten. – Ja, da reihte sich Scheibe an Scheibe, die Rinde wohl altersbräunlich gefärbt, aber an der Bruchfläche noch so schön gelb und frisch, wie eben aus dem Schmelz- und Reinigungsprozeß hervorgegangen.

      »So gut wie gemünztes Gold!« sagte Heinemann, mit ausgestrecktem Arm über die rings an den Wänden aufgestapelten Wachsscheiben zeigend. »Und das alles haben die kleinen Dinger in gelben Höschen zusammengeschleppt.«

      »Und die Kelche, aus denen sie den Blütenstaub geholt, haben vor Jahrhunderten geblüht«, ergänzte Herr von Gerold bewegt. »Hätte ich über den Fund zu verfügen, so dürfte mir kein Finger daran rühren.«

      »Ei beileibe!« protestierte der alte Gärtner ganz erschrocken.

      »Wenn auch kein Griffel irgendwelche Gedankenzeichen auf den Scheiben verewigt hat, wie wir sie auf den Wachstäfelchen der Alten finden, so spricht doch hier ein ganzes Stück eingefangenen Klosterlebens zu uns«, setzte Herr von Gerold hinzu. »Was mag wohl durch die Seelen der Klosterfrauen gegangen sein, während ihre fleißigen Hände das, was die summenden Honigträgerinnen von draußen aus der blühenden, sündhaft schönen Welt über die Mauern getragen, in die Form gebracht haben, wie sie hier vor uns liegt! An was mögen sie gedacht haben —«

      »Mit Erlaubnis, gnädiger Herr, da kann ich Ihnen ganz genau sagen – an die vielen Batzen haben sie gedacht, die drin stecken, an sonst nichts!« entgegnete Heinemann in ehrerbietigem, treuherzigem Ton, aber so verschmitzt blinzelnd, daß Herr von Gerold lachen mußte. »In den Klöstern sind sie zu allen Zeiten auf das Zusammenscharren versessen gewesen; man muß das nur in den alten Schriften lesen, da steht’s haarklein, was für lange Fingerchen die frommen Jungfern nach allem gemacht haben, was sich irgend hat erwischen lassen. Den letzten Sparpfennig und das letzte Äckerchen haben sie sich für ihr Beten von den armen Seelen verschreiben lassen, die mit Angst und Zähneklappern aus der Welt gegangen sind. Es ist dazumal nicht anders gewesen, als heute noch – der Mensch nimmt’s, wo er’s kriegen kann – na, dafür ist er eben auch nur eine Erdenkreatur, und der soll noch geboren werden, der die Engelsflügel schon in unser Zeitliches mitbringt.«

      Er ließ das Licht seiner Laterne über alle Wände hinspielen. »Was das für ein schöner Keller ist! Da ist auch nicht eine Spur von der Feuersbrunst zu sehen, die doch sonst überall so fürchterlich gehaust hat. Den Keller können wir brauchen, gnädiges Fräulein. Alles andere Unterirdische ist ja total verschüttet, bis auf das klägliche Winkelchen da« – er zeigte nach dem anstoßenden kleinen Kellerraum unter dem Wohnhause – »wo kaum Platz für unsere paar Kartoffeln ist. Und deshalb muß die Pastete ’raus, gnädiges Fräulein, muß so bald wie möglich an die Luft!«

      »Das geht nicht, lieber Heinemann«, entschied Klaudine. »Der Fund muß unberührt an Ort und Stelle bleiben, bis die von Neuhaus einen Einblick gehabt haben. Willst du an Lothar schreiben?« wandte sie sich an ihren Bruder.

