November. Гюстав Флобер

November - Гюстав Флобер


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lange, voller Sehnsucht, um eine zuversichtlich winkende Hoffnung zu genießen und mir zu sagen: »Gleich werde ich sie in meinen Armen halten, sie wird mein sein, ganz mein, es ist kein Traum!«

      Sonderbarer Widerspruch! Ich floh die Gesellschaft der Frauen, und ich empfand ein zauberhaftes Vergnügen in ihrer Nähe. Ich tat, als ob ich mir nichts aus ihnen machte, während ich in allen lebte und das Wesen einer jeden in mich hätte aufnehmen mögen, um mich mit ihrer Schönheit zu vereinigen. Schon ihre Lippen luden mich zu anderen Küssen als denen einer Mutter. In Gedanken hüllte ich mich in ihr Haar, lag zwischen ihren Brüsten, um in göttlichem Ersticken zu vergehen. Ich hätte das Halsband sein mögen, das ihren Hals umschlang, die Agraffe, die nach ihrer Schulter züngelte, das Gewand, das ihren Körper verhüllte. Auf den Kleidern sah ich nichts mehr, darunter aber lag eine Unendlichkeit von Liebe – ich verlor mich in Gedanken daran.

      Diese Leidenschaften, die ich mir ersehnte, studierte ich in Büchern. Das Leben bewegte sich für mich um zwei, drei Gedanken, um zwei, drei Worte, um die sich alles übrige drehte, wie Planeten um ihren Fixstern. So hatte ich meine Welt mit einer Anzahl goldener Sonnen bevölkert. In meinem Kopfe drängten sich die Liebesgeschichten neben die schönen Revolutionen, die schönen Leidenschaften stellten sich den großen Verbrechen gegenüber. Ich träumte zugleich von den sternenhellen Nächten der heißen Länder und von dem Feuerschein brennender Städte, von den Lianen der Urwälder und dem Pomp vergangener Kaiserreiche, von Gräbern und von Wiegen. Gemurmel der Wogen im Binsengestrüpp, Girren von Turteltauben im Schlage, Myrtenwälder und Duft der Aloe, Klirren von Schwertern auf Rüstungen, stampfende Rosse, leuchtendes Gold, glitzerndes Leben, Todesröcheln Verzweifelter, – alles sah ich mit denselben weitaufgerissenen Augen an, wie einen Ameisenhaufen, der sich zu meinen Füßen regte. Doch von diesem äußerlich reichbewegten Leben, das von so mannigfaltigen Stimmen widerhallte, drang ein ungeheuerer Schmerz empor als seine Synthese und seine Ironie.

      An Winterabenden blieb ich vor den erleuchteten Häusern stehen, in denen getanzt wurde, und hinter roten Vorhängen sah ich Schatten vorüberschweben. Ich hörte die Musik des Luxus: Gläser klirrten auf Servierbrettern, Silberzeug klapperte in den Schüsseln, und ich sagte mir, daß es nur von mir abhing, an diesem Feste teilzunehmen, zu dem man sich drängte, an diesem Bankett, wo alle schmausten. Ein ungeselliger Stolz hielt mich fern davon; denn ich fand, daß meine Einsamkeit mich gut kleidete und daß mein Herz reicher war, wenn es alles, was die Freude der Menschen ausmacht, mied. Ich setzte meinen Weg durch die verlassenen Straßen fort, wo die Laternen sich traurig beim Knirschen ihrer Rollen, schaukelten.

      Ich erlebte träumend die Schmerzen der Dichter, ich weinte mit ihnen ihre schönsten Tränen. Sie kamen mir vom Grunde meines Herzens; ich war ergriffen, zerrissen. Zuweilen schien es mir, als mache mich die Begeisterung, die sie mir mitteilten, zu ihresgleichen, und als hebe sie mich an ihre Seite. Stellen, die andere kaltließen, berauschten mich und versetzten mich in seherische Raserei. Es war ein wonniges Wüten im Geist. Ich rezitierte sie laut am Meeresufer, oder ich ging gesenkten Hauptes über die Wiesen und sprach sie mit der verliebtesten und zartesten Stimme vor mich hin.

      Unglücklich der Mensch, der sich nie einen tragischen Zorn gewünscht hat, der keine Liebeslieder auswendig weiß, um sie im Mondenlicht herzusagen! Wundervoll ist solch ein Leben in ewiger Schönheit, wenn man den Faltenwurf der Könige annimmt, Leidenschaft in ihrer höchsten Steigerung empfindet und die unsterblichen Gestalten des Genius liebt.

      Von nun an lebte ich nur noch in schrankenlosen Idealen. Frei und nach Herzenslust umherschwärmend wie die Biene, sammelte ich überall zu meiner Nahrung und meinem Leben. Im Raunen der Wälder und der Fluten klangen mir Stimmen, für die andere taub waren, und weit öffnete ich mein Ohr, um die Offenbarungen ihrer Harmonie zu vernehmen. Wolken und Sonne wurden mir zu gewaltigen Bildern, die keine Sprache malen kann, und ebenso bemerkte ich plötzlich in den menschlichen Handlungen Beziehungen und Gegensätze, deren lichtvolle Klarheit mich blendete. Zuweilen schienen Kunst und Poesie ihre grenzenlosen Weiten zu öffnen und einander mit ihrem Glänze zu bestrahlen. Ich baute Paläste aus rotfunkelndem Kupfer, ich stieg ewig auf einer Treppe von daunenweichen Wolken in einen Himmel voll Glanz.