      »Ich?!« rief er mit einer Art komischen Entsetzens aus. »Liebes Herz, alles was du willst – nur das nicht! Du weißt —«

      »Ja, ich weiß«, sagte sie lächelnd. »Und ich mag mit dem Herrn Baron auf Neuhaus auch nichts zu schaffen haben. Ich werde die Angelegenheit in Beates Hände legen. Mag sie selbst kommen oder einen Bevollmächtigten schicken.«

      Herr von Gerold nickte. »Schaden kann es nicht, wenn die in Neuhaus benachrichtigt werden«, sagte er. »Die Welt ist schlimm, man wird von dem Funde hören, ihn vielleicht verzehnfachen und schließlich von Verheimlichung und dergleichen munkeln. Lothar wird übrigens denken wie ich. Der Wachsschatz der Nonnen ist längst herrenloses Gut geworden und gehört dem, auf dessen Grund und Boden er gefunden wird – notabene, nach römischem und gemeinem Recht nur zur Hälfte, denn der andere Teil steht demjenigen zu, der den Schatz zufällig findet, und das ist unser Heinemann.«

      Der alte Gärtner prallte zurück und streckte so erschrocken abwehrend die Hände aus, als solle er geschlagen werden. »Mir altem Kerl? Mir fiele die Hälfte zu von dem, was auf Geroldschem Grund und Boden liegt? I, das wäre ja eine schöne Mode! Was kann ich denn dafür, wenn die wackligen Steine aus der Mauer fallen? Ist da etwa ein Verdienst dabei? Und brauche ich vielleicht den Mammon?« Er schüttelte energisch den Kopf. »Ich habe genug und übergenug zu leben bis an mein seliges Ende – Sorgen kenne ich nicht, und das verdanke ich meiner seligen gnädigen Frau. Nein, damit dürfen Sie mir nicht kommen, gnädiger Herr, damit nicht! … Nicht ein Bröckchen, nicht so viel, daß man einen Zwirnsfaden damit wichsen kann, nehme ich von dem Zeug da! – Aber ich sage nun auch, gut ist’s, gleich vor die rechte Schmiede zu gehen. Mag doch einer herüberkommen und die Nase hineinstecken, da gibt’s nachher kein dummes Gerede!«

      4

      Am Nachmittag des anderen Tages schritt Klaudine durch den Wald nach dem Neuhäuser Geroldshofe. Sie wollte selbst mit Beate sprechen. Sie hatte den schmalen Fußweg gewählt, der nach verschiedenen Krümmungen auf die breite, in der Nähe des Altensteiner Geroldshofes von der Chaussee abzweigende Fahrstraße mündete.

      Es war ein beträchtliches Stück Weges, das sie zurücklegen mußte, aber sie ging auf weichem Moos und Gräsern wie auf Samt, und über ihr dunkelte das festverwachsene, von kräftigem Grün strotzende Geäst der Baumriesen. Sie selbst, der schöne Schwan der Geralds, wie ihr Bruder sie zärtlich nannte, wandelte in ihrem hellen Sommerkleid, mit dem weißen Strohhut über der Stirn, wie ein Lichtschein durch das köstlich kühle, grüne Dämmern, das sie umfing, bis sie die Fahrstraße betrat. Von da ging es ganz allmählich bergauf in lichter werdendem Gehölz, dann an Kleeäckern und Kornbreiten vorüber durch das ganze, weithingebreitete, segentriefende Mustergelände.

      Unwillkürlich bückte sie sich, um eine Handvoll Butterblumen zu pflücken, die wie Goldaugen auf dem fetten Wiesengrase leuchteten. Nicht lange, da blinkten auch die Fensterreihen des Gutshauses auf. Es lag auf einer sanften Bodenerhebung. Kurz gehalten, samtartig legte sich der Rasen über die Abhänge.

      Klaudine stieg einen der schmalen Wege hinauf, die den Rasen durchschnitten. Sie ging mit gesenkter Stirn und sah erst auf, als sie den Kies unter den Linden an der Westseite des Hauses betrat, und da schrak sie zusammen und hielt einen Moment unangenehm betroffen und unschlüssig den Schritt an. Neuhaus hatte Gäste.

      Eine Dame, die offenbar promenierend im Lindenschatten auf und ab gegangen war, trat ihr entgegen, eine stattliche Erscheinung mit sehr weißem Gesicht und südlich flammenden, dunklen Augen. Ihre elegante, grauseidene Schleppe fegte den Kies, und in dem Kamme, der ihre vollen Haarsträhnen hoch


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