      Der Adler ist ein stolzer Vogel, der auf den höchsten Felsengipfeln wohnt; in den Tälern, tief unter sich, sieht er die Wolken wogen; sie führen die Schwalben mit. Er sieht den Regen auf die Tannen fallen, die Marmelsteine im Gießbach rollen; er sieht den Hirten, der seinen Ziegen pfeift, und die Gemsen, die über Abgründe springen. Mag der Regen fließen, der Sturm Bäume knicken, mögen Bergströme schluchzend herabbrausen, mag der Wasserfall rauchen und spritzen, der Donner toben und Berggipfel losreißen: ruhig schwebt er darüber und regt sorglos die Flügel; das Tosen der Berge behagt ihm, er stößt Freudenschreie aus, kämpft mit den dahinjagenden Wolken und steigt höher in den ungeheuren Himmelsraum.

      Auch mich belustigte das Toben der Unwetter und das undeutliche Summen der Menschen, das bis zu mir empordrang; ich lebte in Höhen, wo mein Sinn sich mit reiner Luft tränkte, wo ich Laute des Triumphes ausstieß, um die Unlust meiner Einsamkeit zu bannen.

      Schnell kam mir ein unüberwindlicher Widerwille gegen alles Irdische. Eines Morgens fühlte ich mich alt und voll Erfahrungen über tausend unerprobte Dinge. Ich war gleichgültig gegen die verlockendsten und voll Mißachtung für die schönsten. Für alles, was der anderen Lust ausmachte, hatte ich nur Mitleid, und ich sah nichts, was auch nur der Mühe eines Wunsches lohnte. Vielleicht war meine Eitelkeit der Grund, daß ich über die gewöhnliche Eitelkeit erhaben war, und meine Indifferenz war nur das Übermaß einer grenzenlosen Begierde. Ich glich jenen neuen Bauten, auf denen sich schon Moos bildet, ehe sie fertig sind. Die lauten Vergnügungen meiner Kameraden langweilten mich, ich zuckte die Achseln, wenn ich ihre sentimentalen Albernheiten sah. Einige hoben ein Jahr lang einen alten weißen Handschuh oder eine vertrocknete Kamelie auf, um ihre Küsse und Seufzer daran zu hängen. Andere schrieben an Modistinnen oder trafen sich mit Köchinnen. Die einen erschienen mir dumm, die anderen grotesk. Und dann langweilte mich die gute Gesellschaft ebensosehr wie die schlechte. Den Frommen gegenüber gab ich mich zynisch und den Freigeistern mystisch, so daß mich niemand liebte.

      Zu jener Zeit war ich noch unschuldig und fand Freude daran, die Prostituierten zu betrachten. Ich ging durch die Straßen, die sie bewohnen, ich schwärmte um die Orte, an denen sie promenieren. Zuweilen redete ich sie an, um mich selbst in Versuchung zu bringen, folgte ihnen, berührte sie, trat in ihren Dunstkreis. Da ich frech war, glaubte ich kalt zu sein. Ich fühlte im Herzen eine Leere, doch diese Leere war ein Abgrund.

      Ich liebte es, mich im Strudel des Straßenlebens zu verlieren. Zuweilen verfiel ich auf dumme Zerstreuungen, wie etwa jeden Vorübergehenden starr anzublicken, um auf seinem Gesicht Laster oder hervorstechende Leidenschaften zu lesen. Alle die Köpfe glitten eilig an mir vorüber: die einen lächelten oder pfiffen im Weitergehen, während der Wind ihr Haar zauste; andere waren blaß, andere wieder rot, noch andere erdfahl; sie zogen schnell an mir vorüber, sie glitten einer nach dem andern vorbei, wie Aushängeschilder, an denen man im Wagen vorüberfährt. Oder ich betrachtete auch nur die Füße, die in allen Richtungen dahineilten, und ich versuchte, jedem Fuße einen Körper, dem Körper einen Gedanken, allen Bewegungen ein Ziel zu geben. Und ich fragte mich, wohin alle diese Schritte steuerten, und warum alle diese Leute gingen. Ich sah die Equipagen in die hallenden Säulengänge einbiegen und den schweren Wagentritt mit Krachen aufgehen. Die Menge drängte sich in die Eingänge der Theater. Ich sah Lichter durch den Nebel glänzen, und darüber stand der schwarze, sternenlose Himmel. An einer Straßenecke spielte ein Orgeldreher, Kinder in Lumpen sangen, ein Obsthändler schob seinen Karren, den eine rote Laterne beleuchtete. Man lärmte in den Cafés, die Spiegel glänzten im Scheine der Gasflammen, die Messer klangen auf den Marmortischen, am Eingange reckten sich die Armen, vor Kälte zitternd, um die Reichen tafeln zu sehen. Ich mischte mich unter sie, und mit denselben Blicken betrachtete ich die Glücklichen des Lebens. Ich beneidete sie um ihre banale Lust; denn es gibt Tage, wo man so traurig ist, daß man sich noch trauriger machen möchte. Dann ist die Verzweiflung wie ein bequemer Weg, den man mit Wonne wählt. Das Herz ist von Tränen geschwollen, und man regt sich selbst zum Weinen an. Oft habe ich mir gewünscht, elend zu sein und Lumpen zu tragen, von Hunger gepeinigt zu werden, eine Wunde bluten zu fühlen, zu hassen und auf Rache zu sinnen.

      Woher kommt doch dieser ruhelose Schmerz, auf den man stolz ist


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